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"Wir standen unter großem Druck"

15. April 2009

Marcel Reich-Ranicki: Als Kritiker bewundert und gefürchtet, als Autor seiner Autobiographie berühmt. Wie macht man einen Film über eine lebende Legende? Fragen an Regisseur Dror Zahavi.

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Der israelische Regisseur Dror Zahavi
Regisseur Dror ZahaviBild: AP

DW-World.DE: Ein Kritikerpapst, Medienstar, Buchautor und noch dazu ein Mensch mit einem äußerst spannenden und vielfältigen Leben: War es für Sie, den Regisseur, schwer, einen Film über Marcel Reich-Ranicki zu drehen?

Dror Zahavi: Wir alle haben uns bei dieser Verfilmung einem enormen Druck ausgesetzt, weil jeder Marcel Reich-Ranicki kennt, weil jeder beurteilen kann, ob er gut verkörpert wird oder nicht. Das Projekt war für uns alle nicht ohne Risiko. Aber in der Umsetzung ging es dann darum, sich von diesem Druck zu befreien.

Haben Sie gezögert, als man Ihnen die Verfilmung angeboten hat?

Nein, ich habe sofort mit beiden Händen danach gegriffen. Ich dachte auch auf Anhieb, dass ich da sehr gut hineinpasse, dass das Thema absolut mein Thema ist. Seine Lebensgeschichte hat in vielerlei Hinsicht Parallelen zu meiner Biografie und ich fühle mich in bestimmter Hinsicht sehr verwandt mit ihm. Der Film ist für mich auch eine sehr private Reise in meine eigene Vergangenheit. In die Geschichte meiner Familie, in das Leben zwischen zwei 'Heimaten', zu Fragen der Identität, der Religion und darüber, wie es ist, zwischen Ideologien zu stehen, dem Kommunismus und dem Kapitalismus.Diese Ähnlichkeiten haben mir sehr geholfen, die Person zu erschließen.

Wie intensiv war denn der Austausch mit Reich-Ranicki selbst?

Er hat ein wirklich phänomenales Gedächtnis und vieles von dem, was er uns erzählt hat, ist auch in seiner Autobiografie zu finden, die natürlich eine wichtige Grundlage für uns war. Aber für mich war auch wichtig, in den Begegnungen mit Reich-Ranicki zu erleben, wie er spricht und sich bewegt, wann seine Wangen rot werden oder nicht, um sozusagen diese Person zu spüren , wie sie aus Fleisch und Blut gemacht ist und nicht nur aus gedruckten Papier. Aber natürlich ist es meine Interpretation der Figur. Hätte den Film ein anderer Regisseur gedreht, so hätte er sicher etwas anderes betont und einen ganz anderen Film daraus gemacht.

Marcel Reich-Ranicki bei der Filmpremiere
Film gelungen!Marcel Reich-Ranicki ist zufriedenBild: picture-alliance/ dpa

Der Film zeigt das Leben von Reich-Ranicki in Ausschnitten, bis er und seine Frau Tosia 1958 in die BRD auswandern können. Aus einer Verhörsituation, die es so allerdings im tatsächlichen Leben von ihm nicht gegeben hat, werden die verschiedenen Geschehnisse in Rückblende erzählt.

Als ich dazu kam, war die Auswahl schon getroffen, aber natürlich wurde mit mir darüber diskutiert und ich fand die Entscheidungen sehr glücklich und klug, nämlich: Einen Film zu machen über Marcel Reich-Ranicki, den man so nicht kennt. Den Literaturkritiker in der Bundesrepublik Deutschland nach 1958 kennt man, man weiß wie er spricht, wie er sich bewegt, was er denkt. Das genau wollten wir nicht. Wir wollten die Geschichte von Marcel Reich-Ranicki als jungem Menschen erzählen, eine Geschichte, die weniger bekannt ist.

Wie würden Sie Ihre filmischen, ästhetischen Mittel beschreiben?

Ich habe mich für die Poesie, für eine assoziative Erzählweise entschieden, bei mir finden die Grausamkeiten im Kopf des Zuschauers statt. Man sieht sie gar nicht. Es gibt nicht einen einziges Schuss im 'On', alle Schüsse sind nur zu hören, nicht zu sehen. Die einzigen Grausamkeiten, die man sieht, werden über dokumentarisches Filmmaterial gezeigt, um den Schrecken nicht inszenieren zu müssen, sondern die Realität sich selbst zu überlassen. Ich glaube aber, wir haben es geschafft, den Zuschauer auch in den Szenen, die das Drama nicht in sich tragen, an die Leinwand zu fesseln.

Welche Rolle spielt die Literatur selbst in Ihrem Film?

Mir war gerade auch in den Begegnungen mit Reich-Ranicki klar, dass die Literatur für ihn nicht nur als Literatur wichtig ist, sondern wirklich ein Ratgeber in verschiedenen Lebenssituationen gewesen ist. Und das musste natürlich auch im Film auftauchen. Wir wollten auch zeigen, dass er Literatur lebt und atmet -genauso wie seine Frau Tosia.

Hat sich das Bild, das Sie schon vorher von Marcel Reich-Ranicki hatten , durch den Film verändert?

Ja. Das Bild, welches ich vorher hatte, war das, was wir alle haben, sprich: der gnadenlose Kritiker, der Bücher verreißt, sehr arrogant sein kann und manchmal auch böse daher kommt und urteilt. Ich habe ihn durch das Projekt peu à peu kennen gelernt und festgestellt, dass das ein sehr sensibler, warmherziger Mensch ist. Er war mir einfach sehr sympathisch. Ich glaube, das hat die Darstellung im Film sehr beeinflusst.

Wie hat Reich-Ranicki selber auf dem Film reagiert?

Hervorragend. Er war sehr beeindruckt, ja. Ich habe mit ihm das erste Screening erlebt, habe gesehen, wie er die Hand seiner Frau im Dunkeln gesucht und gedrückt hat. Habe die Tränen in den Augen seiner Frau gesehen und seine Sprachlosigkeit erlebt. Er hat sich, nachdem er den Film gesehen hat, überall, wo er aufgetreten ist, positiv dazu geäußert.

Wird es noch einen zweiten Teil von „Mein Leben“ geben, über das Leben von Marcel Reich-Ranicki in der Bundesrepublik von 1958 bis heute?

Ich glaube, dass es sehr schwer wäre, die zweite Hälfte von Ranickis Leben zu verfilmen, weil das mehr eine Aufzählung von Begegnungen wäre und weniger die dramatische Qualität hat, die sein Leben bis 1958 hat – deswegen haben wir ja auch den Teil seines Lebens für die Verfilmung gewählt.

Dror Zahavi, geboren am 6.2.1959 in Tel Aviv, war Regisseur bei zahlreichen deutschen Fernsehproduktionen. Im Kino läuft derzeit sein Film "Alles für meinen Vater".

Das Interview führte Emily Thomey

Redaktion:Cornelia Rabitz