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"Wir sind Teil der einen Welt"

31. Dezember 2003

Bundeskanzler Gerhard Schröder erinnert in seiner Neujahrsansprache daran, dass Deutschland "Teil der einen Welt" ist. Er plädiert außerdem für mehr Eigenverantwortung des Einzelnen. DW-WORLD dokumentiert die Ansprache.

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Bild: Bundespresseamt

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Ein grauenhaftes Erdbeben hat vor wenigen Tagen die Stadt Bam im Iran zerstört. Die Naturkatastrophe hat unvorstellbares menschliches Leid verursacht. Tausende haben ihr Leben verloren. Zehntausende sind obdachlos geworden.

Nur Stunden nach den ersten Meldungen über das verheerende Erdbeben im Iran brachen Helfer aus Deutschland auf, um dort nach Verschütteten zu suchen. Hunderttausende Deutsche nutzten das Internet, um sofort Geld für die Opfer zu spenden.

Das große Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft zeigen: Wir Deutsche wissen, wir sind Teil der einen Welt. Katastrophen, Kriege, Gewalt oder Terrorismus gehen uns an, auch wenn sie Tausende von Kilometern entfernt stattfinden.

Manchmal können wir mit Spenden helfen, manchmal müssen wir Soldaten einsetzen, um unserer Verantwortung für diese eine Welt gerecht zu werden. Doch diese Verantwortung kann Deutschland auf Dauer nur tragen, wenn es ein starkes Land bleibt. Auch und vor allem wirtschaftlich.

Im abgelaufenen Jahr hatten wir auf große Veränderungen zu reagieren: Wir haben darauf reagiert, dass die Globalisierung auch unsere Wirtschaft immer stärker beeinflusst.

Wir haben begonnen, die Systeme der Sozialversicherung darauf einzustellen, dass die Lebenserwartung zum Glück ständig steigt, die Zahl der Geburten aber stetig abgenommen hat.

Wir haben versucht, Arbeit und das Schaffen von Arbeitsplätzen attraktiver zu machen, um endlich aus der Phase der wirtschaftlichen Stagnation herauszukommen.

Für manche von Ihnen, liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger, sind bestimmte Maßnahmen mit Einschränkungen oder Verzicht verbunden. Wir wissen das. Und ich versichere Ihnen: Wir bemühen uns, die Lasten heute gerecht zu verteilen, damit wir in Deutschland die Chancen auch morgen noch gerecht verteilen können.

Auch im neuen Jahr werden wir daran arbeiten, Deutschland in allen Bereichen stark und zukunftsfest zu machen, damit es Spitzenplätze in der Welt behaupten und zurückgewinnen kann.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, bereits ab Neujahr treten zahlreiche Änderungen in Kraft, die wir im Rahmen der Agenda 2010 vereinbart haben.

Mir war bei diesen Änderungen wichtig, dass ab morgen auch die Steuern für alle weiter gesenkt werden. So kann der wirtschaftliche Aufschwung, der sich bereits deutlich abzeichnet, an Fahrt gewinnen.

Übrigens: Vergessen Sie nicht, dass Sie es zu einem großen Stück selbst in der Hand haben, wie es mit der Wirtschaft in Deutschland weitergeht. Auch Sie ganz persönlich können Konjunkturmotor sein: Ihr Vertrauen in die Zukunft entscheidet mit über den Arbeitsplatz Ihres Nachbarn!

Mehr Eigenverantwortung ist das Codewort auch fürs Gesundheitswesen. Wir können die Beiträge nicht weiter erhöhen, weil sonst die Arbeit in Deutschland zu teuer wird.

Wir können den Jungen nicht riesige Lasten durch immer weiter wachsende Ausgaben in einer älter werdenden Gesellschaft aufbürden. Wir wollen aber, dass weiterhin allen Deutschen das medizinisch Notwendige zur Verfügung steht, und zwar unabhängig vom persönlichen Einkommen und vom Alter.

Das schaffen wir nur, wenn jede Bürgerin, wenn jeder Bürger durch sein Verhalten beiträgt, die Kosten im Rahmen zu halten. Verschwendung, Ausbeutung und Betrug im Gesundheitssystem schaden uns allen! Bessere Vorsorge, vernünftiges und gesundheitsbewusstes Verhalten nützt uns allen.

Der deutsche Sozialstaat ist ein Gemeinschaftswerk unserer Großeltern, unserer Eltern, und nicht zuletzt, unserer eigenen Leistungen. Er ist es wert, von uns allen behütet zu werden.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wie uns diverse Studien gezeigt haben, müssen wir auch unseren Ruf als Bildungsnation verteidigen. Der Bund ist zwar nicht zuständig für Schulpolitik, aber wir unterstützen die Länder darin, die Kinder besser auf die Welt von morgen vorzubereiten.

Wir wollen Deutschland bei Erfindungen, bei Innovationen in Forschung und Technik an der Weltspitze sehen. Auch in Bereichen, in denen uns andere Länder inzwischen die führende Position streitig machen.

Wir wollen, dass sich mehr Frauen trauen, Kinder zu bekommen. Dass junge Menschen Familie und Beruf besser überein bekommen. Auch deshalb geben wir den Ländern Milliarden für den Ausbau von Betreuungseinrichtungen.

Aber auch hier gilt: Wer Deutschland zu einem kinderfreundlichen Land machen will, darf nicht nur auf die Politik schauen. Kinderfreundlichkeit beginnt am eigenen Arbeitsplatz, in der eigenen Nachbarschaft.

Wir haben uns fürs neue Jahr viel vorgenommen. Manches wird nur mit Hilfe der anderen Parteien zu verwirklichen sein. Und ich hoffe: Es wird trotz der anstehenden Wahlkämpfe verwirklicht werden.

Wenn sich Deutschland entschlossen und geschlossen modernisiert, profitiert nicht nur unser Land. Ganz Europa schaut und hofft auf unsere Anstrengungen.

Und wir schauen und hoffen auf Europa: Denn gemeinsam setzen wir auf den Ausgleich von Interessen, auf starke internationale Partnerschaften und auf die Politik der Vereinten Nationen.

Ich glaube, die Ereignisse der vergangenen Wochen geben auch international Anlass, zuversichtlich ins neue Jahr zu sehen:

Iran und Libyen haben sich bereit erklärt, internationale Waffenkontrollen zuzulassen.

In Afghanistan stehen freie Wahlen bevor. Deutsche Soldaten und Zivilisten, helfen mit, dass das möglich wird.

Weil wir in Deutschland gelernt haben: Wir sind Teil der einen Welt: Lassen Sie uns mit Vertrauen und Zuversicht ins neue Jahr gehen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein frohes und gesundes, ein friedliches und erfolgreiches Neues Jahr.