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Wundenlecken bei den Grünen

Kay-Alexander Scholz18. Oktober 2013

Die Grünen sind ein Verlierer der Bundestagswahl. In Berlin diskutiert die Partei, was falsch gelaufen ist. Die Kritik fiel am ersten Tag des Treffens sehr deutlich aus.

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Bundesparteitag der Grünen in Berlin (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wundenlecken bei den Grünen

"Das ist ein Parteitag des Anfangs und Neubeginns", sagte der Parteivorsitzende Cem Özdemir in seiner Eröffnungsrede in Berlin. Rund 800 grüne Delegierte sind hier zu ihrer 36. Bundesdelegiertenkonferenz zusammengekommen. Ihnen rief Özedmir zu, offen zu diskutieren, was die Grünen im Wahlkampf falsch gemacht hätten. Das Wahlergebnis habe weh getan, so Özedmir.

Die Grünen haben bei der Bundestagswahl am 22. September nur 8,4 Prozent der Stimmen bekommen. Sie bilden damit nun - nach der Linkspartei - die kleinste Fraktion im neuen Bundestag, der sich in der nächsten Woche konstituieren wird. Die Enttäuschung über dieses Ergebnis ist groß, denn die Grünen hatten nur Monate davor rund doppelt so hohe Umfragewerte.

Fehler im Wahlprogramm

Özdemir nannte drei Gründe für diese "Wahlschlappe". Zum einen der sogenannte Veggie Day. Die Grünen hatten einen vegetarischen Tag in Kantinen vorgeschlagen. Das kam bei vielen in der Bevölkerung und beim politischen Gegner als Politik mit erhobenem Zeigefinger an. "Man traut uns zu, dass wir den Leuten vorschreiben wollen, was sie essen sollen", sagte Özedemir. Da sei einiges durcheinander geraten.

Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen (Foto: dpa)
Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der GrünenBild: picture-alliance/dpa

Auch der Vorschlag der Grünen, die Steuern für gut verdienende Arbeitnehmer zu erhöhen, hatte für Kontroversen gesorgt. Davon wollte Özedmir nicht abrücken. Man brauche maßvolle Steuererhöhungen, denn der Staat brauche Mittel, um Bildung und Infrastruktur zu finanzieren. Er sei gespannt, was CDU und SPD in diesem Punkt nun verhandeln, so Özedemir. Beide Parteien wollen eine gemeinsame Bundesregierung bilden und in der kommenden Woche die Koalitionsverhandlungen dafür beginnen.

Außerdem hatten die Grünen mitten im Wahlkampf mit einer Debatte um die Forderung nach Straffreiheit für Pädophilie in den Anfangsjahren der Partei zu kämpfen. Dazu soll nun eine parteiinterne Kommission eingerichtet werden.

"Machtoptionen fallen nicht vom Himmel"

Die Grünen seien nicht aus der Spur geraten, sagte Jürgen Trittin, der ein Spitzenkandidat im Bundestagswahlkampf war. Man habe nur zu wenig über die Ziele geredet - vor allem auch in der Steuerdebatte. Außerdem habe man wohl die Veränderungsbereitschaft in wirtschaftlich guten Zeiten überschätzt. "Wir haben uns selbst überschätzt und die Macht der Konkurrenz unterschätzt", so Trittin.

Der Grünen-Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl, Jürgen Trittin (Foto: dpa)
Der Grünen-Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl, Jürgen TrittinBild: picture-alliance/dpa

Neben der Wahlniederlage sind auch die Sondierungsgespräche der Grünen mit CDU/CSU gescheitert. Viele Beobachter hatten ein sogenanntes schwarz-grünes Bündnis im Bund für möglich gehalten. "Es gab nicht genügend Gemeinsamkeiten und zu viele Widersprüche", bilanzierte Trittin die Gespräche. Dennoch sei der Dialog sehr konstruktiv gewesen. "Doch Machtoptionen fallen nicht vom Himmel." Beide Seiten müssten daran arbeiten.

Trittin, der sich aus der Parteiführung zurückziehen will, gab den Grünen mit auf den Weg, sich nicht auf eine Ein-Themen-Partei reduzieren zu lassen. Neben der zentralen Aufgabe einer ökologischen Modernisierung seien die Themen Europa und Gerechtigkeit wichtige Themenfelder einer grünen Politik.

Im "allerbesten Alter"

Die Grünen möchten auf dem dreitägigen Treffen nicht nur Bilanz ziehen, sondern auch strategische Fragen besprechen. Die Partei möchte sich klarer öffnen für neue Bündnisse zum Beispiel mit der CDU oder der Linkspartei. Um diesen Spagat in Zukunft hinzubekommen, wollen die Delegierten diskutieren, was grüne Politik in Zukunft ausmachen soll.

Die Grünen seien nun 33 Jahre alt und damit im "allerbesten Alter". "Da müssen wir uns klar sein, wo wir stehen und wer wir sind." Man habe einmal bei den Grünen gesagt, sie seien weder links noch rechts, sondern vorne. "Da müssen wir wieder hin", sagte Özedmir.

"Wir sind zu staatsgläubig geworden"

Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg - einziger grüner Ministerpräsident in Deutschland - analysierte die Wahlniederlage in seiner Rede grundlegend. Er hob die Diskussion auf eine programmatisch-grundsätzliche Ebene. "Wir sind zu staatsgläubig geworden", so sei seine These. Denn die Grünen müssten das Verhältnis von Staat, Markt und Zivilgesellschaft neu ordnen. Viele Themen, die von den Grünen in den vergangenen Jahrzehnten auf die Agenda der Politik gesetzt wurden, seien nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wie zum Beispiel der Atomausstieg, der von Kanzlerin Angela Merkel umgesetzt wurde.

Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann (foto: REUTERS)
Nachdenklich: Der grüne Ministerpräsident KretschmannBild: Reuters

Deshalb sei die Lage der Grünen aktuell eine andere. Kretschmann fragte rhetorisch in den Saal, ob die Grünen denn noch das Vertrauen in der Bürgerschaft und in der Wirtschaft hätten? "Wir müssen das Zutrauen dort zurückgewinnen", forderte Kretschmann. Denn es sei wichtig, nah an der Wirtschaft zu sein, "um sie in unsere Richtung zu schieben". Es bedürfe einer neuen "Politik des Gehörtwerdens" im Dialog mit den Bürgern. Der "Sound der grünen Politik" müsste sich ändern. Kretschmann forderte die Delegierten auf, dieses Signal auszusenden.

Am Samstag wollen die Grünen eine neue Führung wählen und damit auch einen Generationenwechsel vollziehen. Die Gründergeneration, zu der Jürgen Trittin, Claudia Roth und Renate Künast gehören, werden aus der ersten Reihe abtreten.