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"Wir erwarten viel von den türkischen Kandidaten"

Vedat Acikgöz 28. August 2005

Im Wahlkampf wird auch um die Stimmen von Eingewanderten gekämpft. Die betrachten die deutsche Politik jedoch oft mit Skepsis. Ein Besuch in Kreuzberg.

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Wahlkampf in Kreuzberg: Müntefering und Iyidirli (r.)Bild: dpa - Bildfunk

Türkische Frauen in Kreuzberg Berlin
Zwei Frauen schauen in Berlin-Kreuzberg Kinderwaren an (2003)Bild: AP

Mehmet Demircan lebt schon seit über 30 Jahren in Berlin. Als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, ist er mittlerweile selbst ein Unternehmer. In seiner Schädlingsbekämpfungs- und Holzschutzfirma in Berlin-Kreuzberg beschäftigt er zwei Mitarbeiter, mit denen er in einem türkischen Restaurant zu Mittag isst. Auf dem Speiseplan stehen "Türkische Spezialitäten" - gefüllte Paprika mit Reis und Tzaziki.

Er und seine Kollegen fühlen sich wohl in Kreuzberg. Denn hier ist es ein bisschen wie in der Heimat. Türkische Restaurants, Lebensmittelläden oder Bäckereien. In den letzten Jahren seien die Probleme in ihrem Stadtteil drastisch gewachsen, sagt Mehmet Demircan: "Als Arbeitgeber sehe ich täglich, wie viele Menschen sich in den letzten zwei Jahren bei uns für eine Stelle bewerben. Die Zahl steigt ständig." Noch vor fünf Jahren sei es im Monat durchschnittlich einer gewesen; in diesem Jahr würden sich täglich zwei bis drei Menschen bewerben. "Daran sieht man, wie ernst die Lage zurzeit in Deutschland ist", sagt Demircan.

Keine Erwartungen an die CDU

Recep Erdogan in Berlin Kreuzberg
Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan schüttelt bei seinem Besuch im Januar 2004 in Kreuzberg die HändeBild: AP

Kreuzberg ist der Multikulti-Bezirk in Berlin. Der Ausländeranteil liegt in diesem Stadtteil bei rund 30 Prozent und ist geprägt von hoher Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität. Auf den Straßen von Kreuzberg hängen bereits Wahlplakate verschiedener Parteien, die für ihre Direktkandidaten werben. Diesen Wahlplakaten schenke er keine Beachtung, sagt Demircan: "Ich erwarte nichts von den Wahlen. Alle erwarten, dass ja Angela Merkel die Wahlen gewinnen wird. Im Moment denke ich nicht, dass sie etwas ändern könnte."

So ähnlich wie er denken viele in Berlin-Kreuzberg. Im Friseurladen von Selim wird hauptsächlich über die türkische Politik gesprochen. Denn die Hoffnung, dass sich in Deutschland etwas ändert, haben viele aufgegeben. "Von den Reformen Schröders habe ich bisher nichts Positives gesehen. Aber es gibt sonst niemanden, den man wählen könnte. Bei CDU/CSU-Politikern sehe ich, dass sie überhaupt keinen Bezug zu Ausländern haben", sagt einer. Ein anderer: "Seit zehn Jahren gibt es keinen Politiker, der wirklich Politik für uns macht. Schröder ist erfolglos, aber es gibt keine Konkurrenz für Schröder." Ein Dritter nennt die Sozialdemokraten "die Guten unter den Schlechten".

Ärger über Türken als Wahlkampfthema

Wahlkampf Kreuzberg Kurt Beckstein in Berlin
Der bayerische Innenminister Kurt Beckstein (2. v. l.) in einem türkischen Restaurant in KreuzbergBild: AP

Ob CDU/CSU, SPD oder andere Parteien - zu viel hätten Politiker schon versprochen, was sie nach den Wahlen nicht eingehalten haben, klagen sie. Dass sie als Türken zum Wahlkampfthema gemacht werden, ärgert besonders die Jugendlichen. Enttäuscht sind die Türken in Kreuzberg auch von den türkischstämmigen Parlamentariern. Kaum einer kümmere sich um die Belange seiner Landsleute. So hätten Politiker wie Lale Akgün von der SPD oder der jetzige Europa-Abgeordnete der Grünen, Cem Özdemir, ihre Wahlversprechen nicht eingehalten, beklagt ein Bauarbeiter: "Wir erwarten immer viel von den türkischen Kandidaten. Ich werde zum fünften Mal an den Wahlen teilnehmen. Und immer habe ich eigentlich die türkischen Kandidaten gewählt. Aber bisher haben sie von ihren Wahlversprechen nichts eingehalten."

Einen Hoffnungsträger haben sie trotzdem bei den kommenden Wahlen. Der türkischstämmige Politiker Ahmet Iyidirli ist Direktkandidat der SPD in Kreuzberg. Er lebt seit 30 Jahren unter ihnen, in "Klein-Istanbul".