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Willkommen im Land der Abschottung?

Daniel Heinrich2. September 2015

Deutschlands Politiker diskutieren über ein Einwanderungsgesetz. Die SPD erhöht den Druck auf die Union. Doch die sträubt sich. Wie sinnvoll die Änderungen wären, ist sowieso fraglich.

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Dunkelhäutiger Flüchtling hinter Metallstäben (Foto: picture-alliance/dpa/N. Armer)
Bild: picture-alliance/dpa/N. Armer

Auf der einen Seite ist die Flüchtlingskrise "Chefsache". Auf der anderen will Angela Merkel von einem Einwanderungsgesetz nichts wissen. Die SPD macht jetzt Druck. Allen voran Fraktionschef Thomas Oppermann: "Wenn die Kanzlerin das nun auf die lange Bank schiebt, macht sie einen schweren Fehler", sagte er in Berlin. Die SPD, im Zusammenschluss mit den Grünen und den Linken, fordert eine schnelle Lösung beim Einwanderungsgesetz.

Thomas Groß vom Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück hält ein Einwanderungsgesetz aus mehreren Gründen für notwendig: "Zum einen braucht man gesetzliche Regelungen, um die Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern." Zudem, so der Experte im DW-Gespräch weiter, könne ein Einwanderungsgesetz den unkontrollierten Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland unterbinden.

In der Union gibt es allerdings noch Widerstand. Angela Merkel hatte erst kürzlich erklärt, dass es für sie derzeit "drängendere" Probleme gebe. Und auch seitens der CSU in Bayern gibt es Bedenken. Thomas Groß sieht in dieser zögerlichen Haltung die Fortsetzung einer Tradition: "Es gibt in Deutschland seit 40 Jahren eine Politik der Abschottung." Vor allem die Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten möchte man verhindern.

Wirtschaft freut sich über steigende Flüchtlingszahlen

Eines scheint klar: Lösungen müssen gefunden werden. Das Innenministerium erwartet einen neuen Höchststand bei Asylanträgen. 2015 sollen voraussichtlich insgesamt 800.000 Anträge gestellt werden. Und deren Zahl könnte noch steigen. Allein im August stellten 106.000 Menschen einen Asylantrag. Vor allem in der deutschen Wirtschaft sieht man darin riesiges Potenzial.

Thomas Groß vom Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück (Foto: Thomas Groß)
Thomas Groß: Vor allem bürokratische Hürden müssen abgebaut werdenBild: Thomas Groß

Anfang September hatte die Bundesagentur für Arbeit ihre neuen Zahlen vorgelegt: 106.000 weniger Menschen als zum vergleichbaren Zeitpunkt des Vorjahres sind arbeitslos. Es ist der niedrigste Stand seit 1991. Der Chef der Behörde, Frank Jürgen Weise, fand nun klare Worte für eine schnelle Eingliederung der Flüchtlinge: "Wir sind der Meinung, dass man in einer Situation, wo wir das Privileg einer so guten Entwicklung haben, diese Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen aussetzen könnte."

Das Verfahren bisher ist allerdings langwierig. Bisher muss die Bundesagentur in den ersten 15 Monaten, in denen ein noch nicht anerkannter Flüchtling Arbeit sucht, prüfen, ob nicht ein Bewerber aus Deutschland oder einem anderen EU-Land die gleichen Qualifikationen hat. Ein bürokratischer Bremsklotz für all diejenigen, die in Deutschland arbeiten möchten.

Auch Thomas Groß sieht in der Beseitigung der Bürokratie eines der drängendsten Probleme: "Vor allem müssen die Bedingungen für die Einwanderung erleichtert werden." Insbesondere die Sprachtests vor der Einreise stellen laut Groß ein Hemmnis dar.

Politische Antworten oder Schnellschüsse?

Aus dem politischen Berlin kommen immer mehr Forderungen. Die SPD will eine Einführung von sogenannten Kontingenten. In diesem Fall würde die Zahl der Flüchtlinge im Vorhinein festgelegt werden. Thomas Groß kritisiert den SPD-Vorstoß: "Solche Kontingente sind immer von Prognosen abhängig. Das kann man im Jahresrhythmus auch reduzieren." Eine langfristige Lösung, so der Experte, sehe anders aus. "Damit macht man Deutschland nicht zum Einwanderungsland."

Balkanroute (Grafik: DW)

Die Union will beim derzeitigen Vorschlagsmarathon auch nicht hinten anstehen und wagt sich in einem anderen Bereich weit aus dem Fenster. In der Debatte um "sichere" Herkunftsländer werden jetzt Forderungen nach einer Verfassungsreform immer lauter. Um diesen Automatismus verfassungskonform einführen zu können, muss der Grundgesetz-Artikel 16a geändert werden. In diesem ist lediglich eine individuelle Festsetzung sicherer Herkunftsländer vorgesehen. Nach dem Vorschlag der Union sollen Staaten, deren Bürger in Deutschland als Asylbewerber zu 99 Prozent abgelehnt werden, künftig automatisch als sichere Herkunftsstaaten gelten. Damit will man sofortige Abschiebungen erleichtern.

Zudem sollten per Verfassungsänderungen die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern neu verteilt werden. Dies würde dem Bund die Möglichkeit zur Beschleunigung von Aufnahme, Unterbringung und Betreuung der Asylsuchenden geben.

Zumindest der erste Vorschlag dürfte als politischer Schnellschuss schnell wieder verschwinden. Der Grund: Die Verfassung war in diesem Kontext schon 1992, zur Zeit des Jugoslawien-Krieges, geändert worden. Dementsprechend skeptisch äußert sich auch Thomas Groß: "Ich halte das nicht für sinnvoll. Das Bundesverfassungsgericht hat damals schon gesagt, dass eine Prüfung des Einzelfalls - ob nicht im Ausnahmefall doch eine politische Verfolgung vorliegt - nicht ausgeschlossen werden darf."

Mal ganz abgesehen davon, dass der neue Vorschlag zu den sicheren Herkunftsländern nicht mit dem europäischen Recht und der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar sind.

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