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Gegengewicht im Web

Das Gespräch führte Michael Knigge (np)23. Februar 2009

Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales schildert im Interview mit DW-WORLD.DE, warum Google keine beneidenswerte Konkurrenz ist und warum Jimmy Carter Respekt verdient. Und er verrät sein liebstes deutsches Wort.

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Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales
Jimmy Wales meint, mit Wikipedia ein Stück Geschichte geschrieben zu habenBild: AP
DW-WORLD.DE: Google hat vor einigen Wochen angekündigt, dass der Wikipedia-Konkurrent Knol die Marke von 100.000 Einträgen geknackt hat und stetig weiter wächst. Wie ernst nehmen Sie Knol?

Jimmy Wales: Ich denke überhaupt nicht, dass Knol ein Konkurrent ist. Knol ist nicht mit Wikipedia zu vergleichen und es hat kein Potential, sich zu so etwas wie Wikipedia zu entwickeln. Das Design erinnert mehr an eine Blogging-Plattform. Google will ausdrücklich, dass die Leute ihre eigene Meinung eintragen. Es kommt dadurch eher zum einer Art Kommentarstil. Außerdem gibt es keine redaktionellen Strukturen wie bei uns, mit denen wir eine höhere Qualität erreichen.

Andere, traditionellere Enzyklopädien wie Britannica oder Brockhaus beginnen auch, sich online zu präsentieren. Harte Konkurrenz?

Riesengroße Buchattrappen der Brockhaus-Enzyklopädie
Nachschlagewerke sind in Deutschland sehr beliebtBild: AP

Das ist eine gute Sache. Es ist sehr schwierig für sie, mit uns zu konkurrieren. Immerhin sind wir ein gemeinnütziges Projekt und haben keine Werbung auf der Seite. Die Ausgaben für das, was wir machen, sind gering und es scheint keine Nachfrage für ihr Produkt zu geben, also haben sie eine harte Aufgabe vor sich. Andererseits begrüßen wir alles und jeden. Wir sind keine wetteifernde Organisation, wir können zusammenarbeiten und sind kooperativ. Wir verteilen Sachen gratis, wir denken wirklich nicht viel an den Wettbewerb.

Können Sie sich eine Kooperation zwischen Wikipedia und beispielsweise Encyclopedia Britannica oder Brockhaus vorstellen?

Ja. Ich denke tatsächlich an so eine Kooperation, bei der die sich überlegen sollten, ob sie die vielen Bilder von Wikipedia ebenfalls verwenden wollen. So wie ich es verstehe, macht die Summe, die sie für Bildlizenzen bezahlen müssen, einen Großteil ihres Budgets aus. Eigentlich müssen sie Kosten sparen. Wir verteilen unsere Bilder gratis und sie können sie gerne benutzen.

Nach einem kürzlich gemachten falschen Eintrag bei Wikipedia, in dem stand, dass US-Senator Ted Kennedy gestorben sei, forderten Sie neue Kontrollmechanismen, um den Inhalt zu filtern. Verletzt dies nicht eine der zentralen Missionen von Wikepedia – den ungehinderten Informationsfluss zu erlauben?

Wir hatten immer Kontrollen. Wir hatten immer die Möglichkeit, Artikel zu sperren und das haben wir auch gemacht. Das hieß Schutz. Wir taten es allerdings nicht gerne, also führten wir den so genannten Halb-Schutz ein. Wenn ein Artikel halb geschützt ist, kann man ihn nur dann bearbeiten wenn man mindestens vier Tage lang ein Konto hat. Als wir dieses Prinzip vor einigen Jahren eingeführt haben, machte die Presse ein großes Trara. Aber wir dachten: 'Nein, wir lockern eigentlich die Kontrolle. Leute, die vorher keine Artikel bearbeiten konnten, waren nun in der Lage, es zu tun.' Es ist wirklich eine subtile Veränderung.

Lesen Sie auf der nächsten Seite welchen Wikipediaeintrag Jimmy Wales am liebsten mag.

Welches ist im Moment Ihr Lieblingseintrag oder –thema auf Wikipedia und warum?

Wikipedia-Logo in mehreren Sprachen
39 Sprachen hat Wikipedia im Angebot

Ich hab immer Spaß an schrulligen Artikeln, die sich mit verschiedenen, lustigen Dingen beschäftigen. Einer, den ich wirklich mag, heißt "inherently funny words" (von Natur aus lustige Wörter), den es nur auf der englischen Wikipedia-Seite gibt. Viele berühmte Komiker haben darüber geredet, dass wenn du einen Witz erzählst, manche Wörter einfach lustiger zu benutzen sind als andere. Sie sagen auch, dass deutsche Wörter meist lustig klingen für jemanden, der Englisch spricht.

Sie sagen auf Ihren Wikipedia- und Facebook-Seiten, dass Sie schon seit einiger Zeit Deutsch lernen. Haben Sie ein deutsches Lieblingswort?

Glockenspiel. Es hört sich gut an und es hat Sie zum Lachen gebracht.

Warum ist Deutsch die wichtigste Wikipedia-Sprache nach Englisch? Warum nicht Spanisch, Chinesisch oder Japanisch?

Da gibt es verschiedene Gründe. Erstens pflegen Deutsche seit langem eine Liebe zu Enzyklopädien. Außerdem denke ich, Deutsche sprechen besser Englisch als Franzosen, also hatten sie früher von Wikipedia gehört and konnten mehr mit der internationalen Community interagieren.

Kinder, die heute in der westlichen Welt aufwachsen, werden ein Leben ohne den sofortigen Zugang zu Information über das Internet nicht kennenlernen. Ist das etwas Gutes oder etwas Schlechtes?

Ich denke einfach, dass die Welt nun mal so ist. Wir können uns auch nicht mehr an die Zeit erinnern, als es keine Telefone gab. Ich erinnere mich allerdings an die Zeit, in der es noch keine Mobiltelefone gab, oder als sie noch groß wie Backsteine waren. Meine Tochter wird sehr sauer wenn sie ihren Computer irgendwo aufklappt und kein drahtloses Internet-Signal bekommt. Ich denke, das ist okay, ich denke, das ist Fortschritt.

Junge Mädchen mit Laptops
Nicht mehr wegzudenken - Computer mit Internet für Kinder und JugendlicheBild: AP

Die Gründer von Google und Facebook haben mit ihren Firmen hunderte von Millionen oder Milliarden Dollar verdient. Wünschen Sie sich manchmal, Sie hätten statt Wikipedia eine kommerzielle Seite gegründet?

Nein. Die Sache mit Wikipedia ist, es hat eine gewisse kulturelle Wichtigkeit. In 500 Jahren, wenn die Menschen zurückschauen auf die Anfänge des Internets, werden sie auf Wikipedia zeigen und sagen: 'Das war etwas wirklich Wichtiges, das da geschehen ist, etwas wirklich Gutes. Leute haben sich freiwillig zusammengetan, um in einem nicht-kommerziellen Rahmen ihr Wissen zu teilen und haben damit etwas Erstaunliches geschaffen.' Und ich bin stolz, ein Teil davon zu sein.

Ist Barack Obama der erste Präsident, der das Internet wirklich begriffen und verstanden hat?

Dazu habe ich einige Dinge zu sagen. Ich kenne Jimmy Carter, und er kann wirklich gut mit dem Internet umgehen. Als ich ihn getroffen habe, dachte ich: 'Oh, wie aufregend. Ich werde ihm meine Arbeit erklären müssen, er ist ein älterer Herr, er wird vermutlich keine Ahnung haben.' Aber er weiß alles über Wikipedia, er benutzt es ständig. Er versteht, wie es bearbeitet wird, ein unglaublicher Typ. Aber das ist Jimmy Carter, er ist wirklich eine einmalige Person. Ich bezweifele, dass Georg W Bush überhaupt irgendetwas über das Internet weiß. Vor kurzem habe ich mit dem "Transition Team" von Obama gesprochen und danach war ich super-glücklich. Sie haben mich angesprochen, um über die Website zu reden und einige allgemeine Ratschläge zu bekommen. Und um zu fragen, ob ich Ideen für sie hätte. Das finde ich beeindruckend.

Jimmy Wales ist Mitgründer von Wikipedia, dem kostenlosen Onlineportal, das 2001 gestartet, inzwischen als die größte Enzyklopädie weltweit gilt. Außerdem ist Jimmy Wales Mitglied im Vorstand der Wikimedia Foundation, Gründer des kommerziellen Internetportals Wikia und - laut "Time Magazine" - einer der 100 einflussreichsten Menschen der Welt.