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Wikileaks veröffentlicht US-Depeschen selbst

2. September 2011

Nachdem sensible Informationen durch eine Datenpanne ungewollt in die Öffentlichkeit geraten waren, stellt Wikileaks die US-Botschaftsdokumente nun auch selbst komplett online - inklusive der Namen von Informanten.

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Die Enthüllungsplattform Wikileaks, dahinter Julian Assange (Foto: pa/dpa)
Wikileaks tritt mit der Veröffentlichung geheimer Dokumente die Flucht nach vorn anBild: picture alliance/dpa

Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat vor ihrem eigenen Datenleck kapituliert und nun selbst alle heiklen US-Depeschen ungeschwärzt ins Internet gestellt. Seit vergangener Nacht ist auf der Onlineseite ein kompletter Datensatz mit mehr als 250.000 Dokumenten abrufbar, wie Wikileaks am Freitag (02.09.2011) über den Kurznachrichtendienst Twitter bekanntgab. Auch alle Namen von Informanten der US-Botschaften, die teils sensible Informationen lieferten, sind damit öffentlich.

Mit der Bekanntgabe geheimer Botschaftsdokumente aus dem US-Außenministerium wollte Wikileaks die Machenschaften der Großmacht anprangern. Wikileaks-Gründer Julian Assange hatte allerdings mit seinen Medienpartnern - darunter auch das deutsche Magazin "Der Spiegel" - vereinbart, die Namen von Informanten, deren Sicherheit durch eine Veröffentlichung gefährdet sein könnte, zu schwärzen. Dann aber geriet nach einer Serie von Pannen die verschlüsselte Datei mit den ungeschwärzten Namen in Umlauf.

"Wikileaks hat viel Vertrauen eingebüßt"

Wikileaks-Gründer Assange (Foto: AP/dapd)
Wikileaks-Gründer Assange steht derzeit in Großbritannien unter HausarrestBild: dapd

Die Medienpartner von Wikileaks verurteilten den Schritt der Enthüllungsplattform, die ungeschwärzten US-Diplomatendepeschen nun selbst zu veröffentlichen, scharf. In einer gemeinsamen Erklärung, die die Zeitungen "Guardian", "New York Times", "El País" und "Der Spiegel" am Freitag veröffentlichten, heißt es, sie bedauerten die Entscheidung von Wikileaks. Dadurch könne das Leben der Quellen gefährdet werden. Die Veröffentlichung der Depeschen sei die "alleinige" Entscheidung von Julian Assange gewesen, erklärten die Zeitungen.

Auch das US-Außenministerium hatte Wikeleaks vorgeworfen, mit der Veröffentlichung von Depeschen, in denen die Namen von Quellen nicht unkenntlich gemacht wurden, Menschenleben zu gefährden. Es wird befürchtet, dass insbesondere in autoritären Staaten Informanten nun Verfolgung droht.

Viele Experten bezeichneten den Vorfall als absolutes Desaster für die Enthüllungsplattform, zumal diese sich den Schutz von Quellen auf die Fahnen geschrieben hatte. Die Bloßstellung der Informanten könnte das Vertrauen von potenziellen "Whistleblowern" in Wikileaks nun nachhaltig beschädigen. "Spiegel"-Chefredakteur Georg Mascolo sagte, Wikileaks habe "viel an Vertrauen eingebüßt".

"Guardian"-Journalist veröffentlichte Passwort

Wer genau das Datenleck verursacht hat, darüber wird gestritten. Die Betreiber der Plattform machen einen Journalisten der britischen Zeitung "Guardian" dafür verantwortlich, dass das gesamte Archiv geheimer US-Depeschen inzwischen völlig unredigiert im Internet kursiert. Der Reporter David Leigh hatte das Passwort zur Entschlüsselung der Botschafts-Telegramme in einem bereits im Februar erschienenen Buch über Wikileaks veröffentlicht.

Leigh hatte die sensiblen Daten von Wikileaks erhalten, als die Enthüllungsplattform und der "Guardian" noch in einer Medienpartnerschaft verbunden waren. Diese Kooperation zerbrach nach mehreren kritischen Artikeln in der Zeitung über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange. Der Wikileaks-Gründer war am 7. Dezember in Großbritannien festgenommen worden. Zuvor hatte er sich wegen in Schweden erhobener Vergewaltigungsvorwürfe der Polizei gestellt. Der 40-Jährige weist die Anschuldigungen zurück und wehrt sich derzeit gegen eine Auslieferung.

Wechselseitige Vorwürfe

Die Internetseite von Wikileaks mit dem Wort 'Sekret' - zu deutsch 'geheim' auf dem Monitor (Foto: dpa)
Wirklich geheim waren die 250.000 US-Depeschen bei Wikileaks schon länger nicht mehrBild: dpa

Die Wikileaks-Betreiber werfen dem "Guardian"-Journalisten Leigh nun vor, er habe in seinem Buch "rücksichtslos und ohne Erlaubnis und im vollen Wissen das Entschlüsselungspasswort enthüllt". Dies sei in einem "Akt grober Fahrlässigkeit oder Bosheit" geschehen, so Wikileaks in einer Twitter-Meldung.

Leigh wies die Anschuldigung, gegen die Sicherheitsvereinbarung verstoßen zu haben, zurück. Er rechtfertigte die Veröffentlichung des Passworts in seinem Buch am Donnerstag mit dem Hinweis, ihm sei damals mitgeteilt worden, es handele sich um einen Code, der "innerhalb von Stunden" auslaufen und gelöscht werden würde. In der Stellungnahme von Leigh und dem Chefredakteur des "Guardian", Alan Rusbridger, heißt es weiter, das Passwort sei zwar tatsächlich aufgeführt, es seien aber keine Angaben darüber gemacht worden, wo die Dokumente zu finden seien. Da das Passwort aber nie verändert wurde, konnte die verschlüsselte Datei, die schon seit geraumer Zeit im Netz kursiert, damit entschlüsselt werden.

Veröffentlichung brachte Weltdiplomatie ins Wanken

Wikileaks hatte bereits im November 2010 damit begonnen, die der Plattform zugespielten US-Diplomaten-Depeschen in Zusammenarbeit mit mehreren Zeitungen ins Netz zu stellen. Die Papiere bieten einen schonungslosen Blick hinter die Kulissen der internationalen Politik. Deren Veröffentlichung erschütterte die Weltdiplomatie und brachte die US-Regierung in Bedrängnis. Die Regierung in Washington verurteilte die Veröffentlichung der Botschaftsdepeschen und kündigte an, gegen die Hintermänner vorzugehen. Kurz darauf waren die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange bekanntgeworden, daher hatten Sympathisanten darin ein Komplott gewittert.

Seit seiner Gründung im Jahr 2006 ist Wikileaks für spektakuläre Enthüllungen gut. So stellte die Plattform 2007 etwa ein Militärhandbuch für Guantánamo online, das Bestimmungen der US-Streitkräfte für den Umgang mit Gefangenen enthielt. Im April 2010 wurde ein Video der US-Streitkräfte zu einem Luftangriff im Irak veröffentlicht. Der Film dokumentiert einen Angriff auf Journalisten und andere Zivilisten.

Autorin: Ursula Kissel (dpa, afp, dapd)
Redaktion: Sabine Faber