1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Tod für Kinder

Ruth Rach 18. Februar 2009

Sie stellt eine Frage, die viele vor ihr schon gestellt haben. Doch sie findet ganz eigene Antworten. Die Jung-Autorin Sally Nicholls wagt sich in ihrem Debütroman „Wie man unsterblich wird“ an große Themen heran.

https://p.dw.com/p/GwnG
Schlafender Putto, vermutlich Ende 17. Jh., Museum Schnütgen
Wie stellt ein Kind sich den Tod vor?Bild: presse/Museum Schnuetgen

“Im Gegensatz zu Erwachsenen haben Kinder keine Angst vor dem Tod”, sagt Sally Nicholls über ihren Besteller „Wie man unsterblich wird, jede Minute zählt.“ Kinder wollten immer alles ganz genau wissen, selbst wenn es sich um den Tod drehe. In der Konsequenz heiße das aber auch: Kinder könnten viel besser mit diesem Thema umgehen, sagt Sally.

Mit rotzfrechen Worten gegen Tragik und Sentimentalität

Quelle: (AP Photo/Christof Stache)
Einmal rückwärts die Rolltreppe hoch. Ein letzter Wunschtraum des Kinderbuch-Helden Sam.Bild: AP

Sie ist selbst erst 25. Und hat sich mit ihrem Erstling gleich an ein ganz großes Thema herangewagt: Ihr Held, der 11-jährige Sam, hat Leukämie. Er weiß, er wird nur noch wenige Monate leben. Aber während seine Mutter verzweifelt über den Kauf von Bio-Obst nachdenkt, und sein Vater krampfhaft versucht, die Realitäten zu verleugnen, stellt Sam praktische Listen auf von all den Dingen, die er noch erleben will: Gespenster sehen, ein Mädchen küssen und verkehrt die Rolltreppe hochgehen. Zusammen mit seinem rotzfrechen Freund Felix, der vor Schwäche schon im Rollstuhl sitzt, macht er sich daran, seine Pläne umzusetzen. Eine ernste Geschichte, aber so frisch witzig und zugleich anrührend erzählt, dass keine Spur von Tragik oder Sentimentalität aufkommt.

Als Sally Nicholls für ihr Buch in einer Station für krebskranke Kinder Recherchen anstellte, erzählten ihr die Krankenschwestern, sie hätten es eigentlich nur einmal erlebt, dass sich ein kleiner Junge vor dem Tod fürchtete: Seine Eltern wollten ihm nicht sagen, dass er bald sterben würde. Auf der Station würden die kranken Kinder wie Erwachsene behandelt und ihre Eltern wie Kinder.

Kinder in Berliner Kindergarten
Sie sind kritische Zuhörer. Und scharfsinnige Fragensteller.Bild: picture-alliance/ZB

Vom Kinderbuchleser zum Kinderbuchschreiber

Sally Nicholls sitzt auf einem Ledersofa im Theatercafe des "Young Vic“ in London und nippt an ihrem Kaffee. Dunkle Augen, dunkle Haare, weiche ausdrucksvolle Züge. Schon als Kind hat sie Geschichten geschrieben, wenn sie nicht gerade Enid-Blyton Romane verschlang oder mit Freunden Baumhäuser baute. „Bücher, die ich als Kind las, haben in mir den tiefsten Eindruck hinterlassen“, sagt die Jungautorin für Kinderbücher. Und ganz im Stile eines Kindes sind es auch die großen Fragen, die sie beschäftigen: "Dinge, die am allerwichtigsten sind, wie Leben und Tod“

Nach dem Abitur legte Sally erst einmal ein Reisejahr ein, danach studierte sie Philosophie und Literatur, und machte anschließend den Magister in "Creative Writing“. Ihr Debütroman entwickelte sich direkt aus einer Seminararbeit – die ihr nicht nur einen Preis einbrachte, sondern auch einen literarischen Agenten und wenige Monate später einen Verleger.

Der Tod war bereits ein Thema ihrer Jugend

Sally Nicholls habe, so sagt sie, eine glückliche Kindheit gehabt. Aber es gab doch zwei Geschehnisse, die ihre Romane entscheidend geprägt haben: Bei Sally wurde schon als Kind Diabetes diagnostiziert. Die Erwachsenen hätten ihre Krankheit als Katastrophe empfunden, während sie selbst viel gelassenener darauf reagierte, sagt sie. Daran könne sie sich noch genau erinnern. Woran sich Sally Nicholls nicht mehr erinnern kann, ist der Tod ihres Vaters, damals war sie noch ein ganz kleines Kind. "Was blieb, war das Wissen, dass jedem schreckliche Dinge zustoßen können, dass es passiert wie ein Blitz aus heiterem Himmel.“ Und bei dem, was ihr schon in jungen Jahren alles widerfahren ist, war eine Schlussfolgerung für sie logisch: "Ich habe nie angenommen, dass es mir nicht passieren könnte.“

Quelle: AP
Selbst über eine Kartoffel kann man etwas Spannendes schreiben, sagt Sally Nicholls.Bild: AP Graphics

Sally Nicholls wurde in der Tradition der Quäker erzogen. Eine Religion ohne Dogmen, mit Nachdruck auf ethischem Handeln, Authentizität und Innerlichkeit. In Quäkerversammlungen würden die Stimmen von Kindern ebenso respektiert wie die Stimmen von Erwachsenen, sagt Sally Nicholls. Und gerade Kinder stellen oft die ganz großen spirituellen Fragen. Aber manchmal brauchen sie ein bißchen Hilfe. Denn nicht jedes Kind habe immer eine Geschichte Griff bereit, um den Tod zu erklären, vor allem wenn es keinen religiösen Hintergrund hätte,erzählt sie. "Ich wollte ihnen die Chance geben, ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Antworten zu finden“, sagt Sally zu ihrer Motivation für das Buch.

Die eigene Stimme finden

Sally geht selbst gerne in Schulen, um Workshops in kreativem Schreiben abzuhalten. Ihre wichtigste Botschaft an die Kinder: "Ihr müsst eure eigene Stimme finden“. Und wie geht das? Sally schaut dann meist mit großen Augen in die Runde von Kindern. „Nehmt euch irgendein Objekt vor, und erfindet eine Geschichte – und denkt dabei bloß nicht an Grammatik, oder daran, wieviele Adjektive ihr verwenden solltet.“ Einfach drauflos schreiben sollten sie, schlichtweg zum Spaß. Wenn dann die meisten Kinder den ersten Entwurf als totalen Mist empfinden, tröstet die Jungautorin: "Mir geht das auch nicht anders. Ihr müsst richtig mit dem Text herumspielen und erst zum Schluss könnt ihr daraus etwas Schönes machen.“