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Wie heilig ist mein Körper?

9. Mai 2015

Der menschliche Körper wird verehrt wie wenig anderes. Sogar eine neue Disziplin beschäftigt sich mit der Lehre vom Fleisch. Diederich Lüken fragt sich für die evangelische Kirche, ob der Körper wirklich so viel gilt.

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Lucian Freud Bild bei Christie's in London

Ein neues Wort für alte Fragen
Ein neues Fremdwort hat das Licht der Welt erblickt: Carneologie. Initiiert hat es der Schriftsteller Volker Demuth, und er meint damit die Lehre vom Fleisch, und zwar vom menschlichen Fleisch. Es ist die Lehre also von dem, aus dem wir alle bestehen, unter dem wir alle leiden und das wir alle zu erhalten trachten. Volker Demuth geht dabei von der Beobachtung aus, dass das Fleisch neuerdings eine andere Aufmerksamkeit bekommt als in früheren Zeiten.

Die intimsten Dinge werden öffentlich
Die Zurschaustellung des Fleisches, vor allem des deformierten menschlichen Fleisches bestimmt zum Beispiel das Werk des Malers Francis Bacon. Lucian Freud, der Enkel des Propheten der Sexualität Siegmund Freud, setzt das Fleisch dem schonungslosen Blick des Malers und des Betrachters aus. Nackter als er kann man das Fleisch nicht darstellen, nackter, als jede Fotografie. Auch die Popkultur entdeckt das Fleisch. Lady Gaga inszeniert nicht nur perfekt ihre eigene Fleischlichkeit; bei den MTV Video Music Awards 2010 am 12. September 2010 trug sie ein Kleid aus Rindfleischstücken.

Das Fleisch verkommt zur Ware
Diese scheinbare Hochschätzung des Fleisches geht einher mit einer fundamentalen Abwertung. Fleisch wird zum Materiallager für Ersatzteile, wenn Sehnen, Nerven und Organe nicht mehr funktionieren. Damit wird das Fleisch kommerzialisiert, wird zu einem Konsumartikel, zu einer Ware. Schon existieren internationale graue und schwarze Märkte für Leichenteile und Organe. Am Ende dieser Skala steht die schmierige Ausbeutung vor allem des weiblichen Fleisches in Prostitution und Pornographie.

Der Unterschied zwischen Tier und Mensch
Die Philosophie des Fleisches, die Carneologie nimmt diese Entwicklungen in den Blick. Die Frage ist nur, ob sie die Abwertung des menschlichen Fleisches als Gegebenheit hinnimmt oder sich dagegen stemmt. Zu letzterem hätte sie allen Grund. Denn es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Fleisch eines Tieres und dem des Menschen. Ein Tier weiß nichts von seiner Fleischlichkeit, ein Mensch weiß es sehr wohl. Ein Tier nimmt sich hin, wie es sich nun einmal vorfindet. Der Mensch aber kann sich selbst und sein Dasein als Fleisch reflektieren.

Das Wort ward Fleisch
Sogar in ihren religiösen Vorstellungen beschäftigen sich vielen Menschen mit dem Fleisch. Es bekommt in der christlichen Bibel dadurch seine Würde, dass Gott in Jesus Christus als Mensch zur Welt kommt, also im Fleisch dem fleischlichen Menschen begegnet. Überboten wird diese Wertschätzung menschlichen Fleisches noch dadurch, dass Jesus Christus nicht etwa als körperloser Geist auferstanden ist, sondern als Mensch mit allen Zeichen der Fleischlichkeit. Die alte Kirche bekennt deswegen: „Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches.“ Selbst wenn man diesen Glauben nicht teilt, macht er doch etwas deutlich davon, dass das menschliche Fleisch keineswegs eine Verfügungsmasse ist, sondern dass es Respekt und Aufmerksamkeit verlangt, weil es etwas, nun ja, ein besseres Wort gibt es nicht dafür: Weil es etwas Heiliges ist.

Pastor Diederich Lüken Stuttgart
Pastor i.R. Diederich Lüken, StuttgartBild: EKD

Zum Autor: Diederich Lüken, Jahrgang 1952, ist Pastor in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Stuttgart-Bad Cannstatt. Er wurde in Veenhusen/Ostfriesland geboren, studierte Theologie in Münster, Reutlingen, Tübingen und Marburg. Seine beruflichen Stationen führten ihn nach Essen, Bebra, Velbert, Stuttgart-Weilimdorf (Rundfunkarbeit der Evangelisch-methodistischen Kirche) und Stuttgart-Bad Cannstatt. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Verantwortlicher Redakteur: Pfarrer Christian Engels