1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie geht's, Süße?

17. April 2009

Je länger man sich in den USA aufhält, desto häufiger fällt auf, dass in diesem Land bestimmte Redensarten erlaubt sind, die in Deutschland zumindest Erstaunen, wenn nicht sogar Sprachlosigkeit auslösen würden.

https://p.dw.com/p/HYfq
Bild: DW

Einerseits ist immer wieder von Globalisierung und Amerikanisierung die Rede. US Soap-Operas flimmern über deutsche Bildschirme, man "power-walked" mit einem "Coffee to go" von Starbucks durch die "City", und vereinzelte Lobbygruppen, wie der Verein Deutsche Sprache kämpfen beinahe hilflos gegen die Windmühlen dieser Anglizismen an. Andererseits kann man mit einiger Sicherheit behaupten, dass bestimmte Bräuche amerikanischer Rhetoriken es höchstwahrscheinlich nie über den großen Teich schaffen werden.

Jeder ist ein Sonnenschein

Ein in den Staaten sehr präsentes Beispiel sind die alltäglichen Liebkosungen, die einem bei jeder Gelegenheit widerfahren. Egal, mit wem man sich unterhält, wie gut man sich kennt, welchen sozialen Status man hat oder welcher Altersunterschied besteht - man ist schnell ein "Schatz" oder eine "Süße".

Im Supermarkt wird man an der Kasse mit einem routinierten, aber nicht uninteressierten "How are you doing today, sweetie?" (Wie geht's Dir heute, Süße?) begrüßt, als ob man sich gerade gestern noch beim gemeinsamen Yogakurs gesehen hätte. Für den Taxifahrer ist man ein "sunshine" (Sonnenschein), für den Rezeptionisten im Fitnesstudio ein "doll's face" (Puppengesicht), die Kellnerin deklariert gleich jeden am Tisch zum "honey" (Liebling). Auch unter Männern geht es innig zu: Vom Geschäftsmann bis zum Tankstellenwart, vom Greisen bis zum Schüler - jeder ist automatisch ein "buddy" (Kumpel).

Seltsamerweise wirken diese liebevollen Beinamen niemals irritierend oder gar anstößig. Es ist ein so selbstverständlicher und charmanter Teil der amerikanischen Geselligkeit, dass es jedes Mal ein Schmunzeln hervorzaubert.

Deutsche "Schätzchen" können sauer aufstoßen

Versucht man sich einen ähnlichen Umgangston in Deutschland vorzustellen, sähe sowohl die Wirkung als auch die Reaktion vermutlich etwas weniger warmherzig aus. Die Tage einer deutschen Kellnerin, die sowohl Männer als auch Frauen am Tisch mit der Anrede "Schätzchen" umgarnt, wären sicherlich in jedem Restaurant gezählt.

Auch ein Supermarktkassierer, der seine Kundschaft mit einem "Wie geht's Dir heute, Süße?" anlächelt, würde sich nicht nur eine neue Beschäftigung suchen, sondern auch Aufdringlichkeit und womöglich sexuelle Belästigung vorwerfen lassen müssen. Und wie würde sich wohl ein deutscher Geschäftsmann verhalten, wenn man ihn auf der Straße mit einem fröhlichen "Hey Kumpel!" nach dem Weg fragen würde?

Es sind nun mal die subtilen Unterschiede, die die so genannten kulturellen Besonderheiten ausmachen. Auch wenn die amerikanische Umgangsform mit ihrem Hang zum Smalltalk und übertriebener Nähe gerne als oberflächlich abgestempelt wird und man die Verbindlichkeit im Servicebereich vielleicht als berechnenden Geschäftssinn betrachten möchte - in diesem Land funktioniert es einfach.

Autorin: Sophia Kabir
Redaktion: Julia Elvers-Guyot