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Wie aussagekräftig ist das BIP?

12. Januar 2010

Die alljährliche Veröffentlichung des BIP sorgt für eine Debatte über Sinn und Unsinn des Zahlenwerks, denn "mehr" ist nicht immer "gut". Wirtschaftsexperten sind auf der Suche nach einem neuen Wohlstandsindikator.

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Ein Stahlarbeiter steht vor einem glühenden Stahlcoil, (Foto:dpa)
Stahlindustrie: Wichtiger Bestandteil des BIPBild: AP

Nach der wissenschaftlichen Definition umfasst das Bruttoinlandsprodukt die Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft. Das kurz als BIP bezeichnete Ergebnis versetzt alljährlich entweder in Hochstimmung oder Depression – je nachdem wie der Vergleich mit dem Vorjahr ausfällt.

Aussagekraft

Stadtansicht von Luxemburg - Stadt. (Foto:DW)
Reiches Land: LuxemburgBild: DW / S. Henn

Nach den Ergebnissen der vergangenen Jahre hat Luxemburg mit etwas mehr als 102.000 US-Dollar das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Die Bundesrepublik rangiert mit knapp 40.000 US-Dollar auf Rang 18. Auf dem letzten Platz landet Burundi, das lediglich 119 Dollar pro Einwohner aufweisen kann. Aber was sagen diese Zahlen über die tatsächlichen Lebensverhältnisse der Menschen aus?

Junge in Burundi blickt verängstigt in die Kamera in einem Flüchtlingslager. (Foto:AP)
Armes Land: BurundiBild: AP

Alfred Boss, Konjunkturexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hält das Bruttoinlandsprodukt an sich zwar für ein geeignetes Messinstrument, sieht aber auch seine Schwachstellen. Die Bevölkerungsdichte werde nicht berücksichtigt, "Do-It-Yourself-Aktivitäten und Schwarzarbeit werden natürlich nicht eingerechnet". Die Arbeitszeit, in der das BIP erwirtschaftet werde, bliebe ebenso unberücksichtigt wie die Freizeit, die den Menschen eines Landes verbleibt. Und schließlich spiele die Umweltbelastung, die durch eine Volkswirtschaft entsteht, keine Rolle.

Produktivität?

Die letzte Weltwirtschaftkrise hat ihren Anfang bei Pleite gegangenen amerikanischen Hausbesitzern genommen. Davor hatten die USA ein wesentlich höheres Wachstum als die Staaten der EU. Der Grund dafür war die immense Überschuldung der privaten Haushalte, die damit einen Konsum bewirkt haben, den sie in Wahrheit aber nicht bezahlen konnten.

Ein Helfer einer Umweltschutzorganisation hält an einem Strand an der walisischen Küste einen ölverschmierten, toten Seevogel in seiner Hand. (Foto:picture alliancez)
Reinigungsarbeiten nach Havarie eines Öltankers erhöhen das BruttoinlandsproduktBild: picture-alliance

Produktivität generiert sich auch, wenn Autofahrer im Stau stehen, weil sie dann mehr Sprit verbrauchen. Auch der leck geschlagene Öltanker steigert durch die Reinigungskosten, die seine Havarie verursacht, Produktivität. Schließlich ist wegen der steigenden Nachfrage nach Impfstoff jede Grippeepidemie gut fürs Bruttoinlandsprodukt. Zwar steigert sich das Bruttoinlandsprodukt, das Wohlbefinden der Menschen aber leidet unter dieser Steigerung.

Neuer Wohlstandsindikator gesucht

Das BIP ist umstritten, weil er einerseits Dinge berücksichtigt, die keineswegs produktiv sind, andererseits aber Leistungen ausblendet, die eigentlich dazu gehören. Deshalb hat Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy eine mehr als 20 Personen umfassende Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die das Bruttoinlandsprodukt durch einen modernen Wohlstandsindikator ersetzen soll.

Eine Frau hebt in der Küche am Herd den Deckel eines Kochtopfes und schaut in den Topf. (Foto:picture alliance)
Findet bisher keine Berücksichtigung: HausarbeitBild: picture-alliance/ ZB

Zwar könne man "Glück" nicht in Zahlen fassen, aber man sollte versuchen, die Lebensumstände und den sozialen Fortschritt angemessen zu berücksichtigen. Der neue Indikator müsse das Wohlbefinden der Menschen ebenso abbilden, wie er die Umweltverträglichkeit der Produktion einer Volkswirtschaft berücksichtigen müsse. Ferner gelte es ehrenamtliche Arbeit, haushaltsnahe Dienstleistungen und das Funktionieren des Öffentlichen Dienstes einzubeziehen.

Bis dahin wird es noch eine Weile dauern – also freuen oder ärgern wir uns weiter über das alljährliche Bruttoinlandsprodukt.

Autor: Matthias von Hellfeld

Redaktion: Hajo Felten