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Wichtiges Element der deutsch-polnischen Aussöhnung

28. Juli 2004

- Bundeskanzler Schröder nimmt an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands teil

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Berlin, 28.7.2004, DW-RADIO, Nina Werkhäuser

Bundeskanzler Gerhard Schröder reist am Sonntag (1.8.) nach Warschau, um an den Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands teilzunehmen. Schröder wird dabei nicht nur das neue Museum des Aufstands besuchen, sondern auch eine Rede bei der offiziellen Gedenkfeier der Regierung halten. Vor 10 Jahren war mit Roman Herzog zum ersten Mal ein deutscher Staatsmann zum Jahrestag des Aufstands eingeladen - eine schwere Reise für den damaligen Bundespräsidenten. Ein Background von Nina Werkhäuser.

Es war der polnische Präsident Lech Walesa, der Bundespräsident Roman Herzog vor 10 Jahren nach Warschau einlud. Am 1. August 1994 jährte sich der Beginn des Warschauer Aufstands zum 50. Mal, und Walesa hielt eine Gedenkfeier im Zeichen der Versöhnung für möglich. Viele Polen reagierten allerdings ablehnend auf die Einladung des Deutschen - zu schmerzlich war die Erinnerung an den verzweifelten Ansturm der schlecht ausgestatteten Kämpfer der "Armia Krajowa" gegen Wehrmacht und SS. Roman Herzog ließ sich trotzdem ein auf die Reise in jene Stadt, die die deutschen Besatzer nach der Niederschlagung des Aufstands dem Erdboden gleichgemacht hatten. Vor der Abfahrt sagte er der Deutschen Welle:

"Dort, wo es darum geht, den Aufständischen des Warschauer Aufstands Reverenz zu zollen und dabei auch noch eine Geste zu machen, die weit in die Zukunft weist - das ist schon eine wichtige Sache. Das hat mich nicht nur zufrieden gestimmt, das hat mich bewegt."

63 Tage lang hatten die Aufständischen im Sommer 1944 durchgehalten. Zwischen 150 000 und 200 000 Warschauer, vor allem Zivilisten, kamen bei den Kämpfen ums Leben, rund 200 000 wurden nach der Kapitulation der Armia Krajowa in Konzentrationslager oder zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht. Dieses Grauen sprach der polnische Präsident Lech Walesa am 1. August 1994 mit Nachdruck an - aber er streckte auch die Hand zur Versöhnung aus:

"Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Unsere Völker trennt ein Meer aus Blut. Dazu gehört auch das Blut der Kämpfer des Warschauer Aufstands. Durch dieses Meer ist der Weg zueinander weit. Anerkennung gebührt jenen, die als erste den Mut hatten zu sagen: Wir vergeben und bitten um Vergebung. Anerkennung gebührt auch denen, die in Warschau niedergekniet sind. Das war eine wichtige Geste der Versöhnung. Man darf den Hass nicht schüren und auf weitere Generationen übertragen. (...) Wir erteilen den Mördern von Warschau keine Absolution, aber wir übertragen diese Gefühle nicht auf das ganze deutsche Volk. Wir wollen und können mit Euch in Freundschaft leben als gute Nachbarn."

Herzog sagte in seiner Rede, es erfülle die Deutschen mit Scham, dass der Name ihres Landes auf ewig mit dem Schmerz und dem Leid verknüpft sein werde, das den Polen millionenfach zugefügt wurde:

"Heute aber verneige ich mich vor den Kämpfern des Warschauer Aufstands wie vor allen polnischen Opfern des Krieges. Ich bitte um Vergebung für das, was ihnen von Deutschen angetan worden ist."

Diese Bitte um Vergebung wurde in Polen positiv aufgenommen; sie war ein wichtiger Meilenstein in den schwierigen deutsch-polnischen Beziehungen seit dem Ende des Krieges. 10 Jahre später ist die Einladung an den Bundeskanzler kein Anlass mehr für Kontroversen in Polen, aber für Gerhard Schröder keinesfalls selbstverständlich:

"Ich habe mich sehr gefreut, dass die polnische Regierung, dass der polnische Staatspräsident mich eingeladen hat, zum 60. Tag des Warschauer Aufstands in Polen dabei zu sein."

So wichtig der Warschauer Aufstand für das polnische Selbstverständnis ist, so wenig wusste und weiß man in Deutschland darüber. Selbst Roman Herzog hatte ihn einige Wochen vor seiner Reise noch mit dem viel bekannteren Ghettoaufstand von 1943 verwechselt. Bundeskanzler Gerhard Schröder hingegen zog am 20. Juli 2004 eine Parallele zwischen dem Warschauer Aufstand und dem Widerstand deutscher Offiziere gegen Hitler:

"Europa hat heute guten Grund, diese beiden Daten, den 20. Juli und den 1. August 1944, als flammende Zeichen auf dem Weg zu einer wahren europäischen Wertegemeinschaft zu verstehen und in Ehren zu halten. Erst heute, 60 Jahre später, können wir dieses europäische Vermächtnis des Widerstandes vollenden, und wir müssen das auch. Denn der Kampf für Freiheit und Recht, gegen Gewaltherrschaft und militärische Aggression ist die wichtigste Grundlage dessen, was uns in Europa eint - seit der Erweiterung der EU am 1. Mai mehr denn je."

Als unpassend und provozierend empfanden viele Polen in diesem Zusammenhang die Gedenkveranstaltung des Bundes der Vertriebenen zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands in Berlin. Dessen Vorsitzende Erika Steinbach hat in Polen ohnedies wenige Freunde. Besonders scharf reagierte der frühere Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, der selbst am Warschauer Aufstand teilnahm. Die Polen bräuchten mit Sicherheit kein Mitgefühl vom Bund der Vertriebenen, die Rede Herzogs sei ausreichend gewesen. Der Warschauer Aufstand sei für viele Polen ein Heiligtum, so Bartoszewski - "Hände weg von diesem Heiligtum!" (TS)