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Who ist Who bei den ungarischen Konservativen

18. Juli 2003
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Budapest, 17.7.2003, PESTER LLOYD, deutsch

In der Zeit der Wende entstanden in Ungarn mehrere christlich-konservativ-national gesinnte Parteien und Gruppierungen. Mit Ausnahme des Fidesz (Bund Junger Demokraten – MD) spiegeln diese größtenteils die politische Palette der Zwischenkriegszeit bzw. die der wenigen halbfreien Jahre nach dem Krieg wieder.

Der Gewinner der ersten freien Wahlen im Jahre 1990, das im Herbst 1987 gegründete MDF, (Ungarisches Demokratisches Forum – MD) trug beispielsweise die Traditionen der liberal-konservativen christlichen, patriotischen Mittelklasse weiter. Ministerpräsident József Antall, der sich ursprünglich der ähnlich orientierten, in der Zwischenkriegszeit und 1945 bis 48 aktiven Kleinlandwirtspartei, der FKGP, anschließen wollte, beschritt einen gemäßigten Kurs, der dem MDF jedoch – auch durch seine mangelhafte Regierungsarbeit – im Jahre 1994 die Wahlniederlage einbrachte. Bereits 1993, nach den antisemitischen Ausritten des MDF-Vize-Vorsitzenden István Csurka, verließen die radikalen Nationalisten unter dessen Führung die Partei und gründeten ihre eigene, die MIÉP ("Partei der ungarischen Wahrheit und Leben"). Nach der Wahlniederlage kehrten auch die Liberalen dem MDF den Rücken und gründeten, unter der Führung des früheren Finanzministers Iván Szabó, die Demokratische Volkspartei (MDNP). Diese blieb bei den Wahlen 1998 ebenso erfolglos wie das MDF, das mit drei Prozent der Stimmen unter der 5-Prozenthürde landete. Dank der Unterstützung des Fidesz konnten aber 17 ihrer Abgeordneten in Einzelwahlkreisen ins Parlament gelangen und eine Fraktion gründen. Bei den Wahlen des Vorjahres konnten 23 MDF-Kandidaten, ebenfalls wieder nur dank des Bündnisses mit dem großen Partner, ins Parlament einziehen.

Trotz dieser Vorgeschichte kam es seitdem zu Spannungen zwischen den Parteien, da das MDF den Einverleibungsversuchen des Fidesz vehement widersteht. Die Partei sieht sich als Wortführer der antallschen (Jozsef Antall – MD) Traditionen und verfügt laut Eigenangaben über 25.000 Mitglieder sowie eine Jugendorganisation.

Rechtsradikale Partei 1998 erfolgreich

Die MIÉP, die 1993 aus dem MDF herausgebrochene Gruppe, erhielt bei den Wahlen 2002 nur etwas mehr als ein Prozent der Stimmen. Ihre nationalen, antikapitalistischen, chauvinistischen und auch antisemitischen Parolen geben ebenso wie ihre Symbole Grund dazu, diese Partei als Fortführer der Traditionen der Rechtsradikalen der Zwischenkriegszeit zu bezeichnen. Dafür liefern ihre verbreiteten Presseerzeugnisse reichlich Beweis. Zur Überraschung konnte die Partei bei den Wahlen 1998, bei der die linksliberale Horn (Gyula Horn – MD)-Regierung abgewählt wurde, mit 5,5 Prozent der Stimmen ins Parlament einziehen. Der regierende Fidesz nahm ihre indirekte Unterstützung – ohne es einzugestehen – an. Der willkürliche Führungsstil des alternden Parteivorsitzenden István Csurka aber führte zum Austritt und zum Ausschluss zahlreicher MIÉP-Politiker. Über seine Nachfolge wird in der Partei, die rund 10.000 Mitglieder haben soll, gestritten, aber auch mehrere parallele Organisationen sind bemüht, das Erbe dieser Partei anzutreten. Darunter befindet sich auch die Bewegung "Jobbik".

Veteranen von 1956

Eine Gruppe der von Csurka aus der MIÉP ausgeschlossenen Mitstreiter gründete die Ungarische Nationale Front, von der in der Öffentlichkeit aber nur wenig zu hören ist. Unter den rechtsgerichteten Organisationen, die gewöhnlich bei Demonstrationen und Kundgebungen in Erscheinung treten, befinden sich daneben auch verschiedene Gruppierungen der 56er. Seit der Wende unter sich zerstritten, gehören die Veteranen des Aufstandes unter anderem dem Weltbund der 56er Ungarn, den Arbeiterräten, dem Landesverband ungarischer politischer Häftlinge, dem Komitee der historischen Gerechtigkeit, dem Verband der politisch Verurteilten, dem Antibolschewistischen Komitee und anderen Organisationen an. All diese sind stark antikommunistisch geprägt , patriotisch eingestellt und vertreten (wie auch die MIÉP) vor allem die Verlierer der Wende. Es gibt auch mehrere, eher unbedeutende Organisationen, die gelegentlich auf Demonstrationen gegen die Aufteilung Ungarns durch die Friedensverträge von 1920 protestieren und Autonomie für die ungarischen Minderheiten oder sogar eine Revision der Friedensverträge fordern.

Traditionelle abgeschwächt

Die traditionellen Mitterechts-Parteien vegetieren zur Zeit stark abgeschwächt vor sich hin. Die FKGP war zwar Koalitionspartner des Fidesz, doch verlor die von dem politischen Abenteurer József Torgyán geführte Partei durch ihre Blamagen in der Regierung 2002 ihre Parlamentsvertretung. Eine Gruppe ihrer Politiker verbündete sich mit dem Fidesz und gelangte über dessen Liste ins Parlament. Andere gründeten gleich mehrere FKGPs, von denen aber kaum eine Zukunft hat, obwohl die ländliche Bevölkerung die Basis für eine Bauernpartei bieten würde. Die Christdemokraten sind ebenso gespalten. Der Großteil ihrer Wortführer ließ sich in den Fidesz integrieren und kam so zu einem Mandat. Die Rest-Partei, KNDP, wählte unlängst einen von diesen, Zsolt Semjén, zum Vorsitzenden, was vermutlich das Ende der Selbständigkeit der Partei bedeutet.

Die große Frage ist freilich, welchen politischen Weg die einzig bedeutende konservative Kraft, der Fidesz, einschlägt. Nach der unerwarteten Wahlniederlage 2002 zog sich Parteichef Viktor Orbán für längere Zeit zurück und gründete die Bewegung der Bürgerkreise. Diese sollten als überparteilich aufgefasste Basis der Stärkung der konservativen Kräfte dienen und dem Fidesz zum Sieg bei den nächsten Wahlen verhelfen. Nur wenige dieser Kreise engagierten sich aber bei Demonstrationen oder Aktionen der Rechten. Von Letzteren nimmt auch der Fidesz, der im Mai diesen Jahres als Ungarischer Bürgerbund einen Neuanfang startete, neuerlich Abstand. In welcher Weise sich der Fidesz zu all den genannten Kräften der Rechten verhalten wird, ob sein politischer Stil, die einzige wirklich bedeutende Oppositionskraft zu sein, ans Ziel führt, ist noch unklar. Sicher ist aber, dass Viktor Orbán eine Aktionseinheit aller Kräfte, die den Sozialisten und den Liberalen gegenüberstehen, anstrebt. Die Wahlarithmetik zeigt eindeutig, dass zu einem Wahlsieg des Fidesz all diese Stimmen, auch die der Rechtsextremisten, nötig sind. (fp)