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Westerwelle spricht von bewaffnetem Konflikt

10. Februar 2010

Die Bundesregierung hat den deutschen Afghanistan-Einsatz erstmals als "bewaffneten Konflikt" eingestuft. Vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestags stand derweil erstmals Oberst Klein Rede und Antwort.

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Deutsche Soldaten der schnellen Eingreiftruppe (Quick Reaction Force, QRF) üben im Marmal-Gebirge bei Masar-i-Scharif einen schweren Feuerkampf (Foto: dpa)
Die Strategie der Bundeswehr in Afghanistan soll geändert werdenBild: picture-alliance/dpa

Lange hatte sich die Bundesregierung um eine genaue juristische Qualifizierung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan gedrückt und trotz blutiger Kämpfe lediglich von einem Stabilisierungeinsatz gesprochen. Im November hatte sich Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der selbst bei den Gebirgsjägern gedient hat, von dieser Position gelöst und das Wort "kriegsähnliche Zustände" in den Mund genommen. Außenminister Guido Westerwelle machte nun Nägel mit Köpfen und nannte den Einsatz am Mittwoch (10.02.2010) im Bundestag einen "bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts".

Westerwelle redet vor dem Parlament (Foto: dpa)
Guido Westerwelle stuft den Afghanistan-Einsatz jetzt als "bewaffneten Konflikt " einBild: picture alliance/dpa

In einer Regierungserklärung betonte der FDP-Politiker: "Ob es uns gefällt oder nicht - so ist die Lage." Die Situation korrekt beim Namen zu nennen, sei man all denen schuldig, die sich vor Ort den Gefahren des Einsatzes aussetzen würden. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass die Einstufung als "bewaffneter Konflikt" rechtliche Konsequenzen für das Handeln der deutschen Soldaten und für die mögliche strafrechtliche Bewertung. "Ein einfaches 'Weiter so' ist keine Alternative. Ein einfaches Weggehen und Wegsehen ist es auch nicht", sagte Westerwelle.

In einem "bewaffneten Konflikt" sind laut Experten unter anderem die Vorschriften des Völkerstrafgesetzbuchs zu Kriegsverbrechen anwendbar. Demnach dürfen etwa auch Militärziele angegriffen und Kämpfer getötet werden. Ebenso hätten deutsche Soldaten auch nicht so schnell strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten.

Neuer Schwerpunkt: Ausbildung

Westerwelle warb im Bundestag für das neue Konzept, das den Schwerpunkt der Mission auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte verschiebt. Statt bisher 280 sollen künftig 1400 deutsche Soldaten diese Aufgabe übernehmen. Die Obergrenze für das Gesamt-Kontingent soll von 4500 auf 5350 Soldaten erhöht

werden.

Zudem wird die zivile Aufbauhilfe auf 430 Millionen Euro fast verdoppelt. Noch Ende des Monats soll das neue Mandat, das zunächst eine Laufzeit von einem Jahr haben soll, vom Bundestag endgültig verabschiedet werden. Das neue Konzept setzt die Beschlüsse der internationalen Afghanistan-Konferenz um, die Ende Januar in London stattfand.

Regierung nennt kein Abzugsdatum

Im Bundestag vermied es Westerwelle erneut, ein konkretes Datum für einen Truppenabzug zu nennen. "Wichtig ist uns, dass wir die Bestrebungen von Präsident Hamit Karsai, bis 2014 selbsttragende Sicherheitsstrukturen aufbauen zu wollen, in Zukunft noch deutlicher unterstützen möchten", so der Minister.

Auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg wollte sich nicht auf einen konkreten Zeitplan festlegen. "Zu sagen, dass wir an einem Tag X keine deutschen Soldaten mehr in Afghanistan haben werden, wird jenen in die Hände spielen, die nur darauf warten zu sagen: Wunderbar, dann werden wir genau dann die Uhren wieder zurückdrehen", sagte Guttenberg dem Fernsehsender Phoenix. Dies könne sich niemand wünschen.

Die SPD signalisierte grundsätzlich Zustimmung zum geplanten neuen Mandat. Die Koalition habe eine Reihe von SPD-Vorschlägen aufgegriffen, sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Seine Partei werde den Antrag deshalb "gründlich und verantwortungsbewusst" prüfen. Er forderte allerdings auch eine klare Abzugsperspektive für die Bundeswehr.

Oberst Klein übernimmt Verantwortung

Oberst Georg Klein (Foto: AP)
Er hat das Bombardement von Kundus angeordnet: Bundeswehr-Oberst Georg KleinBild: AP

Als erster Zeuge sagte Oberst Georg Klein vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zu dem verheerenden Luftangriff in Kundus aus. Dabei übernahm er die volle Verantwortung für das Bombardement. Der Bundeswehroffizier verteidigte seine damalige Entscheidung als "rechtmäßig". In seiner Stellungnahme drückte er aber auch sein Bedauern für die zivilen Opfer aus, wie Abgeordnete übereinstimmend berichteten. Die Opposition mahnte nach der mehrstündigen Anhörung weiteren Klärungsbedarf an. Klein hatte am 4. September 2009 angeordnet, zwei von Taliban entführte Tanklaster zu bombardieren. Dabei wurden bis zu 142 Menschen getötet, unter ihnen wahrscheinlich etliche Zivilisten.

Die etwa fünfstündige Vernehmung fand in einer nicht-öffentlichen Sitzung im Berliner Reichstagsgebäude statt. Der Oberst erklärte sich überraschend bereit, die Fragen der Ausschussmitglieder zu beantworten. Da die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen ihn prüft, hatte er das Recht, die Aussage zu verweigern.

Geteiltes Echo auf Kleins Aussagen

Vertreter der Regierungskoalition sahen Klein nach der Befragung entlastet. "Die einzige Motivation für seine Entscheidung war tatsächlich der Schutz der Soldaten", sagte der CDU-Vertreter im Ausschuss, Ernst-Reinhard Beck. Der Oberst habe dargelegt, dass er aus eigener Verantwortung gehandelt habe. Er habe zudem deutlich gemacht, dass er zivile Opfer soweit wie möglich habe vermeiden wollen, ergänzte der FDP-Vertreter im Ausschuss, Hellmut Königshaus.

Hingegen warf die Befragung für die Opposition viele neue Fragen auf. Der SPD-Obmann Rainer Arnold sagte: "Hier gibt es manche mysteriöse Dinge, die einer Aufklärung bedürfen." Der Grünen-Politiker Omid Nouripour forderte mehr Aufklärung über die Rolle der so genannten "Task Force 47", zu der auch Elitesoldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr gehören. "Alles was die Task Force 47 betrifft, müssen wir sehr genau hinterfragen", sagte Nouripour.

Todeslisten von NATO und KSK?

Derweil berichtet das Magazin "Der Stern", dass die NATO-Truppen in Afghanistan angeblich mit "geheimen Todeslisten" arbeiten würden. Nach Recherchen des "Stern" werden solche Listen benutzt, um Taliban-Kommandeure aufzuspüren, gefangen zu nehmen oder gar zu töten. Neben amerikanischen Spezialeinheiten solle auch das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr daran beteiligt sein. Im Einsatzführungskommando in Potsdam werde darüber entschieden, wen die Deutschen auf so genannte JPEL-Listen (Joint Priority Effects List/Gemeinsame Wirkunsvorrangliste) setzten. Die endgültige Genehmigung erteile aber das Hauptquartier der internationalen Afghanistan-Truppe ISAF in Kabul.

Autor: Reinhard Kleber/Marcus Bölz (afp, dpa, rtr, epd, ap)
Redaktion: Ursula Kissel/Julia Elvers-Guyot