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Wer war's?

30. August 2009

Nix mit Krise! Der Krimi hat Hochkonjunktur. Wenn es spannend wird, greift der deutsche Leser zu: Thriller verkaufen sich immer besser in deutschen Buchhandlungen. Warum ist das so? Eine Ermittlung.

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Krimibuchhandlung von innen

Wer kennt das nicht? Gefesselt an den Lesesessel steigt der Puls, das Herz schlägt schneller - man geht nicht mehr ans Telefon, man macht keinem mehr die Türe auf und Nahrungszufuhr oder Toilettengang müssen warten: Wer einen guten Krimi liest, kommt nicht mehr von ihm los. Nach der Erzählliteratur ist die Spannungsliteratur das beliebteste Genre bei deutschen Lesern. Jedes vierte Buch, das über den Ladentisch wandert, so schätzt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, ist ein Krimi.

Krimibuchhändler Manfred Sarrazin (Foto: Sophie Wenkel)
Krimibuchhändler SarrazinBild: Sophie Wenkel

Bei Manfred Sarrazin ist jedes verkaufte Buch ein Krimi: Er ist Inhaber der Krimibuchhandlung "Alibi" in Köln und bezeichnet sich selbst als Serientäter: "Ich habe seit meiner Jugend einen Krimi nach dem anderen verschlungen!" Jetzt ist das Hobby sein Beruf geworden.

Urfragen des Krimis

Das Faszinierende am Krimi, sagt Sarrazin, lasse sich auf zwei grundlegende Motive zurückführen, die den Menschen immer schon interessiert hätten: Erotik und Tod. Der Tod steht meist am Anfang des Krimis, dann die alles entscheidende Frage: Wer war’s? Die Urfrage aller Krimis wurde allerdings schnell fade, in den 1950er Jahren stellte sich eine neue Frage: Wie war's? So ließe sich zum Beispiel das Serienmordschema beschreiben. "Man kennt den Serienmörder und man weiß auch, wer der ihn jagende Polizist ist, aber die Spannung ergibt sich daraus: Wie kriegt man ihn?"

Abgezockte Ermittler und skurrile Mordfälle

Olaf Petersenn ist Lektor beim KiWi-Verlag (Foto: Sophie Wenkel)
KiWi-Lektor PetersennBild: Sophie Wenkel

Was macht Verbrechen mit Menschen? Welche Gründe kann es geben, dass man bestimmte Grenzen überschreitet? Welche Schwierigkeiten folgen daraus? Auch Olaf Petersenn weiß, welche Fragen ein guter Krimi beantworten muss. Er ist Lektor im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch, ein Publikumsverlag, der wenige, aber qualitativ hochwertige Krimis im Hardcover führt. "Krimis sind quasi Gefäße für alle Probleme, die Menschen haben und die werden nur dadurch in Gang gebracht, dass etwas Kriminelles passiert", so Petersenn. Die Lust, in die dunklen Stellen des Lebens zu leuchten, schrecke den Leser auch nicht vor Brutalität ab. "Da passieren dann eben auch üble Dinge." Die üblen Dinge beschäftigen in vielen Kriminalromanen nicht minder üble Ermittlerfiguren. Verbraucht, abgezockt, Verlierertyp - ein echter Ermittler darf kein strahlender Held sein, weiß Olaf Petersenn. Doch so sehr der melancholische Einzelgänger wie Henning Mankells Kommissar Wallander oder Patricia Cornwells hochintelligente Pathologin Kay Scarpetta den deutschen Leser auch begeistern - die heimischen Autoren holen in der Beliebtheit auf.

Global à la Schätzing, regional aus der Eifel

Buchcover von Frank Schätzing 'Der Schwarm'
Suspense aus Germany

Denn auch im deutschen Krimi werden zunehmend gesellschaftliche Probleme abgehandelt. Dabei ist die Spannbreite groß: Neben globalen Themen und Verschwörungstheorien, exotischen Tatorten und politisch brisanten Fällen gebe es beim deutschen Leser auch die Tendenz ins ganz Kleine, so KiWi-Lektor Olaf Petersenn. "Da hat man Ermittler, die aus dem Bergischen Land kommen oder aus dem Allgäu und auch immer gleich eine Region porträtieren. Es gibt Verlage, die mit Regionalkrimis gute Auflagen gemacht haben."

Der deutsche Krimibuchmarkt boomt, es wagen sich wieder mehr deutsche Autoren an das Genre heran. Das war nicht immer so, weiß Manfred Sarrazin. Die meisten deutschen Autoren seien schlicht zu gut erzogen, um richtig 'dreckige' Krimis zu schreiben. "Die glauben dann, mit ein bisschen Taxifahren und einem Germanistikstudium könne man selbst Figuren erschaffen", dabei fehle dann aber am Ende genau das, was einen Krimi erst richtig gut macht: Authentizität. "Wenn man einen Zuhälter in einem Krimi auftreten lassen will und den reden lassen will, und der ist authentisch, dann muss man einen Zuhälter kennen oder einen Journalisten kennen, der einen Zuhälter kennt. Ohne das geht es nicht."

Foto von Sarrazins Buchhandlung in Köln
Sarrazins Buchhandlung in KölnBild: Sophie Wenkel

"Je härter, desto besser!"

Während man früher versuchte, Milieus zu beschreiben, in die man sich selbst nicht wagte, hat die heutige Generation davor keine Scheu mehr. Viele Autoren recherchieren ihre Figuren vor Ort und eignen sich ihre Sprache an - das spürt man beim Lesen. Außerdem seien die aktuellen Autoren selbst schon mit den sprachlichen und erzähltechnischen Kniffen der englischsprachigen Autoren aufgewachsen. "Die haben das alles in sich aufgesogen, die kennen die Tricks", sagt der Krimibuchhändler. Und einen solcher Tricks hat er auch parat: "Wenn Sie den Wald in Flammen setzen wollen, brauchen Sie ein anständiges Zippo-Feuerzeug und einen Kanister Benzin. Wenn Sie den Leser in Flammen versetzen wollen, brauchen Sie einen Konflikt - je härter, desto besser!"

Autorin: Sophie Wenkel

Redaktion: Gabriela Schaaf