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Wer nimmt sie?

25. Januar 2009

Noch existiert keine offizielle Anfrage des neuen US-Präsidenten Obama. Doch die Diskussion, ob Häftlinge aufgenommen werden oder nicht, ist in Deutschland und anderen EU-Staaten voll entbrannt.

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Häftlinge in Guantámano in einer Reihe vor einer Mauer knieend, dahinter zwei Wachleute und ein Fragezeichen über dem Bild (Foto: DW Bildmontage)
In Deutschland und der EU ist die Debatte entbrannt, ob Ex-Häftlinge aufgenommen werdenBild: AP / DW

Die Entscheidung kam am Donnerstag (22.01.2009) vom neuen US-Präsidenten Barack Obama, das umstrittene Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba binnen eines Jahres zu schließen. Aber was soll mit den Häftlingen passieren, die dann freigelassen werden und nicht in ihre Heimatstaaten zurück können, weil ihnen dort Repressalien oder Folter drohen? Obwohl es noch keine offizielle Anfrage gibt, machen sich vor allem EU-Staaten bereits ihre Gedanken.

Obama (vorne am Tisch sitzend) unterzeichnet das Dekret zur Schließung Guantánamos im Oval Office. Im Hintergrund und links mehrere Männer in Anzug (Foto: picture alliance)
Eine seiner ersten Amtshandlungen: Obama unterschreibt die Anordnung zur Schließung GuantánamosBild: picture alliance / landov

Schon die Regierung von George W. Bush hatte Ende vergangenen Jahres ihre Fühler ausgestreckt, ob andere Staaten bereit sind, freigelassene Häftlinge aufzunehmen. Anfragen wurden an etwa 100 Staaten gestellt. Australien lehnte dies Anfang Januar zum zweiten Mal ab. Vize-Premierministerin Julia Gillard begründete das mit der Gefährdung der nationalen Sicherheitsinteressen.

Breite Diskussion in Deutschland

Obwohl die Anfrage nach einer möglichen Aufnahme von Häftlingen noch nicht offiziell an die Bundesregierung herangetragen wurde, polarisiert sie bereits innerhalb der Parteien und der Ministerriege der Merkel-Regierung.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, CDU, lehnt eine Aufnahme der Häftlinge deutlich ab. Wie er diese Woche in der "Frankfurter Rundschau" erneut bekräftigte, sieht er die USA in der alleinigen Verantwortung. Falls die Häftlinge freikommen sollten und aus Ländern kämen, in die sie aus Menschenrechtsgründen nicht zurückkehren könnten, müssten sie in den USA bleiben dürfen.

Innenminister Schäuble mit der rechten Hand am Mund (Foto: AP)
Innenminister Schäuble ist gegen eine Aufnahme von Ex-Häftlingen...Bild: AP

Außerdem kenne er keinen Grund, weshalb jemand, der zu gefährlich für Amerika sei, von einem EU-Land aufgenommen werden müsste. Und zudem, so Schäuble, liege die Entscheidungsbefugnis alleine bei ihm und den Innenministern der Bundesländer. "Das kann jeder im Aufenthaltsrecht nachlesen".

Die Grünen machten in klaren Worten deutlich, was sie von Schäubles Einstellung halten. Parteichefin Claudia Roth sagte auf dem Bundesparteitag in Dortmund am Freitag, sie "schäme sich zutiefst für diese eiskalte, menschenverachtende Politik". Vize-Fraktionschef Jürgen Trittin äußerte sich in der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" verwundert, dass ausgerechnet ein Christdemokrat wie Schäuble sich gegen die Aufnahme sträube. Er warf ihm "blanken Anti-Amerikanismus" vor. Er selbst, so Trittin, fände die Aufnahme der Ex-Häftlinge "eine gute Geste für ein erneuertes transatlantisches Verhältnis nach der Ära Bush".

Könnte Auflösung an der Aufnahme-Frage scheitern?

Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, SPD, der schon im Dezember eine positive Haltung zu einer möglichen Aufnahme signalisiert hatte, bekräftigte dies erneut in einem Interview des "Tagesspiegel am Sonntag". Es gebe Signale, dass US-Präsident Obama "wegen der Aufnahme einiger weniger auch auf die Europäer zukommen wird". "Wäre es denn wirklich zu verantworten", so Steinmeier, "die Auflösung von Guantanamo daran scheitern zu lassen?"

Außenminister Steinmeier mit einem Lächeln auf dem Gesicht (Foto: AP)
.... Außenminister Steinmeier befürwortet sieBild: AP

Diese Einstellung stößt auf wenig Gegenliebe bei der CSU. Steinmeier diene sich Barack Obama über deutsche Medien an, weil er sich davon innenpolitischen Applaus verspreche, sagte CSU-Generalsekretär Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg der "Passauer Neuen Presse". Es werde noch genug Gelegenheiten geben, bei denen Deutschland um Hilfe gefragt werde. "Hier zu schreien, wenn einen keiner gerufen hat und dann noch ohne Absprache mit den Innenministern, ist keine seriöse Politik".

Gespräch zwischen Steinmeier und Schäuble geplant

Und die FDP? Ihr Parteichef Guido Westerwelle sieht wie Schäuble die USA in der Pflicht. "Amerika, das dieses rechtsstaats- und menschenrechtswidrige Gefängnis eröffnet hat, trägt dafür auch zuerst die Verantwortung", sagte er der "Bild am Sonntag". Mutmaßliche Terroristen gehörten vor ordentliche Gerichte. Auch der Verbleib der Häftlinge müsse von der US-Regierung geklärt werden. Offensichtlich Unschuldige müssten in ihre Herkunftsländer oder an einen sicheren Aufenthaltsort gebracht werden. Die USA müssten dafür ebenso sorgen wie für deren Entschädigung. Das sei in Rechtsstaaten so üblich. Eine Unterstützung Deutschlands schloss Westerwelle grundsätzlich jedoch nicht aus.

In Kürze soll es jedoch, wie es aus Berlin hieß, ein Gespräch von Außenminister Steinmeier und Innenminister Schäuble in der Sache geben. Tatsächlich hat von den etwa 250 noch in Guantánamo einsitzenden Gefangenen keiner einen Bezug zu Deutschland. Anders als bei dem in Bremen geborenen Türken Murat Kurnaz, der zu Unrecht in Guantánamo einsaß, lebte von den heute Gefangenen noch keiner in Deutschland.

EU ist uneins

Auch in der Europäischen Union gibt es keine einheitliche Haltung zur Aufnahme von Häftlingen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso rief am Freitag die Mitgliedstaaten auf, die USA bei der beabsichtigten Räumung Guantánamos zu unterstützen. "Man muss unseren amerikanischen Freunden helfen, das Problem zu lösen", sagte er in Brüssel. Barroso machte aber deutlich, dass das seine persönliche Meinung sei.

Schweden, die Niederlande und auch Österreich sprachen sich bereits gegen eine Aufnahme aus. Österreichs Außenminister Michael Spindelegger sagte dem Rundfunk ORF, es sei Sache der USA, Aufnahmeländer für die dort zum Teil seit sieben Jahren festgehaltenen Männer zu finden. "Wer ein Problem verursacht, der muss es auch wieder lösen. Wenn es unbescholtene Bürger sind, spricht auch nichts dagegen, ihnen in den Vereinigten Staaten eine Zukunft zu geben".

Plan für die Aufnahme Unschuldiger?

Frankreichs Präsident Sarkozy mit heruntergezogenen Mundwinkeln beim EU-Gipfel in Brüssel (Foto: AP)
Frankreich hat offenbar schon einen Plan für die EU erarbeitetBild: AP

Frankreich dagegen hat - so "Der Spiegel" - für das EU-Außenministertreffen am Montag in Brüssel schon einen detaillierten Plan für die Aufnahme von freigelassenen Gefangenen erarbeitet. Dabei gehe es um etwa 60 Personen, die von den US-Militärs als unschuldig eingestuft würden, die aber nicht in ihre Heimat zurückkehren könnten, weil ihnen dort weitere Verfolgung oder Folter drohten. Laut Amnesty International kommen sie aus China, Tunesien, Syrien oder Usbekistan.

Dem Plan zufolge solle jeder EU-Staat selbst entscheiden, ob er Häftlinge aufnehme und welche, berichtet "Der Spiegel". Eine "Clearingstelle" solle prüfen, ob sie terroristische oder kriminelle Taten begangen hätten. Die EU solle zudem Gelder bereitstellen, um die teilweise traumatisierten Neuankömmlinge zu unterstützen. Zudem könne versucht werden, auch Nicht-EU-Länder wie Norwegen oder die Schweiz für das Vorhaben zu gewinnen. Die Schweiz sagte bereits eine entsprechende Prüfung zu.

Jemen will eigene Häftlinge aufnehmen

Der Jemen erklärte sich am Samstag bereit, seine 94 in Guantánamo inhaftierten Landsleute zurückzuholen. Staatschef Ali Abdallah Saleh kündigte an, innerhalb der kommenden zwei Monate sollten Umerziehungslager eingerichtet werden. Mit der Rückkehr der Häftlinge rechne er in spätestens drei Monaten. Sein Land werde alles tun, damit sich die Rückkehrer im Jemen wieder einlebten und sich nicht erneut militanten Islamisten anschlössen.

Jemens Präsident Ali Abdallah (links) schüttelt Kanzlerin Merkel die Hand (Foto: AP)
Kanzlerin Merkel empfing im Februar 2007 Jemens Präsidenten Ali Abdallah Saleh in BerlinBild: AP

Das US-Verteidigungsministerium hatte zuletzt auf diese Gefahr hingewiesen. Es geht davon aus, dass sich insgesamt 61 frühere Häftlinge nach ihrer Freilassung Extremisten angeschlossen haben. Kürzlich hatten zwei freigelassene Guantánamo-Insassen in einem Video erklärt, sie seien nun Kommandeure des El-Kaida-Terrornetzwerks im Jemen.

"Rehabilitationsprogramm"

Bei den beiden handelt es sich - wie ein Beamter des saudischen Innenministeriums am Sonntag bestätigte - um die Saudiarabier Said Ali al-Shihri und Mohammed al-Ufi. Sie hätten nach ihrer Freilassung ein "Rehabilitationsprogramm" in Saudi Arabien durchlaufen.

Das Video, von dem am Wochenende Ausschnitte in arabischen Fernsehsendern zu sehen waren, zeigt die beiden mit zwei jemenitischen Kommandeuren der El Kaida-Zellen im Jemen. Die Vier rufen zum "Heiligen Krieg" auf und kritisieren die libanesische Schiiten-Bewegung Hisbollah, "weil sie ihre vielen Raketen" während der jüngsten Offensive des israelischen Miitärs im Gazastreifen nicht auf Israel abgeschossen hat.

Der Jemen hat zwar zahlreiche Extremisten wegen Anschlägen im Ausland festgenommen, wird jedoch von einigen Experten nach wie vor als Zufluchtsort für militante Islamisten gesehen. (hy)