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Frau ist nicht gleich Frau

Carla Bleiker1. Juni 2015

Vor immer mehr Wettkämpfen müssen Sportlerinnen ihre Weiblichkeit mit "Geschlechtstests" nachweisen. Absurd, sagt Medizinethikerin Claudia Wiesemann - schließlich seien Mann und Frau zwei Enden eines Kontinuums.

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Spielerinnen der Deutschen Fußballnationalmannschaft jubeln über ein Tor. (Foto: EPA/JOSE SENA GOULAO)
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

DW: Der Deutsche Fußballbund musste vor der Teilnahme an der WM in Kanada nachweisen, dass alle seine Nationalspielerinnen tatsächlich Frauen sind. Wie laufen solche Tests ab? Es wird ja nicht einfach "untenrum" nachgeguckt.

Claudia Wiesemann: Nun, genauso hat man es zuerst gemacht, in den 50er- und 60er Jahren. Da hat man auf die körperliche Untersuchung gesetzt. Später wurden die Chromosomen untersucht, also ob zwei X-Chromosomen vorliegen. Männer haben ja üblicherweise ein X- und ein Y-Chromosom. Dann hat man ausführlichere körperliche Untersuchungen verlangt, einschließlich einer Untersuchung der Organe im Unterleib. Mittlerweile hat man sich darauf verlegt, die Hormonspiegel im Blut überprüfen zu lassen, also zu untersuchen, wieviel Testosteron eine Frau im Blut hat.

Wie kompliziert ist es, das zu testen?

Testosteron ist relativ einfach im Blut zu bestimmen. Schwieriger ist es dann, das Resultat zu interpretieren.

Inwiefern? Wie einwandfrei sind solche Geschlechtstests?

Um es klipp und klar zu sagen: Es gibt nicht "den sicheren Geschlechtstest". Frauen können zum Beispiel sehr hohe Level von Testosteron haben, aber auf Grund ihrer körperlichen Ausstattung völlig unempfindlich für die Wirkung dieses Hormons sein. Manche Menschen sind mehr, manche weniger empfindlich für Testosteron. Frauen können sogar ein Y-Chromosom, und trotzdem einen weiblichen Körperbau haben. Mann und Frau sind nur zwei Extreme eines Kontinuums und zwischen diesen beiden Extremen gibt es jede vorstellbare Form des Übergangs.

Claudia Wiesemann. (Foto: Claudia Wiesemann)
Claudia Wiesemann, Medizinethikerin an der Uni GöttingenBild: Privat

Wie hat sich der Umgang mit dieser Frage bei internationalen Sportverbänden entwickelt? Das IOC hat ja beispielsweise Regeln für Testosteronwerte.

Damit reagierte das IOC auf massive Kritik an Testverfahren, die zuvor angewandt worden waren, die diskriminierenden Charakter hatten und ungenau waren in ihrer Aussagekraft. Das gilt aber auch für die Testosteron-Untersuchung. Das IOC verlangt von einer Frau, um als Frau starten zu dürfen, Testosteronwerte, die niedriger sind als die eines Mannes.

Aber das ist eine rein willkürliche Festlegung. Es gibt Frauen, die unzweifelhaft im weiblichen Geschlecht aufgewachsen sind, aber höhere Testosteronlevel haben als der Durchschnitt. Das macht sie ja gerade zu guten Sportlerinnen, so wie ein Zweimetermann ein besserer Basketballer ist, weil er deutlich größer ist als der Durchschnitt. Es ist rein willkürlich zu verfügen, dass nur die Frauen starten dürfen, die einen Wert haben, der niedriger ist als der eines durchschnittlichen Mannes.

Menschen, die auf Geschlechtstests bestehen, sagen, dass es ungerecht und wettbewerbsverzerrend ist, wenn eine Sportlerin mit erhöhten Testosteronwerten an einem Wettkampf teilnimmt. Was sagen Sie dazu?

Natürlich hat ein körperlicher Vorteil immer Einfluss auf den Wettbewerb. Das gilt für den Basketballspieler, der über zwei Meter groß ist, genauso. Trotzdem kommen wir nicht auf die Idee, den Basketballspieler wegen ungerechtfertigten Vorteils vom Wettbewerb auszuschließen. Wir müssen doch begründen, warum gerade ein bestimmter Vorteil so ungerecht sein soll, dass er einen Ausschluss rechtfertigt. Zusätzlich muss man in Betracht ziehen, was für einen Schaden man anrichtet, wenn man eine Person aufgrund des angeblich falschen Geschlechts disqualifiziert.

Was kann das für ein Schaden sein?

Ein sehr großer. Es gab beispielsweise eine Hochleistungssportlerin aus Indien [Leichtathletin Santhi Soundarajan, die Red.], bei der in einem vermeintlichen Geschlechtstest ein Y-Chromosom nachgewiesen wurde. Sie wurde dann öffentlich als Betrügerin geschmäht, oder als Betrüger, genauer gesagt. Sie hat aufgrund der schrecklichen Anfeindungen versucht, sich das Leben zu nehmen.

Wie häufig sind Intersexuelle, also Menschen, bei denen das Geschlecht biologisch nicht auf Mann oder Frau festzulegen ist, betroffen?

Für sie ist das ganz häufig ein großes Problem. Die Tatsache, dass es so etwas wie Intersexualität gibt ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Stattdessen herrscht die Vorstellung vor, es müsste doch ganz einfach sein, zwischen Mann und Frau zu unterscheiden. Das mag in 99,9 Prozent der Fälle stimmen, aber in 0,1 Prozent der Fälle ist das eben nicht so.

Zum Schluss die Frage nach der aktuellen Situation der Frauen Nationalmannschaft. Angeblich mussten alle Spielerinnen eine Art "Attest" vom Frauenarzt vorlegen, das bestätigt, dass sie tatsächlich Frauen sind. Was halten Sie von sowas?

Ich finde es fatal, dass die nationalen Sportverbände bei diesem Verfahren mitmachen. Sie sind aber auch in einer Zwangslage. So kurz vor einem unglaublich wichtigen Wettbewerb kann man nicht plötzlich protestieren und sagen "Dann kommen wir eben nicht". Das ist das Perfide an der Politik der internationalen Verbände: Sie geben den Druck einfach an die nationalen Verbände weiter. Und diese geben den Druck an die Sportlerinnen weiter, nach dem Motto: Entweder du nimmst Teil an dieser pseudo-medizinischen Untersuchung, oder du darfst im Wettbewerb nicht starten.

Claudia Wiesemann ist Medizinethikerin und Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Georg-August-Universität Göttingen.

Das Interview führte Carla Bleiker.