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Wer braucht dieses Zentrum?

24. Juli 2003

- Tygodnik Solidarnosc zur Auseinadersetzung um das Berliner Zentrum gegen Vertreibung

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Danzig, 23.07.2003 TYGODNIK SOLIDARNOSC, poln.

Mehrere Dutzend europäische Politiker und andere bekannte Persönlichkeiten haben einen Appell verfasst, der das von der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Vertriebenen, Erika Steinbach, geplante "Zentrum gegen Vertreibung" in Berlin zum Inhalt hat. Die Verfasser des Appells plädieren dafür, diesem Zentrum einen europäischen und nicht einen nationalen, deutschen Charakter zu verleihen. Das Zentrum sollte das Leid aller Vertriebenen in Europa im 20. Jahrhundert dokumentieren.

Ich erinnere daran, dass diese Initiative der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Vertriebenen, Erika Steinbach, die vor zwei Jahren bekannt gegeben wurde, Adam Michnik (Chefredakteur der Zeitung Gazeta Wyborcza – MD.), Adam Krzeminski (Publizist in deutschen Medien und in der Zeitschrift "Polityka") und Marcus Meckel (letzter Innenminister der DDR, heute Bundestagabgeordneter und Leiter der polnisch-deutschen Parlamentsgruppe ) dazu veranlasste, einen Brief an den deutschen Kanzler mit der Bitte zu verfassen, dieses Zentrum nicht in Berlin, sondern in Breslau zu errichten und ihm somit internationalen Charakter zu verleihen.

Die Idee der oben erwähnten drei Herren stieß jedoch damals bei den meisten Polen auf Widerstand. Sie sehen die Vertreibung der Deutschen aus Polen als eine Folge des von den Deutschen angezettelten Krieges und der von ihnen begangenen Verbrechen, als einen Akt der historischen Gerechtigkeit, der letztlich das Fundament für das Nachkriegseuropa darstellte. Die Polen glauben nicht daran, dass im Vordergrund dieses Zentrums nicht das Leid der Deutschen, sondern die Probleme der Vertreibungen im 20. Jahrhundert stehen werden, auch dann, wenn das Zentrum in Breslau entstehen sollte. Würde doch das Zentrum unter der Schirmherrschaft des Bundesverbandes der Vertriebenen errichtet werden und mit deutschem Geld, das schon heute das Festschreiben der polnisch-deutschen Geschichte durch polnische Historiker und besonders durch Publizisten stark beeinflusst. Mit ihrer Hilfe wird diese Geschichte so interpretiert, dass es die Deutschen waren, die am meisten gelitten haben, und ein solches Bild des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen dominiert bereits im Bewusstsein der heutigen Deutschen. Dieses Bild - daraus macht Erika Steinbach keinen Hehl - soll auch durch das Zentrum gegen Vertreibung gefestigt werden.

Übrigens - so ein weiteres Argument in Polen -, warum in Breslau ein Zentrum gegen Vertreibung unter deutscher Schirmherrschaft bauen und nicht beispielsweise ein Zentrum der Konzentrationslager, das deutsche Verbrechen an der Bevölkerung der von den Deutschen besetzten Länder dokumentieren würde? Es könnt vielleicht sogar ein Zentrum europäischen Ausmaßes sein, in dem auch die roten Lager dokumentiert würden.

Aber auch in Deutschland sind die Meinungen über Charakter und Standort des Zentrums geteilt. Die einen sehen die "Europäisierung" des Zentrums als Relativierung der Leiden der Vertriebenen, andere wiederum behaupten, das Zentrum werde Zündstoff für weitere Auseinandersetzungen darstellen. Auf dem dünnen Eis der polnisch-deutschen Beziehungen sollte nicht getanzt werden - ist zu hören. "Schon heute setze sich unter den Polen und Tschechen die Überzeugung fest, die Deutschen seien bemüht, ihre eigenen Taten zu vergessen, die zu der Vertreibung führten", schreibt der Publizist der "Süddeutschen Zeitung", Daniel Bröessler. Es fällt schwer, ihm nicht Recht zu geben. Die Folgeschäden werden wirklich nicht zu vermeiden sein.

Der Streit um die Vergangenheit wird die polnisch-deutschen Beziehungen unnötig verschärfen. Ein Zentrum gegen Vertreibung ist diesen Beziehungen in keiner Weise dienlich - schon gar nicht, wenn es in Breslau errichtet wird.

Um die Idee der Errichtung des Zentrums gegen Vertreibung richtig zu verstehen, sollte man wissen, dass der Ursprung der Initiative von Erika Steinbach mit dem Bau des gigantischen Holocaust-Denkmals in Berlin - auf Druck internationaler jüdischer Organisationen - verbunden ist, das auf ganz Berlin seinen Schatten werfen wird und das - und das befürchten nicht nur die Vertriebenen – im historischen Bewusstsein der Deutschen und all derer dominieren wird, die nach Berlin kommen. Um seiner Aussagekraft ein Gegengewicht entgegenzusetzen, verlangt ein Teil der Deutschen, auch das deutsche Leid entsprechend zu dokumentieren, was in der Bundesrats-Debatte über das Zentrum gegen Vertreibung zum Ausdruck kam. In der Diskussion über das Zentrum und auch in dem Appell wird dies überhaupt nicht erwähnt. (Sta)