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Umstrittene Giftspritze bleibt

Spencer Kimball/ cb29. Juni 2015

Der Oberste Gerichtshof der USA hat entschieden: Ein umstrittenes Mittel in der Giftspritze bleibt erlaubt. Dr. Allen Ault, zuständig für Hinrichtungen, erzählt, warum er seine Arbeit nicht mehr ausgehalten hat.

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Die Liege, auf der die Verurteilten bei der Hinrichtung festgeschnallt werden. (Foto: Paul Buck/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Musste Clayton Lockett schlimme Schmerzen erleiden, bevor er vor gut einem Jahr in Oklahoma starb? Niemand weiß das genau, so steht es jedenfalls in den offiziellen Unterlagen. Aber Fakt ist: Seine Hinrichtung lief nicht wie geplant.

Der US-Bundesstaat Oklahoma benutzt für Hinrichtungen mit der Giftspritze drei Medikamente. Midazolam soll den Verurteilten bewusstlos machen, Vecuronium den Körper lähmen und Kaliumchlorid den Herzschlag zum Stillstand bringen. Eine Hinrichtung mit Giftspritze soll laut Plan zehn Minuten dauern.

Die von Clayton Lockett dauerte 43 Minuten. Zeugen berichten, dass sich der geständige Mörder gegen die Riemen warf, mit denen er auf der Liege festgeschnallt war, und Geräusche machte, nachdem ihm die Drogen verabreicht wurden. Viele Gegner der Todesstrafe machen Midazolam dafür verantwortlich.

Verkaufsstopp aus ethischen Gründen

Oklahoma und andere Bundesstaaten greifen auf das Beruhigungsmittel zurück, das auch bei Operationen und für andere medizinische Zwecke verwendet wird, seitdem US-amerikanische und europäische Firmen ihnen aus ethischen Gründen kein Natrium-Thiopental mehr verkaufen wollen. Das war bis dahin das bevorzugte Betäubungsmittel für Hinrichtungen.

Nach Locketts Hinrichtung kämpften Anwälte von vier zum Tode Verurteilten vor Gericht dafür, alle weiteren Hinrichtungen auszusetzen, weil die Medikamentenmischung mit Midazolam "starke Schmerzen, unnötiges Leid und einen sich hinziehenden Tod" verursache.

Während die Richter am Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, noch darüber berieten, ob sie den Fall annehmen sollten, wurde einer der Verurteilten ebenfalls mit Midazolam hingerichtet. Nachdem ihm die tödliche Spritze gesetzt wurde, sagte der Sexualstraftäter und Mörder Charles Warner: "Mein Körper steht in Flammen." Er starb 18 Minuten später.

Am Montag verkündete der Oberste Gerichtshof nun, dass die Behörden US-amerikanischer Bundesstaaten bei Hinrichtungen weiterhin Midazolam verwenden dürfen.

Der Supreme Court in Washington D.C. (Foto: AP Photo/Susan Walsh)
Der Oberste Gerichtshof in WashingtonBild: picture-alliance/AP

"Ich habe einen Menschen ermordet"

Welche Menschen exekutieren die Todesstrafe? Die Henker sind keine Sadisten oder Psychopaten. Allen Ault sagt, sie sind Menschen mit Gewissen. Und die Todesstrafe füge auch ihnen schlimme Schmerzen zu, auch wenn sie nicht oft darüber sprechen.

Ault hat nie eine tödliche Spritze gesetzt. Die Hinrichtungsmethode des Bundesstaates Georgia war zu seiner Zeit der elektrische Stuhl. Der gelernte Psychologe war von 1992 bis 1995 Georgias Haft- und Gefängnisbeauftragter. In dieser Zeit betreute er fünf Hinrichtungen. Das hat bei ihm ein Trauma ausgelöst, mit dem er nicht leben konnte. Ault kündigte seinen Job. Der Deutschen Welle erzählte er, wie er zu einem Gegner der Todesstrafe wurde.

Der Generalstaatsanwalt und ich fuhren von Atlanta 40 Meilen runter nach Jackson. Wir trafen uns mit den Zeugen und haben im Besprechungsraum der Wärter gegessen. Es gab viel nervöses Gelächter. Die Familie des Opfers wartete am anderen Ende des Flurs. Als ich das Gelächter hörte, ging ich zu den Angehörigen des Opfers und erklärte ihnen, dass das Lachen von der Nervosität kam, weil diese Menschen noch nie eine Hinrichtung erlebt hatten.

Später waren wir dann in der Hinrichtungskammer und der Generalstaatsanwalt und ich waren in dem Zimmer direkt hinter dem Stuhl, wo wir durch ein Fenster schauten. Die Zeugen konnten wir durch ein anderes Fenster sehen.

Ich sprach mit dem Verurteilten, er saß in einer Zelle neben dem Zimmer, in dem ich war. Ich war vorher schon mal da gewesen und hatte mit ihm gesprochen. Ich hatte ihn kennengelernt.

Kein Aufschub

Der Generalstaatsanwalt hatte drei Telefone: eines, das mit dem Supreme Court verbunden war, eines für das Büro des Gouverneurs und eines für den Bewährungsausschuss. Er sprach mit allen drei Stellen und sagte, es würde keinen Aufschub geben.

Um neun Uhr - oder um welche Uhrzeit auch immer, die steht auf dem Hinrichtungsbefehl - gab ich dem Wärter, der in der Kammer stand, ein Zeichen, und er fragte den Insassen, ob er noch irgendwelche letzten Worte sprechen wolle. Und der Insasse sagte, soweit ich mich erinnere: "Bitte, Gott, vergib mir."

Der Elektriker stand hinter mir, aber mit dem Gesicht zu dem Apparat an der Wand. Also sagte ich: "Es ist Zeit, Brad", und er schaute den Verurteilten nicht mal an. Er legte einfach den Schalter um.

Was wir sahen, war eine wirklich gewaltige Bewegung des Körpers, als der Strom hineinfuhr. Fünf oder sechs Sekunden später erschlaffte er im Stuhl.

Kein anonymes Konzept

In diesem Moment realisierte ich, dass ich ein menschliches Wesen ermordet hatte. Das ist ein echter Mensch, dem man begegnet. Ein Mensch, den ich unglücklicherweise kennengelernt hatte. Man führt Unterhaltungen mit ihm, persönliche Unterhaltungen. Das ist nicht irgendein anonymes Konzept.

All die Begründungen, die ich bis dahin gebraucht hatte, um zu diesem Punkt zu kommen, lösten sich quasi in Luft auf. Es hat mich persönlich und psychologisch extrem beeinträchtigt. Also fing ich an zu recherchieren, ich versuchte, eine gute Rechtfertigung zu finden, mit der ich leben könnte. Und ich fand heraus, dass es keine glaubwürdigen Untersuchungen gibt, die sagen, dass die Todesstrafe als Abschreckung funktioniert.

Dann lernte ich Fakten: Etwa, dass Hinrichtungen sehr teuer sind. Wenn man behauptet, jemanden zu töten, weil das sparsamer als ein Gefängnisaufenthalt ist - das stimmt überhaupt nicht. Ich habe auch mit vielen Familien von Opfern gesprochen, die durch die Hinrichtung nicht so mit ihrem Verlust abschließen konnten, wie sie es gedacht hatten.

Ich war bei vier weiteren Hinrichtungen. Ich erinnere mich nicht an die Namen, aber ich sehe immer noch ihre Gesichter. Ich denke, psychologisch habe ich die Namen ausgeblendet.

Keine psychologische Hilfe für mich

Ich stellte fest, dass ich für alle, die damit zu tun hatten, psychologische Hilfe organisierte, nur für mich und den Generalstaatsanwalt nicht. Der Generalstaatsanwalt hörte auf, mit mir zu Hinrichtungen zu fahren und verarbeitete es, in dem er streng gegen Verbrechen durchgriff und sich als Kandidat zur Gouverneurswahl aufstellen ließ. Er kam mit seinem Pressesprecher und sprach vor dem Gefängnistor mit den Medien, bevor wir reingingen. Ich hab das nicht gemacht. Ich wollte so einen Zirkus nicht.

Ich funktionierte beim Rest meiner Arbeit. Aber ich hatte außerhalb meines Jobs emotional wirklich zu kämpfen und auch bei der Arbeit. Obwohl ich Psychologe bin, habe ich Hilfe bei einem anderen Psychologen gesucht, dem ich vertraute. Das hat zunächst ein klein wenig geholfen. Das einzige, was wirklich geholfen hat, war, einen anderen Job zu finden und das alles weit hinter mir zu lassen.

Ich hatte endlich verstanden, dass das, was ich tat, die Rache der Gesellschaft war und ich war der Rächer, nur so kann man es nennen.

Ich hatte das Sprichwort gehört: "Wer auf Rache aus ist, der grabe zwei Gräber". Und ich fand mich, psychologisch gesehen, in dem zweiten Grab wieder.

Der hingerichtete Mann in Allen Aults Geschichte hieß Christopher Burger. Der 17-jährige Soldat wurde 1977 für die Vergewaltigung und den Mord an dem Taxifahrer und Kameraden Roger Honeycutt zum Tode verurteilt. Seine Hinrichtung fand 1993 statt. Burger war 33 Jahre alt, als er starb.