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'Kampf für den Frieden'

22. Oktober 2009

Bis Samstag beschäftigt sich ein Gipfel in Stockholm mit dem künftigen Kurs der EU-Entwicklungspolitik. Die Deutschland-Beauftragte der UN-Millenniumkampagne, Renée Ernst, über die Verantwortung der Industrienationen.

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Foto: Renée Ernst während der Save the World Awards Gala 2009 (milleniumscampaign.de)
Renée ErnstBild: millenniumcampaign.de

DW-WORLD.DE: Die Europäische Union hat sich in der Vergangenheit immer wieder zu den Millenniumszielen bekannt – wie zufrieden sind Sie denn bislang mit den Leistungen der EU-Staaten?

Renée Ernst: Es gibt einen EU-Stufenplan, der abgesichert ist. Hier haben alle EU-Länder gesagt, dass sie bis 2010 die 0,51 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben werden. Deutschland liegt derzeit in der Spur mit 0,38 Prozent, muss aber bis zum nächsten Jahr die Steigerung auf 0,51 Prozent noch in die Tat umsetzen. Ob das in Anbetracht des klammen Finanzhaushaltes auch stattfindet, ist die große Frage. Andere EU-Länder waren schon immer "Über-Erfüller", gerade die nordischen Länder geben fast ein Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungszusammenarbeit aus. Frankreich und England liegen auch knapp an der Grenze, sind aber nicht da, wo sie eigentlich sein sollten. Im nächsten Jahr wird sich zeigen, ob auch sie ihre Versprechen einhalten werden.

Hinzu kommt, dass es EU-Staaten gibt, die diese Quote auch schönrechnen. Manche Hilfsorganisationen bemängeln das. Zum Beispiel, indem Exporthilfen für die eigene Wirtschaft einbezogen werden.

Das ist richtig. Es gibt jedes Jahr den von Nichtregierungsorganisationen herausgegebenen Bericht "Die Wirklichkeit der Entwicklungszusammenarbeit". Dort wird immer sehr deutlich gezeigt, was an Schönrechnerei stattfindet. Auch in Deutschland. Hier werden zum Beispiel die Studiengebühren für ausländische Studierende mit in den Entwicklungsetat eingerechnet. Und andere ähnliche Makulatur wird betrieben, damit der Entwicklungsetat zumindest auf dem Papier schön aussieht. Aber was tatsächlich in den Entwicklungsländern bei den Ärmsten der Armen ankommt, ist weit weniger. Insofern stimmt die Kritik.

Bleiben wir bei den Entwicklungsländern und der Weltwirtschaftskrise – welche Folgen hat die für die Entwicklung der Armut in genau den Ländern?

Dramatische Auswirkungen. Die Weltbank hat einen großen Bericht herausgegeben, in dem sie davon ausgeht, dass zusätzlich zu den bereits über eine Milliarde Menschen, die in extremer Armut leben, mindestens 900 Millionen Menschen in die extreme Armut zurückfallen werden – aufgrund der Finanzkrise. Das ist absolut alarmierend. Hinzu kommt ein Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), der sagt, dass jeder sechste Mensch Hunger leidet – und das in einer Welt wie der unsrigen! Die Länder, die jetzt betroffen sind, haben ja nichts zu der Wirtschaftskrise beigetragen, sie sind reine Opfer. Von daher sind die Industrienationen noch mehr in der Pflicht, sich um die Anliegen der Ärmsten zu kümmern und diesen Negativtrend durch eine Verstärkung der Zusammenarbeit mit diesen Ländern aufzufangen.

Foto: Ein kleiner Junge greift in eine Metallschüssel in einem Flüchtlingsdorf in der Nähe von Gulu in Uganda
Bereits über eine Milliarde Menschen leben in extremer ArmutBild: dpa

Das sind die Folgen für die ärmsten Länder. Gibt es noch andere Punkte, in denen sich die Krise in den Industrienationen auf die Armutsbekämpfung auswirkt?

Viele befürchten, dass der Entwicklungsetat zusammengestrichen wird. Wir werden sehen, welche Vorstellungen unsere Bundesregierung diesbezüglich hat. Erst am vergangenen Wochenende gab es einen großen Aktionstag, den Stand-Up-Tag, für die Millennium-Entwicklungsziele. Weltweit haben sich 173 Millionen Menschen daran beteiligt, das sind über zwei Prozent der Weltbevölkerung! Auch in Deutschland haben sich 80.000 Menschen hinter die Ziele gestellt, um ein ganz deutliches Signal auch an die Regierung zu senden: dass es ihnen nicht egal ist, dass im Augenblick die Entwicklungsländer nicht nur unter der Ernährungskrise und dem Klimawandel zu leiden haben, sondern jetzt auch unter Wirtschaftskrise; und dass zu befürchten ist, dass wir jetzt in Anbetracht unserer finanziellen "Not" auch noch den Entwicklungsetat kürzen. Wer mitbekommen hat, dass zur Rettung der Banken und der Unternehmen Milliardenbeträge über Nacht zur Verfügung gestellt wurden, dem fällt es sehr schwer zu akzeptieren, dass für die Ärmsten der Armen nicht ausreichend Geld zur Verfügung gestellt werden kann. Wenn wir gegen Armut kämpfen, kämpfen wir für Frieden. Die Gefahr ist sehr groß, dass diese zunehmende Ungleichheit auch zu einer Destabilisierung führt. Und insofern wäre es umso wichtiger, dass Deutschland auch seine Zusagen hält und den Entwicklungsetat entsprechend erhöht.

Hinzu kommt noch der Trend, immer weniger konkrete Projekte und stattdessen Staatshaushalte der Empfängerländer zu unterstützen – ein sinnvoller Weg?

Die Budgethilfe – so nennt sich das, wenn man direkt an die Regierungen die Gelder auszahlt – wird sehr unterschiedlich bewertet. Einige sagen, das sei der beste und direkteste Weg; auch, um zu vermeiden, dass zu viel in Klein-Klein gesteckt wird. Das ist die eine Seite. Die andere sagt, dass es natürlich Regierungen gibt, die dafür bekannt sind, nicht besonders transparent und – im Gegenteil – korrupt zu sein. Da hat man natürlich Zweifel, ob das die richtige Form ist, die Entwicklungshilfe zu kanalisieren, weil zu befürchten ist, dass es eben nicht bei den Ärmsten der Armen ankommt. Man muss von Land zu Land entscheiden.

Foto: Kleinbauer bei der Ernte
"Ein Weg, Armut zu bekämpfen: Kleinbauern unterstützen"Bild: gepa

Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung?

Wir wünschen uns eine Koalition, die sich für die Armutsbekämpfung einsetzt. Insbesondere fordern wir, dass alle Ministerien – und nicht wie bislang häufig wahrgenommen – nur das Entwicklungsministerium für die Erreichung der Millenniumsziele verantwortlich gemacht wird. Denn eine Regierung hat damals die Millenniumserklärung unterzeichnet, das war der Bundeskanzler, der die Unterschrift bei den Vereinten Nationen gesetzt hat. Und es kann nicht sein, dass jetzt ein einzelnes Ministerium für die Umsetzung verantwortlich ist. Da müssen alle Fachministerien Hand in Hand arbeiten. Wir erleben sehr häufig, dass Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit wieder dadurch zunichte gemacht werden, dass andere Ministerien dieses Thema überhaupt nicht auf der Agenda haben. Das sehen Sie zum Beispiel bei den Agrarexportsubventionen, die sich ganz konkret auf die Situation von Kleinbauern in den Entwicklungsländern auswirkt. Und 70 Prozent der Menschen, die in den Entwicklungsländern in extremer Armut leben, leben von der Landwirtschaft. Wenn wir hier Agrarprodukte subventionieren und zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt schütten, dann leiden darunter die Armen der Ärmsten, weil sie nicht mehr mit diesen Preisen konkurrieren können. Da wird es ganz deutlich, wie zwei Ministerien gegeneinander arbeiten.

Interview: Michael Borgers

Redaktion: Dеnnis Stutе