1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wenn Tschechien EU-Mitglied wird

11. Januar 2002

- Was deutsche und österreichische Unternehmen bei ihrer Planung beachten sollten

https://p.dw.com/p/1gwW

Prag, 10.1.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Thilo Hoffmann

Die Tschechische Republik wird in absehbarer Zeit der Europäischen Union beitreten. Für hier in Tschechien ansässige deutsche und österreichische Unternehmer hat der EU-Beitritt meist weitreichende Konsequenzen, meint Thilo Hoffmann, Rechtsanwalt und Experienced Manager im Prager Büro von Weinhold Andersen Legal. Er hat sich mit einigen Fragen auseinandergesetzt, die die "Prager Zeitung" in einer Serie von Artikeln veröffentlichen wird. Der erste Beitrag beschäftigt sich mit der Freizügigkeit im Personenverkehr:

Mit Beitrittsdatum ist Tschechien Teil des Europäischen Binnenmarkts, in dem der freie Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Personen im Prinzip keinen Beschränkungen mehr unterworfen ist. Ein Bereich, für den dies nur mit Einschränkungen gilt, betrifft die Freizügigkeit von Arbeitnehmern. Ein Übergangsvorbehalt im Beitrittsvertrag wird jedem Mitgliedstaat ermöglichen, innerhalb der nächsten sieben Jahre bilateral über die Anwendung der Freizügigkeitsbestimmungen entscheiden zu können. Es mag also durchaus sein, dass Deutschland und Österreich den Übergangsvorbehalt nutzen, während die Niederlande oder Schweden Tschechien bereits Freizügigkeit gewähren.

Vorausgesetzt, Tschechien wendet den Grundsatz der Gegenseitigkeit an, werden Deutsche und Österreicher auch nach dem tschechischen Beitritt eine Arbeitserlaubnis benötigen. Das gleiche gilt natürlich für Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten, die vom Übergangsvorbehalt Gebrauch machen.

Sollten tschechische Mitarbeiter nach Deutschland oder Österreich versetzt werden, so benötigen diese von den dortigen Behörden entsprechende Genehmigungen. Der bürokratische Aufwand bleibt also erhalten.

Eine volle Anwendung der Freizügigkeit muss für Tschechien aber nicht nur Vorteile bringen. Teilweise wird befürchtet, dass besonders die qualifizierten Arbeitnehmer im Hinblick auf ein höheres Gehaltsniveau abwandern könnten. Für deutsche Unternehmen in Tschechien birgt dies die Gefahr, besonders qualifizierte Fachkräfte zu verlieren. Abwanderungswillige Mitarbeiter sollten sich aber über die Anforderungen an ihre Sprachkenntnisse und Flexibilität im Klaren sein. Im Hinblick auf eine prinzipiell positive gesamtwirtschaftliche Entwicklungsperspektive Tschechiens mag diese Gefahr jedoch geringer sein als vermutet, wie die Parallele zu Spanien und Portugal zeigt.

Unabhängig von der Anwendung der Freizügigkeit, aber doch inhaltlich verbunden, ist die Anwendung des Schengener Vertrages. Die Schengener Vertragsstaaten haben darin vereinbart, die Grenzkontrollen untereinander aufzuheben, hingegen ihre Außengrenzen gegenüber Nicht-Mitgliedstaaten zu verstärken.

Das Schengener Abkommen ist nicht Teil der EG-Vertrages, sondern als Fall der so genannten "Verstärkten Zusammenarbeit" zwischen einzelnen Mitgliedstaaten Teil des EU-Vertrags. Daher wird ein Beitritt Tschechiens mit den derzeitigen Schengener Vertragsstaaten - Norwegen, Island sowie alle EU-Mitglieder mit Ausnahme von Großbritannien und Irland - zu regeln sein.

Vor einer Aufnahme Tschechiens wird sicherlich genau geprüft werden, ob die tschechischen Außengrenzen den geforderten Standards entsprechen. Aus geographischen Gründen ist es gut vorstellbar, dass Tschechien, Polen, die Slowakei und Ungarn gemeinsam Schengen beitreten werden, da damit lediglich ein verstärkter Schutz der Außengrenze zur Ukraine und zum Balkanraum notwendig sein wird.

Im Hinblick auf die hohen Anforderungen an die Außengrenzen, aber auch hinsichtlich der Roma-Problematik ist es wahrscheinlich, dass Tschechien erst zu einem späteren Zeitpunkt Schengen beitritt. Die Grenzkontrollen zwischen Tschechien und der EU werden Ihnen also für die nächsten Jahre erhalten bleiben.

Tschechen sollten sich darauf einstellen, auch nach dem EU-Beitritt bis auf Weiteres die Schlange für "Non-EU-Members" benutzen zu müssen. (ykk)

Kontaktadresse:

Thilo Hoffmann,

Weinhold Andersen Legal,

110 00 Prag 1, Husova 5,

E-Mail: thilo.hoffmann@cz.andersenlegal.com