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Ungewöhnliche Tierfreundschaften

Fabian Schmidt23. Januar 2013

Katz und Maus vertragen sich nicht. Und das nicht nur sprichwörtlich. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Es gibt Tiere, die die Nähe zu anderen Arten suchen. Verhaltensforscher Eberhard Curio sagt, es liegt am Menschen.

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Bildbeschreibung: Prof. Eberhard Curio, emerritierter Professor für Verhaltensökologie und Ornithologie an der Ruhr-Universität Bochum installiert eine Waran-Falle auf den Philippinen (Foto: Eberhard Curio)
Eberhard Curio Verhaltensforscher Uni BochumBild: privat

Deutsche Welle: Herr Curio wie erklären Sie als Verhaltensforscher ungewöhnliche Tierfreundschaften zwischen Tieren ganz unterschiedlicher Arten, die sich üblicherweise wohl eher zum Fressen als zum Kuscheln gern haben?

Curio: Fast alle solche Fälle spielen sich in Gefangenschaft ab. Oft handelt es sich um Tiere, die unter menschlicher Obhut gemeinsam vergesellschaftet wurden. Das heißt, die Tiere sind in einem jugendlichen Alter zusammen gehalten worden. In diesem Alter findet im Allgemeinen die Prägung der Tiere auf einen Sozialkumpan statt. Das kann ein Mensch sein. Das kann aber auch ein anderes Tier sein. Wenn ihnen ein Artgenosse fehlt, schließen sie sich einem anderen Lebewesen an, das grob Züge eines Artgenossen aufweist. Zum Beispiel kann das bei Säugetieren ein Fell sein, das warm hält, und etwa eine ähnliche Größe wie ein Artgenosse hat.

Wenn also eine Katze und eine Maus sich anfreunden, hat das nichts damit zutun, dass die Hauskatze gut genährt ist und keinen Hunger hat, sondern eher, damit, dass beide sich kennen, seit die Katze noch ganz jung war - kaum größer als die Maus. Deswegen sieht sie die Katze die Maus also nicht als Beute an?

Richtig. So etwas hat dann in der Regel stattgefunden. Aber wenn Sie eine beuteerfahrene, erwachsene Katze mit einer Maus zusammenstecken, garantiere ich Ihnen, dass daraus keine Freundschaft entsteht. Es spielt auch keine Rolle, ob sie Hunger hat oder nicht, denn es hat sich herausgestellt, dass Hunger eher zweitrangig ist. Auch die satte Katze jagt eine Maus, wenn sie die Gelegenheit dazu hat. Sie tötet sie fachgerecht und lässt sie danach liegen, weil der Reiz bei einer sich bewegenden oder weglaufenden Maus so stark ist, dass eine Katze mit typischem Beuteverhalten darauf anspricht. Wenn eine Partnerschaft zwischen artfremden Tieren stattfindet, muss es also einen Nutzen für beide Partner geben: Zum Beispiel kann dann gelten: "Mehr Augen sehen mehr und entdecken auch Feinde schneller." Ob man so etwas dann wirklich Freundschaft nennen kann, stell ich in Frage.

Wenn eine Hündin junge Raubkätzchen säugt - spielen da auch Mutterinstinkte eine Rolle?

Eigentlich würde es der Darwinschen Theorie widersprechen, wenn ein Muttertier seine Ressourcen an Lebewesen einer anderen Art verschwendet. Aber es gibt eine Erklärung: Es könnte sein, dass das Tier zu viel Milch hat. Deshalb hat es nichts dagegen, wenn ihr diese abgezapft wird, egal ob von einem Tierarzt mit einer Pumpe oder einem Jungtier einer anderen Art. Das bedeutet aber nicht, dass eine Bindung zu dem Jungtier entwickelt werden muss.

Wenn beide Seiten einen Nutzen aus der Zusammenarbeit ziehen, kommt es dann auch in der freien Natur zu festen Beziehungen?

Ja, das nennt sich dann Symbiose. Ein Beispiel sind Affen. Da ist es so, dass verschiedene Arten die Alarmrufe der anderen Arten verstehen und dadurch voneinander profitieren. Es geht sogar so weit, dass die verschiedenen Alarmrufe einer Art, die einen ganz bestimmten Feind bezeichnen, von Artfremden verstanden werden.

Dass Tiere bei Feindrufen differenzieren können, wissen wir von der grünen Meerkatze, die südlich der Sahara lebt. Wenn sie eine Python sieht, gibt sie einen Schlangenruf ab. Ihre Artgenossen suchen dann den Boden ab. Stößt die Meerkatze dagegen einen Alarmruf wegen eines Adlers aus, gucken alle nach oben und suchen den Himmel ab.

Es gibt auch Symbiosen zwischen Säugetieren und Vögeln. Zum Beispiel scheuchen Zwergmangusten, also Schleichkatzen in Tansania, auf der morgendlichen Futtersuche Heuschrecken auf. Davon profitiert ein Nashornvogel, der die Zwergmangusten durch Rufe vor feindlichen Greifvögeln warnt. Die Mangusten verstehen den Alarm und können fliehen.

So ein Alarmruf könnte ein schlaues Tier ja auch absichtlich falsch einsetzen, zum Beispiel um Futterrivalen zu vertreiben - gibt es auch Alarmrufe, die Täuschungen sein können?

Tiere täuschen tatsächlich. Das kann man zum Beispiel bei Kohlmeisen am Futterhäuschen beobachten: Eine Kohlmeise stößt einen Warnruf für einen Greifvogel aus. Die anderen Meisen fliehen, und die "durchtriebene" Meise bedient sich am Futtertisch.

Das klingt alles sehr kalkuliert. Machen wir Menschen einen Fehler, wenn wir Bilder von "Tierfreundschaften" sehen und den Tieren dann menschliche Emphatie und Zuneigung zuschreiben?

Manche Forscher schreiben Tieren qualitativ ähnliche Emotionen zu, wie der Mensch sie hat. Wir haben aber ein sogenanntes "Leib-Seele-Problem", das naturwissenschaftlich nicht lösbar ist. Wir können naturwissenschaftlich nicht beweisen, dass ein trauernder Hund qualitativ dieselbe Gefühlsregung wie ein trauernder Mensch empfindet. Man kann aber eine Reihe von Begleiterscheinungen beobachten, die denen des Menschen beim Trauern sehr ähnlich oder identisch sind. Das sind zum Beispiel Appetitlosigkeit oder Stress, der bis hin zum Tod führen kann.

Es gibt da ieses Beispiel der jungen Schimpansin, die eine ungewöhnlich starke Mutterbindung hatte und deshalb die Gruppe nicht verlassen hatte. Als die Mutter eines Tages verstarb, folgte ihr das sehr viel jüngere Schimpansenweibchen nur acht Tage später. Wahrscheinlich war das eine Folge der Trauer. Aus solchen Beispielen lässt sich ableiten, dass sich Unglückshormone und Stress bei Tieren durchaus messen lassen.

Wie würden Sie die Beziehung zwischen dem Mensch und seinen Haustieren - wie Hund, oder Aatze bezeichnen? Auch als Symbiose?

Man würde es wissenschaftlich nicht "Symbiose" nennen, aber es ist ein Nebeneinander und Miteinander zum wechselseitigen Vorteil. In dieser Beziehung haben sich über die Jahrtausende wechselseitig Verhaltensänderungen ergeben. Sehr stark sind diese Veränderungen beim Tier, das sich auf den Menschen und sein Signalsystem eingestellt hat. Zum Beispiel lebt der Hund mit dem Menschen seit 15.000 bis 20.000 Jahren zusammen.

So haben Forscher am Max-Planck-Institut in Leipzig Hund und Wolf vergleichend untersucht. Sie haben beide völlig gleich aufgezogen: Gleiche Bedingungen, gleiches Alter, gleiche kognitive Aufgaben. Es hat sich gezeigt, dass der Wolf die Signale des Menschen - wie Handbewegungen, Handweisungen, Blick, Blickrichtung und Sprache - viel schwerer oder gar nicht versteht. Im selben Alter hatte der Wolf auf allen Ebenen die schlechteren Karten als der Haushund.

Der Hund hat sich im Laufe der Evolution an den Menschen angepasst. Er hat sich verändert. Das Wichtige dabei ist das Miteinander mit dem Menschen, der ihn pflegt und der seine Dienste nutzt. Und da ist es doch erstaunlich zu sehen, wie sehr der Hund dem Wolf überlegen ist, wenn es darum geht, die nonverbale Kommunikation des Menschen zu verstehen.

Der Ornithologe, Ökologe und Verhaltensforscher Eberhard Curio ist emeritierter Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Das Interview führten Nathalie Paust und Fabian Schmidt