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Kultur der Wut

22. März 2010

Wut hat viele Ursachen: Frust, Hass, Trauer. Doch welche Art von Wut rufen politische Ungerechtigkeit und koloniale Ausbeutung hervor? Dieser Frage geht das Haus der Kulturen der Welt in Berlin nach.

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Frau vor Zahnoperation Foto: Haus der Kulturen der Welt
Zahn-OP vor PublikumBild: Regina José Galindo/HKW/Prometeo Gallery di Ida Pisani

"Looting" – Plünderung nennt Regina José Galindo ihre Performance. Der Anblick ist nur schwer zu ertragen. Das pfeifende Bohren quält die Ohren. Die Künstlerin aus Guatemala lässt sich vor Publikum ihr Zahngold herausoperieren. Körperliche Qualen, selbst Folter, sind oft Teil ihrer Performances. Ihre Kunst sei hart, sagt Regina José Galindo, weil ihr Heimatland Guatemala dazu herausfordere. Die kleine, zierliche Frau inszeniert die alltägliche Gewalt in brutalen Bildern. Ihre Kunst macht auch vor Selbstverstümmelung nicht halt, um die Schrecken kolonialer Ausbeutung zu symbolisieren.

Die Kunst "über Wut" ist nie trivial

Über Wut/On Rage" heißt eine Veranstaltungsreihe im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Eine Ausstellung, Performances, Lesungen und Videoinstallationen versuchen die Frage zu beantworten, welche produktive Kraft Wut haben kann. Die Veranstaltungsreihe erlaubt keinen beiläufigen Kunstgenuss. Die Zuschauer können sich nicht auf bequeme Positionen zurückziehen, sich an keiner Tribüne anlehnen. Es steht mitten drin, etwa wenn Schauspieler Birol Ünel mit wütendem Gehäul die Welt anklagt. "Howl", das bekannteste Gedicht des US-amerikanischen Schriftstellers Allen Ginsberg, beschreibt seine Wanderung zwischen Drogen, Jazzmusik und Wahnsinn. Mit sorgfältig gewählten Performances, mit bitterböse-ironischen Malereien oder durch mitreißende Lesungen ist den zwei Kuratorinnen eine hervorragende Mischung gelungen.

Die Wut rauslassen

Frau schläft mit Stock auf ein Fahrrad ein © Courtesy of the artist and Reena Spaulings Fine Art, NYC
Klara Lidéns Video "Bodies of Society"Bild: Klara Lidén & Reena Spaulings Fine Art, NYC

Mit ihrer demonstrativen Zahnoperation, sagt Regina José Galindo, habe sie die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Guatemala bewusst auf einen Punkt gebracht. "Deutschland und Guatemala haben eine langjährige konfliktreiche Beziehung, die Ende des 19. Jahrhunderts begann", erläutert die Künstlerin. "Einer unserer vielen Diktatoren forderte die Deutschen auf einzuwandern, um die Rasse zu verbessern. Noch heute haben Familien mit deutschen Nachnamen wichtige Positionen im Staat und in den Streitkräften. Sie sind verantwortlich für Leid und Elend in meinem Land." Die Anspielung auf den Raub von Zahngold in deutschen Vernichtungslagern ist kein Zufall. Mit ihrer Performance zielt Regina José Galindo auf eine dunkle Allianz – die Ausplünderung ihrer Heimat durch deutsche und guatemaltekische Eliten.

Immer wiederkehrende Bilder der Gewalt

Die koloniale Ausbeutung, die globale Zerstörung, die Vernichtung ganzer Völker sind Themen, um die die Ausstellung in verschiedenen Variationen kreist. Mit den immer wiederkehrenden Bildern einer inszenierten Realität beschäftigt sich auch Kaya Bekalam. In einer begehbaren silbernen Videobox mit dem Titel "Images Reloaded" lässt der Berliner Mediendesigner Schauspieler aus sieben Ländern die Revolution diskutieren.

Wie spitze Nadelstiche geht der künstlerische Wutausdruck unter die Haut. Die fulminante Eröffnung macht große Lust, sich am kommenden Wutgipfel zu beteiligen, wenn in den folgenden Wochen zahlreiche Autoren weiter über die "Kultur der Wut" diskutieren.

Autorin: Jutta Schwengsbier

Redaktion: Sabine Oelze