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Wenn Harry Potter in die Zeitmaschine steigt

Susanne Dickel19. Dezember 2013

Die letzte Seite ist umgeblättert, die Geschichte ist aus. Meistens tut der Abschied von der Lieblingsfigur weh. Es gibt jedoch eine Lösung für trauernde Fans: Die Story einfach weiter schreiben. In Fanfictions.

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Ralph Fiennes als Lord Voldemort (Foto: picture-alliance)
Lord Voldemort, der schlimmste Widersacher des Zauberschülers Harry PotterBild: picture-alliance/kpa

Als Madeleine Doerfler (Name geändert) elf Jahre alt war, war sie ein großer Harry Potter-Fan. In der beliebten Roman-Reihe von Joanne K. Rowling gibt es viele Widersacher des berühmten Zauberschülers. Doch ein Ekelpaket hatte es Madeleine besonders angetan: Lucius Malfoy, der zwielichtige Handlanger von Lord Voldemort, Harry Potters Todfeind. Über Lucius hatte Rowling nur wenig geschrieben. "Meiner Meinung nach hatte er eine zu kleine Rolle in den Büchern", erinnert sich Madeleine heute, mit 23 Jahren. "Deshalb hab ich mir ausgedacht, wie seine Schulzeit so gewesen sein könnte." Einige ihrer Fantasien schrieb sie nieder und wurde so selbst zur Autorin – zur Fanfiction-Autorin. "Damals wusste ich aber gar nicht, dass es sowas überhaupt gibt", sagt sie und lacht.

In Fanfictions spinnen Fans Geschichten aus Büchern, Filmen, Comics oder Computerspielen weiter. Dabei beschränken sie sich nicht auf Bestseller und Blockbuster wie Harry Potter oder Batman. Es gibt auch Fanfictions über Goethes Faust oder Kafkas Verwandlung. Schon in den 1920er Jahren dachten sich Fans von Sherlock Holmes und Jane Austens Romanen eigene Geschichten aus.

Inzwischen existiert im Internet eine riesige Gemeinde: Über 300 neue Geschichten erscheinen jeden Tag im deutschen Archiv Fanfiktion.de. Neben Madeleine Doerfler schreiben hier etwa 120.000 Fans, vom Medizinstudenten bis zur Hausfrau. Harry Potter ist besonders beliebt: Zurzeit stehen über ihn 32.000 Geschichten im Archiv.

Neue Figuren, neue Handlung, neues Ende

Die Fans erzählen, was mit Nebencharakteren wie etwa Lucius Malfoy geschieht. Sie erfinden auch eigene Figuren, die die Geschichte des Originals miterleben und dabei oft auch die Handlung verändern. Manche Fanfiction-Autoren denken sich einfach ein neues Ende aus. Auch das hat Doerfler schon gemacht. In ihrer Fanfiction "Fußstapfen" gibt es kein Happy-End, stattdessen siegt Harry Potters Erzfeind Lord Voldemort im finalen Kampf:

Joanne K. Rowling (Foto: dpa)
Die Autorin Joanne K. Rowling erlaubt Fanfiktion. Aber nur, wenn die Stories jugendfrei bleiben.Bild: picture-alliance/dpa

"Nun kämpfte niemand mehr. Die Schlacht war vorbei und während Neville versuchte, zu begreifen, zu verstehen, schritten einige der überlebenden Todesser das Gelände ab und jagten jedem, der noch atmete, einen Todesfluch auf den Hals. Besonders viel hatten sie nicht zu tun. Nur wenige lebten noch. Er wünschte, sie würden sich beeilen, hatte es satt, auf das Unabwendbare warten zu müssen."

Eine gute Fanfiction-Geschichte ist nicht einfach zu schreiben. Das beginnt schon beim Handwerk: Viele Erzählungen strotzen vor Rechtschreib- und Grammatikfehlern und viele Ideen sind nicht besonders originell. So verliebt sich in nahezu jeder zweiten "Herr der Ringe"-Geschichte der Elb Legolas in eine erfundene Frauenfigur. Kein Wunder: Im Film wird Legolas von Teenieschwarm Orlando Bloom gespielt und hat tatsächlich keine Gefährtin.

Eine "Ehre" für den Autor

Science-Fiction-Autor Andreas Eschbach stört es nicht, dass seine Fans seine Geschichten weiter schreiben, im Gegenteil: Er fühlt sich geehrt. Fanfiction gibt es unter anderem für seine Romae "Exponentialdrift" und "Der Letzte seiner Art". Für den Bestsellerautor zählt der Qualitätsunterschied: "Deshalb zahlt man dem Schriftsteller ja auch Geld fürs Schreiben", sagt er. "Weil es bei ihm gut zu lesen ist."

Science Fiction-Autor Andreas Eschbach (Foto: Bastei-Lübbe)
Science Fiction-Autor Andreas Eschbach freut sich, wenn seine Figuren die Fans inspirierenBild: Olivier Favre/Bastei-Lübbe-Verlag

Als Jugendlicher hat er selbst Fanfiktion zu Perry Rhodan geschrieben, einer deutschen Science-Fiction-Serie. "So fängt man eben an", glaubt Eschbach. "Man kopiert erst, bevor man eigene Ideen hat."

Auch die Jugendbuchautorin Isabel Abedi bleibt bei dem Thema entspannt: "Generell glaube ich nicht an das Eigentum von Ideen. Die Geschichten leben ja davon, dass Leser sie weiterträumen." Wie sie lassen viele Autoren Fanfiction zu, solange niemand Geld daran verdient oder die Geschichten obszöne Inhalte bekommen.

Andere Schriftsteller wehren sich strikt gegen Fanfiction. Die Bestseller-Autorin Anne Rice ("Gespräch mit einem Vampir") weist auf ihrer Webseite mit deutlichen Worten auf ihr Copyright hin und fügt hinzu: "Allein der Gedanke daran, dass andere meine Charaktere benutzen, macht mich sehr wütend. Ich rate meinen Lesern, sich ihre eigenen Geschichten und Figuren auszudenken und bitte sie, das zu respektieren."

Ein urheberrechtliches Problem?

Wer Fanfiction ins Internet stellt, kann sich damit strafbar machen. Juristin Brigitte Rohlf stellt klar, was bei Fanfiction nicht geht: "Man kann nicht einfach einen Roman nehmen, eine Lücke schaffen und was Neues reinsetzen." Nach diesem Prinzip funktionieren allerdings die meisten Fanfiction-Geschichten. "Es ist nur dann zulässig, wenn dabei ein neues Werk entsteht," erklärt die Urheberrechtlerin. Nur: Was ist ein neues Werk? Ob sich die Fanfiction genügend vom alten Werk abgrenzt, ist oft eine Einzelfallentscheidung.

Manche Fans schreiben deshalb vorweg: "Die Orte und Figuren gehören mir nicht, ich leihe sie mir nur aus und verdiene kein Geld damit." Eine solche Absicherung könne zwar helfen, um dem Autor der Originalgeschichte zu zeigen, dass man sich nicht bereichern wolle, sagt Rohlf. Rechtlich relevant sei sie aber nicht.

Auch Madeleine Doerfler weiß, dass sie auf das Wohlwollen des Autors angewiesen ist. "Wenn's hart auf hart kommt, muss man die Geschichte eben rausnehmen. Das hat auch was mit Respekt für den Autor zu tun." Was die Autoren aber auch wissen: Fanfiction-Schreiber gehören oft zu den treuesten Anhängern. Die will kaum jemand mit einem Verbot verprellen.

David Garrett (Foto: dpa)
Star-Geiger David Garrett beim Echo 2013Bild: picture-alliance/dpa

Wenn Teenies träumen

Ganz anders ist es, wenn sich die Fanfiction um reale Personen dreht. Als Teenager hat Madeleine Doerfler auch solche Geschichten geschrieben. Über die deutsche Power-Metal-Band Edguy. "Ich war in den Sänger verknallt und habe mir romantische Liebesgeschichten aus den Fingern gesogen", erzählt sie. "Mit 14, 15 hab ich nicht über die Persönlichkeitsrechte meiner Idole nachgedacht." Jetzt achte sie natürlich darauf. Die Geschichten über ihren Rockstar hat sie inzwischen gelöscht.

Einige Stars wollen allerdings von vorneherein verhindern, als Hauptperson eines kitschigen Teenietraums im Internet zu landen. Der Geiger David Garrett beispielsweise hat Fanfiction über sich verboten.