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Wenn Deutsche auf Chinesisch rocken

Zhang Xiaoying25. Juni 2005

Chinesischer Pop ist Geschmackssache: Vier Berliner Sinologen sind allerdings auf den Geschmack gekommen und rocken auf chinesisch. Das wiederum ist für Chinesen Geschmackssache.

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Auch gutes und geschmackvolles Bühnenoutfit zähltBild: Volker Häring

Der "Traum der roten Kammer", ein tragischer Liebesroman aus dem 18. Jahrhundert, ist das literarische Meisterwerk Chinas und Pflichtlektüre für alle, die sich mit chinesischer Literatur befassen. Der "Alptraum der roten Kammer" sind hingegen vier deutschen Sinologen aus Berlin, die Rockmusik machen - auf Chinesisch.

"Hübsch und hat ein goldenes Herz"

"Im Dorf gibt's ein Mädchen namens Xiao Fang. Es ist hübsch und hat ein goldenes Herz": "Xiao Fang" war 1993-94 ein Riesen-Hit in China. Das Lied handelt von der ersten Liebe eines Jugendlichen, der während der Kulturrevolution aufs Land verschickt wurde. Im Original harmonisch-süßer Schmalz. Die Version vom "Alptraum der roten Kammer" hört sich ganz anders an: Eine Mischung aus Rock und Funk - leidenschaftlich, wild, ja fast frech.

"Wir finden den Song sehr schön, auch die Melodie", sagt Andreas Steen, Schlagzeuger der Band. Er war ihnen aber zu seicht. "Wir waren mit dem ganz Ruhigen nicht einverstanden und kamen auf die Idee, dass man daraus etwas anderes machen könnte."

Cover Alptraum der Roten Kammer
Alptraum der Roten Kammer: Chinesische Rockmusik aus Deutschland

Steen ist hauptberuflich Dozent für chinesische Geschichte und Literatur an der Freien Universität Berlin. Neben ihm spielen drei weitere Sinologen in der Band: Volker Häring, Peter Merker und Andreas Kraus. Der Bassist Enrico Dalisay von den Philippinen ist der einzige, der nicht aus dem chinesischen Fachbereich stammt. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, in den 80er Jahren in der Band des chinesischen Rockkönigs Cui Jian zu spielen. Im Frühjahr 2003 wurde nach gelungenen Zufallsauftritten die erste und einzige chinesische Rockbank in Deutschland unter dem Namen "Alptraum der roten Kammer" gegründet.

Für Chinesen eher ein Alptraum?

Tatsächlich bekommen viele Chinesen im Publikum erst einmal einen Schreck, wenn aus dem beliebten "Xiao Fang" eine harte Rock-Version wird. "Für viele Chinesen ist das, was wir machen, eher ein Alptraum", sagt Häring. "Rockmusik ist in China noch eine Sache, die eher wenige Leute richtig mögen - vor allen Dingen der Regierung macht sie Kopfschmerzen. Deswegen eben nicht nur Traum, sondern vielleicht auch der Alptraum der roten Kammer."

Mit ein bisschen Sinn für Humor lernt man jedoch schnell die Alptraum-Jungs und ihre Lieder schätzen. So auch "Der Rote Lappen" von Cui Jian, dem zum "Vater des chinesischen Rocks" gekrönten Star. Er gilt als Meilenstein der chinesischen Rockmusik. Wegen der stark politischen Anspielungen seiner Lieder und aus Angst vor der Massenwirkung seiner Konzerte hatten die chinesischen Behörden Cui Jian noch bis in die 1990er Jahre oft Auftrittsverbot erteilt. Und so ist der "Rote Lappen" ein Musterbeispiel chinesischer Doppeldeutigkeit: "Der Text kann eben einerseits eine Liebesgeschichte, aber auch eine politische Anspielung sein", sagt Steen.

Schlager schlägt Rock

Im Vergleich zu jener Zeit, zu der Rockmusik in China nur im Untergrund überleben konnte, hat sie heute längst ihren rebellischen Charakter verloren. Zumal nach der Einführung der Marktwirtschaft auch in die Musikindustrie nur noch eine Regel gilt: Wer die Masse anspricht, hat Recht.

Warum ziehen aber viele Chinesen Gangtai Gequ, also die sanften Schlager aus Taiwan und Hongkong, der Rockmusik vor? Geschmackssache: "Rock ist eine Musikrichtung von vielen, aber eben nicht die, die in China am populärsten ist - und das wahrscheinlich auch nie werden wird", sagt Steen. "Die Chinesen tendieren eher zum Melodiösen, etwas Ruhigeren. Ein Chinese hat es mir erklärt: Das Leben hier sei hektisch genug. Wenn er sich so etwas auch noch zu Hause anhöre, dann komme er gar nicht mehr zur Ruhe."

Deutsche Erfolge auf Chinesisch

Von Unterdrückung der Rockmusik kann jedenfalls nicht mehr die Rede sein: Sogar die chinesische Botschaft in Berlin hat schon Interesse bekundet. Ein ehrgeiziges Ziel der Band ist, im Sommer auf dem Bierfest der ehemaligen deutschen Kolonie Qingdao aufzutreten. Bevor jedoch die Jungs ihre internationale Karriere starten, werden sie weiterhin ihre Fans im Berliner und Leipziger Raum begeistern. Für die Deutschen im Publikum gibt es Beatles, Neue Deutsche Welle oder BAP auf Chinesisch.

Wie reagieren die deutschen Zuschauer, wenn die Band chinesisch singt? "Sie finden es ganz originell", sagt Häring. "Doch es ist der typische Verfremdungseffekt: Jeder kennt die Lieder - wenn diese dann plötzlich nicht mehr deutsch oder englisch, sondern eben chinesisch gesungen werden, ist es doch eine ziemliche Umgewöhnung."