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Wenn Allah es so will…

29. Oktober 2005

Rund 85 Prozent der Malier sind praktizierende Muslime. In europäischen Köpfen gehen bei dieser Zahl sofort die Alarmleuchten an: verschleierte Frauen, hasserfüllte Prediger und bewaffnete Terroristen.

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Die Wirklichkeit in Mali sieht friedlicher aus: Allah ist immer dabei. Die Fischverkäuferin am Straßenrand rollt in der Morgendämmerung eine bunte Plastikmatte aus, um zu beten. Die lässigen Jungs vom Internetcafe fasten für Allah und verbeugen sich am Freitagmittag bis zum Boden vor ihrem Gott. Und auch bei jedem Versprechen ist Allah zugegen: "Inshallah" - wenn Allah es so will - sagen die Malier. Das heißt bezeichnenderweise soviel wie "vielleicht".

Vier Schulen und fünf Gebete

"Der malische Islam ist im Wesentlichen ein malikitischer Islam", sagt Oualy Konté. Er ist Berater für religiöse Angelegenheiten im Ministerium für Territoriale Verwaltung. Aber auch die anderen drei großen Schulen des Islam seien in Mali vertreten. Und darüber hinaus haben laut Konté zwei Bruderschaften einen gewissen Einfluss: die "Quadriya" und die aus Marokko stammende Bruderschaft der "Tidjanes". Doch die meisten Malier würden nicht dem charismatischen Anführer einer Bruderschaft folgen, sondern nur dem Imam ihrer Moschee. "Im großen und ganzen gelten dieselben Prinzipien für alle", sagt Konté "Unsere Quelle sind der Koran und die Schriften über die Taten und Gesten des Propheten, die so genannten "'Hadithe'". In der Praxis bedeutet das: fünf Gebete am Tag, Almosensteuer zahlen, Fasten während des Ramadan und eine Pilgerfahrt nach Mekka. Aber natürlich nur "inshallah", wenn Allah es so will. Und so kommt es, dass der sonst so flammende Muslim Handane aus der "heiligen Stadt" Timbuktu nicht fastet und auch noch nicht in Mekka war.

Tradition der Toleranz

Aliou wird manchmal gefragt, warum er mit seinem dicken Bauch nicht fastet. Seine Antwort ist einfach: Er gehört einer christlichen Kirche an. Wäre es nach seinem Vater und seinem Onkel gegangen, die ihn als Muslim erzogen haben, wäre er kein Christ geworden. Aliou hat vor der Grundschule eine Koranschule besucht und konnte mal ganz schön viele Koranverse auswendig. Aber die Liebe zur Kirchenmusik mit E-Gitarre und die Neugier auf die Bibel waren bei Aliou stärker als die Familientradition. Die Verwandten haben seine Wahl akzeptiert. Nur wohnt der Journalist jetzt nicht mehr zu Hause. Er hat sich ein eigenes Appartement genommen, was in Mali wirklich selten ist. "Doch!", die Malier seien tolerant gegenüber Andersgläubigen, sagt Aliou. Regierungsberater Oualy Konté teilt seine Meinung. "Der Islam ist ganz früh mit den Händlern nach Mali gekommen", sagt er, "und gibt es tolerantere Menschen als Händler?".

Politik der Prävention

Kontés Aufgabe besteht unter anderem darin, religiöse Angriffe auf die öffentliche Ordnung zu verhindern. Gefahr droht in seinen Augen höchstens von einigen Sekten, zum Beispiel von den "Pieds Nuds" – zu Deutsch "Barfüßler". Diese muslimische Sekte, die sich jeglicher Modernität verweigert, müsse man immer mal wieder in die Schranken weisen, sagt Konté. Radikale, politische Islamisten hingegen, die gebe es nicht. Auch nicht im Norden, wo weite, unkontrollierbare Wüstengebiete an Algerien und Mauretanien grenzen und die Menschen oft mit noch weniger auskommen müssen als im Süden? "In Gao gibt es viele pakistanische Prediger", lautet Kontés Antwort. Aber er habe sich dort im hohen Norden mit den ansässigen Islamgelehrten getroffen und die hätten ihm versichert, diese Prediger seien nicht gewalttätig. Außerdem, führt Konté an, gebe es seit kurzem einen Kodex für Predigten: Jeder ausländische Prediger, der nach Mali kommt, muss sich an die darin vorgeschriebenen Regeln halten und das werde von einer Kommission überprüft.

Wenig Platz für Extreme

Bis auf einen Spalt um die Augen verschleierte Frauen sieht man selten in Bamako, und auf dem Land noch seltener. "Wir mögen das nicht, wenn unsere Frauen sich mit diesen Schleiern in der Öffentlichkeit bewegen", sagt ein Mann. Die Malier sind stolz auf ihre Weltoffenheit. Und weil die Familienbande eng und übergreifend sind, bleibt wenig Raum für Parallel-welten. Außerdem greifen Staat und Religion oft ineinander. Das zeigt das Beispiel vieler privater Islamschulen. Sie sind seit einigen Jahren in das nationale Erziehungssystem eingegliedert. Die Schüler lernen sowohl Arabisch und Koranverse, als auch Französisch und Physik. Sie benutzen dieselben Bücher wie in staatlichen Schulen und müssen deren Lernstandards erfüllen. Oualy Konté hat noch eine Erklärung für die überwiegend friedliche Form des malischen Islam. "So sehr wir auch gute Muslime und gute Christen sind", sagt Oualy Konté, "in jedem von uns steckt ein animistischer Kern".