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Halb voll, halb leer

29. Februar 2012

Kommissionspräsident Barroso sieht kurz vor dem EU-Gipfel Licht am Ende des Krisentunnels. Doch nur wenige teilen diesen Optimismus.

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European Commission President Jose Manuel Barroso addresses a news conference on the eve of a two-day European Union leaders summit in Brussels February 29, 2012. As the legislative process underpinning Greece's budget commitments grinds into gear, Prime Minister Lucas Papademos is to meet Barroso on Wednesday before a European summit on Thursday and Friday. REUTERS/Eric Vidal (BELGIUM - Tags: POLITICS BUSINESS)
EU Gipfel Europäische Kommission Barroso MinisterratBild: Reuters

Dramatische Appelle des Kommissionspräsidenten an die Staats- und Regierungschefs gehören zum Vorspiel jedes EU-Gipfels, seit es die Euro-Krise gibt. Diesmal ist es anders. José Manuel Barroso versuchte gegenüber Journalisten in Brüssel, Optimismus zu verbreiten. Die Griechenland-Hilfe, aber auch die Reformen dort seien auf dem Weg, und der Fiskalpakt schaffe nun Haushaltsdisziplin in der EU. "Ohne selbstgefällig sein zu wollen, glaube ich, wir können langsam zuversichtlich sein, dass wir die Grundlagen für eine Rückkehr zu Wachstum in Griechenland gelegt haben." Auch in Europa insgesamt werde das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte nach einer leichten Rezession zurückkehren. "Daher dürfte dieser Gipfel weniger dramatisch sein als die vorangegangen. Sie werden mir sicher zustimmen, dass etwas weniger Drama niemandem schaden wird."


Die Zweifel an Griechenland überwiegen


Eine erstaunliche Botschaft. Zwar stehen diesmal tatsächlich keine ganz großen Entscheidungen an. Und mit dem Fiskalpakt kommt die EU ziemlich schnell voran. Die meisten Staats- und Regierungschefs wollen den Pakt beim Gipfel unterzeichnen. Andererseits hat die irische Regierung mit der Ankündigung, sie werde eine Volksabstimmung zu dem Pakt abhalten, für neue Unsicherheit gesorgt. Doch vor allem beim Thema Griechenland sehen die meisten Regierungen keinerlei Grund für Entwarnung. Die Spar- und Reformmaßnahmen kommen kaum voran; die Wirtschaftsdaten verschlechtern sich weiter; viele Griechen gehen gegen die Sparpolitik auf die Barrikaden. Das verstärkt in den Geberländern die Zweifel am Sinn der Hilfe. Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker forderte jetzt in einem Zeitungsinterview einen Extra-Kommissar, der sich um den Aufbau der griechischen Wirtschaft kümmern soll. Und mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat jetzt sogar ein deutsches Regierungsmitglied den Griechen den Austritt aus dem Euro nahegelegt. In Athen verbrennen inzwischen aufgebrachte Demonstranten Europaflaggen.


Europaflagge als Symbol der Bevormundung?


Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, machte am Dienstagabend (28.02.2012) in einer Rede vor dem griechischen Parlament seiner Verzweiflung Luft. "Dass die europäische Fahne, eigentlich ein Symbol für Einheit und Frieden, für Demokratie und Solidarität, jetzt für manche nicht nur hier, sondern auch in anderen Ländern Europas zum Symbol für Bevormundung und Eigennutz wurde, das muss uns allen die Augen für die Dramatik öffnen." Als Deutscher sieht Schulz gerade auch das griechisch-deutsche Verhältnis "allmählich vergiftet", wie er in Athen sagte. Dramatik entdeckt er aber auch in einer Folge der Sparpolitik überall in Europa, nämlich der Jugendarbeitslosigkeit. "Dass die modernen Volkswirtschaften Europas es sich erlauben, dass 40 Prozent von jungen Männern und Frauen keine Arbeit haben, das ist nicht nur eine Schande, das legt die Axt an die Demokratie in ganz Europa."

Schulz gestikuliert am Rednerpult im griechischen Parlament REUTERS/Panayiotis Tzamaros (GREECE - Tags: POLITICS BUSINESS)
Schulz im griechischen Parlament: "Es schmerzt mich"Bild: Reuters


Deutschland will nicht noch mehr einzahlen
 

Tatsächlich sind nun Wachstum und Beschäftigung die Zauberworte in Europa und auch bei diesem Gipfel. Sparen allein sei nutzlos, ist der neue Konsens. Durch Bildung und Forschung, aber auch durch Investitionen in grüne Energien und Breitbandnetze soll Europa aus der Krise herausfinden. Allerdings: Umfangreiche öffentliche Konjunkturpakete sind tabu. Und die Kommission kennt nun keine Gnade mehr bei Defizitsündern. Sie setzt andererseits aber auch die Deutschen unter Druck, den dauerhaften Rettungsschirm ESM aufzustocken, so die indirekte, aber klare Botschaft von Währungskommissar Olli Rehn vor wenigen Tagen. "Wir in der Kommission sehen eine klare Notwendigkeit, die finanziellen Brandmauern des Euro-Gebiets weiter zu verstärken." Weil sich die Bundesregierung aber - noch - strikt dagegenstellt, hat Ratspräsident Herman Van Rompuy einen ursprünglich anberaumten Gipfel nur der 17 Euro-Länder im Anschluss an das Treffen der 27 wieder abgesagt. Die ESM-Aufstockung wäre der einzige Tagesordnungspunkt gewesen. Van Rompuy selbst soll übrigens als Präsident für weitere zweieinhalb Jahre in seinem Amt bestätigt werden. Und er soll auch die künftigen Euro-Gipfel leiten.


Serbien dürfte Beitrittskandidat werden
 

Erstmals seit längerem hat ein Europäischer Rat, wie die EU-Gipfel offiziell genannt werden, auch wieder eine nennenswerte außenpolitische Agenda. Am wichtigsten dabei: Serbien dürfte den Status eines EU-Beitrittskandidaten bekommen, nachdem es ein wichtiges Abkommen mit dem Kosovo geschlossen hat. Die Außenminister haben das am Dienstag zwar empfohlen, aber nicht entschieden, weil Rumänien überraschend Bedenken geltend machte. Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle erwartet aber, dass die Probleme bis zum Gipfel ausgeräumt werden. "Kosovo und Serbien haben die Kriterien, die wir angelegt haben, erfüllt, und deswegen ist es auch folgerichtig, dass wir als Europäer Wort halten." Die Regierungen dürften außerdem erneut ein Ende der Gewalt gegen die syrische Opposition fordern und an den UN-Sicherheitsrat appellieren, seiner Verantwortung für das syrische Volk nachzukommen, im Klartext: Russland und China sollen eine Assad-kritische Resolution mittragen. Und die Staatschefs dürften auch den nordafrikanischen Reformstaaten Hilfen beim Aufbau der Demokratie und der Wirtschaft anbieten.

Westerwelle steht lächelnd neben dem serbischen Präsidenten Tadic REUTERS/Ivan Milutinovic (SERBIA - Tags: POLITICS)
Westerwelle (links) mit serbischem Präsidenten Tadic in Belgrad: Kriterien erfülltBild: Reuters

Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Dеnnis Stutе