Leben hinter Gittern
19. Januar 2013Beate Zschäpe, mutmaßliches Mitglied der Terrorzelle NSU (Nationalsozialistischer Untergrund), wartet auf ihren Prozess. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr vor, Mittäterin bei zehn Morden und weiteren Straftaten der Neonazi-Zelle gewesen zu sein.
Damit sieht Zschäpe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln-Ossendorf dem größten Terrorismusprozess in Deutschland entgegen seit den Verfahren gegen die Rote Armee Fraktion (RAF). Seit über einem Jahr sitzt die mutmaßliche Terroristin in Einzelhaft.
23 Stunden pro Tag allein in der Zelle zu verbringen seien üblich, sagt der Berliner Jurist Sebastian Scharmer, der als einer der Anwälte im bevorstehenden Prozess die Nebenkläger vertritt. Der Grund: Während der Untersuchungshaft sollen die Kontakte mit Anderen eingeschränkt werden, damit der Verdächtige keine Zeugen beeinflussen kann. Die besonderen Haftbedingungen sollen zudem die Fluchtgefahr vermindern.
Eine Stunde am Tag bleibt Zschäpe für einen Hofgang. Auch dabei ist sie wieder allein. Zwei Mal pro Monat darf die 38-Jährige mit ihrer Großmutter telefonieren und ihr Briefe schreiben, die kontrolliert werden. Bislang waren auch ihre Möglichkeiten beschränkt, mit ihren Verteidigern in Kontakt zu treten. Briefwechsel mit den Anwälten wurden überprüft. Auch durfte sie sich nicht mit ihnen in einem Raum aufhalten. Zschäpe war von ihren Anwälten durch eine Glasscheibe getrennt. Diese Auflagen hat das Oberlandesgericht München unlängst gelockert, weil die Justizbehörden keinerlei Anhaltspunkte haben, dass Zschäpe über ihre Anwälte mit möglichen Komplizen kommuniziert, so wie in den 1970er Jahren die RAF-Terroristen.
Zellen sind Kerker, keine Luxusherbergen
Der Haftraum, in dem Beate Zschäpe während der Kölner Untersuchungshaft untergebracht ist, misst wahrscheinlich zwischen den üblichen sechs bis zehn Quadratmeter mit Bett, Tisch, Schrank, Waschbecken und einer Toilette, so Justiz-Experte Scharmer.
Zum Vergleich: Es gibt Zellen in Deutschlands größter Haftanstalt Berlin-Tegel, die sind nur 5,2 Quadratmeter groß. "Mit einem Minifenster und in einem baulich katastrophalen Zustand, denn das Gebäude stammt noch aus der Kaiserzeit. Das sind echte Löcher", bemängelt nicht nur Sebastian Scharmer. Auch Kontrollgremien sprechen mitunter von "die Menschenwürde verletzenden Bedingungen". So entdeckten Prüfer der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter verdreckte Zellen und marode Sanitäranlagen.
In manchen JVAs werden bis zu acht Insassen in einem Haftraum untergebracht. Dies sei nur aufgrund von Ausnahmeregelungen erlaubt, nicht aber per Gesetz, sagt Strafverteidiger Scharmer: "Ein wesentlicher Kritikpunkt sind die unzureichende medizinische und psychologische Betreuung. Die beengte und oft perspektivlose Situation kann zu Auseinandersetzungen führen, die Gefangene als "Knastkoller" bezeichnen." Beschwerden werden oft nicht gehört, Missstände nicht abgestellt. Folgen sind Aggressionen, Gewalt oder psychische Erkrankungen.
Der Seelsorger - ein Mensch, der zuhört
Claudia Malzahn ist eine der wenigen Ansprechpartnerinnen für Menschen, die einsitzen. Die Pfarrerin arbeitet als Seelsorgerin der evangelischen Kirche in der Kölner JVA. "Ich führe Einzelgespräche mit Menschen, die die Geduld haben, auf mich zu warten, Gruppengespräche und Gottesdienste", beschreibt die Theologin ihren Arbeitsalltag. Die Gottesdienste sind neben Sport einer der wenigen Angebote am Wochenende. "Es ist wie früher auf dem Dorf, als es noch keinen Fernseher gab. Da war die Kirche der Treffpunkt. Und so ist es hier heute auch", weiß Claudia Malzahn um die Bedeutung ihrer Institution. Der Bedarf an geschützten Gesprächen sei sehr groß. Und es sind oft Fragen, wie der Gefangene zu einem guten Leben finden oder seine Haftsituation gestalten könne.
Zusammenleben auf engstem Raum, lange Einschlusszeiten, wenig Außenkontakte, mangelnde Perspektiven führten mitunter zu Ängsten und Bindungsstörungen, hat Sebastian Scharmer beobachtet: "Einer meiner Mandanten war nach 20 Jahren hinter Gittern überfordert, allein über die Straße zu gehen, weil er in der ganzen Zeit fremd bestimmt war."
Wenn Gerichtsentscheide nicht umgesetzt werden
Der Anwalt kämpft immer wieder gegen solche Haftbedingungen an. Zwar gebe es seit 1977 das Strafvollzugsgesetz, doch die Rechtschutzmöglichkeiten seien durch Ermessensspielräume der einzelnen JVAs nach wie vor beschränkt, sagt Scharmer. Als einer seiner Mandanten aus der Haft entlassen werden sollte, erstritt er vor Gericht, dass dem Mann Hilfe gewährt werden sollte bei der "Annäherung an die Freiheit", bei Wohnungssuche und dem Umgang mit Ämtern. Doch die JVA habe das Urteil ignoriert. Der Mann sei de facto unvorbereitet entlassen worden. Ein mögliches Risiko, dass der Ex-Häftling dadurch erneut straffällig werden könnte, habe die JVA ignoriert, so Scharmer.
Aber den Resozialisierungsprozess könnte man seiner Meinung nach fördern. "Man muss doch nach den Ursachen für Straftaten fragen und versuchen, diese aufzuarbeiten, um Opfer und Täter vor neuen Straftaten zu schützen", fordert der Jurist, "die Gesellschaft hat nichts davon, die Leute einzusperren und sie sind dann gefährlicher, wenn sie entlassen werden."
Die Perspektiven des Lebens im Gefängnis
Die Möglichkeiten zur Ausbildung und zum Austausch sind je nach JVA gering. Den offenen Vollzug, außerhalb des Gefängnisses zu arbeiten, können nur Insassen in Anspruch nehmen, von denen die Behörden ausgehen, dass sie nicht flüchten oder Straftaten außerhalb der Haftanstalt begehen. Hafturlaub ist in der Regel nur aus dem offenen Vollzug hinaus möglich. Diese Option gibt es für die wenigsten Gefangenen.
Hätte Pfarrerin Malzahn die Wahl, sie würde gerne den Kontakt zu Angehörigen erleichtern. Bisher dürfen die Häftlinge nur anderthalb bis zwei Stunden Besuch von Familienmitgliedern haben - pro Monat. In der JVA Köln können Inhaftierte, die entsprechend lange einsitzen, immerhin Schulabschlüsse machen.
Der Terrorverdächtigen Beate Zschäpe droht lebenslange Haft, dann im normalen Strafvollzug. Bei einer Verurteilung werde die 38-Jährige aufgrund der besonderen Schwere der Schuld wohl länger als 20 Jahre im Knast bleiben, schätzt Sebastian Scharmer. Eine lange Zeit, um sie in der Zelle abzusitzen oder sie zu nutzen, mit den bescheidenen Möglichkeiten, die der Alltag hintern Gittern bietet.