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Weltweite Wurzeln

Andreas Ebel10. September 2003

In der Vergangenheit kamen Erfindungen in Russland oft nur aus einem Land - dem eigenen. Den Ursprung technischer Fortschritte auch im Ausland zu suchen, war für Bildungseinrichtungen nicht selbstverständlich.

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Das Weltbild des sowjetischen Systems ist in Russland längst überholtBild: transit-Archiv

Die Wurzeln der Technik werden im eigenen Land gesucht und die Ideen ausländischer Erfinder verschwiegen - das war eine Devise des sowjetischen Bildungssystems. Und lange Zeit hat diese Philosophie ihre Spuren in russischen Lehrbüchern und Museen hinterlassen.

So verwiesen Historiker bei der Suche nach dem Ursprung technischer Innovationen meist ins eigene Land. Heute ist die russische Wissenschaftsgemeinde offener für Debatten: Museen haben ihre Darstellungen überarbeitet und neuere Lexika legen den Ursprung aller Technik nicht mehr ausschließlich im eigenen Land fest.

Vom Motorflug bis zum Radio

Die Gebrüder Wright haben den ersten Motorflug durchgeführt? Nein, das war ein Russe - jedenfalls wird das vom Moskauer Institut für Luftfahrttechnik behauptet. Leider existieren für den Flug keine Beweise. Und auch der Erfinder der Glühbirne ist für die Russen nicht unbedingt Thomas Edison oder Joseph Swan. Alexander Lodygin habe bereits 1872 eine Glühbirne gebaut. Ob das wirklich die erste ihrer Art war, bleibt fraglich, denn ein französischer Ingenieur soll fast 20 Jahre vorher ebenfalls eine Glühbirne entwickelt haben. Als der Italiener Guglielmo Marconi das erste Radio vorstellte, hatte der Russe Alexander Popow bereits Worte in Morsezeichen mit Hilfe eines Telegrafen übertragen - ob das als Erfindung des Radios gilt? Aus sowjetischer Perspektive schon.

Natürlich suchen auf der ganzen Welt Historiker nach den Ursprüngen wichtiger Erfindungen. Wenn diese fast zeitgleich, jedoch unabhängig voneinander entstanden sind, stellt sich die Suche nach dem wahren Ursprung oft als unmöglich dar. Innovationen, die im eigenen Land zustande kamen, stärken aber zweifellos das Nationalbewusstsein. So schreiben weltweit Patrioten an der Technikgeschichte mit und nehmen die Herkunft wichtiger Erfindungen für ihr Land in Anspruch. Die Ideen ausländischer Pioniere der Technik werden dabei in viele Fällen ignoriert.

Technik ist international

Igor Lagowski, Redakteur der Fachzeitschrift "Nauka i schisn" (Wissenschaft und Leben), relativiert die national eingeengte Perspektive der ehemaligen Sowjetunion: "Jeder hat etwas beigesteuert. Lodygin hatte seine Glühbirne, Edison hatte seine. Das war ein gemeinsamer Prozess." Auch bei der Erfindung des Radios gibt er sich diplomatisch: Man könne sie nicht allein einem Russen zusprechen, so Lagowski. "Bei Popow war das noch kein richtiges Radio, wie wir es heute kennen, bei Marconi schon."

Inzwischen haben auch Russlands Schulen und Museen begriffen, dass nicht nur in ihrem Land schlaue Köpfchen zu Hause sind. "Wir verfolgen jetzt den Ansatz, dass Technik international ist und viele Dinge parallel erfunden wurden", stellt Museumsleiterin Lidija Korschenowa das neue Credo des Polytechnischen Museums in Moskau vor. Bezogen auf das Radio will das Museum jedoch weiterhin an dem Russen Popow festhalten: "Wir bleiben dabei, dass Popow das Radio erfunden hat", so Lidija Korschenowa. "Wir haben unsere Beweise, Maconi hat seine."

Und überhaupt müsse nicht nur in Russland das Geschichtsbild überarbeitet werden. In deutschen Museen, so Korschenowa, werde zum Beispiel kaum erwähnt, dass das Periodensystem der chemischen Elemente von dem russischen Wissenschaftler Dimitri Mendelejew entwickelt wurde. Dabei gibt es daran - ausnahmsweise? - nichts zu deuteln.