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Treffen mit dem "12. Mann"

Bernd Gräßler15. Juli 2014

Für einen echten Fan sind selbst sieben Stunden Wartezeit nicht zu viel: So lange warteten Zehntausende auf der Fanmeile in Berlin auf ihre Weltmeister-Elf. Dann feierten sie ausgelassen mit ihren Idolen.

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Weltmeister-Feier in Berlin. Foto: Wolfgang Kumm/dpa.
Bild: picture-alliance/dpa

"Wir brauchen Euch. Ihr seid der 12. Mann", steht auf dem Doppeldecker-Bus, den der offizielle Fanclub der Nationalmannschaft zum Brandenburger Tor gekarrt hat. Der 12. Mann, die Fans, sind da. Die übrigen elf fehlen noch. Das Flugzeug aus Rio hat sich verspätet, das Warten zieht sich schier endlos in die Länge. Kurz nach Mittag ist es dann endlich so weit. Die ruhmreichen Brasilien-Rückkehrer betreten die Bühne vor dem Brandenburger Tor in Berlin, die Weltmeister wollen mit ihren Fans feiern. Bundestrainer Jogi Löw betritt unter Jubel als Erster die Bühne und ruft hunderttausenden Fans zu: "Ohne euch wären wir nicht hier. Wir sind alle Weltmeister."

Sieben Stunden lang haben da Christoph, Mark und Fabian schon auf der Straße des 17. Juni ausgeharrt. Davor lag eine mehr als sechsstündige Zugfahrt von Duisburg nach Berlin, mit Abfahrt am späten Abend und Ankunft im Morgengrauen. Für einen echten Fan im schwarz-roten Deutschland-Trikot kein Problem. "Curry 36 war noch geöffnet, als wir ankamen", lachen sie - die berühmte Berliner Imbiss-Kette schließt erst frühmorgens um fünf Uhr. Nach der kurzen Stärkung ging es direkt zum angestrebten Ziel, dem Brandenburger Tor.

"Ein richtiges Wir-Gefühl"

Für einen Platz direkt vor der Tribüne hat es trotzdem nicht gereicht für die drei Fußball-Fans aus dem Ruhrpott. Der Andrang an der 1,2 Kilometer langen offiziellen Fan-Meile war schon am frühen Morgen so groß, dass die Polizei die Schleusen an den Zugängen eine Stunde früher als geplant öffnen ließ. Für Christoph Lauer hat sich die Reise nach Berlin trotzdem gelohnt. "Das ist ein tolles Gefühl, mit so vielen Leuten zu feiern, ein richtiges Wir-Gefühl", sagt der Industrieschweißer, den vor allem das Spiel der Deutschen gegen Brasilien begeistert hat.

Empfang der Weltmeister in Berlin. Foto: Bernd Gräßler/DW.
Aus dem Ruhrpott angereist: Mark, Christoph und FabianBild: DW/B. Gräßler

Halb Berlin ist Fan-Meile

Die Fanmeile auf der Straße des 17. Juni ist gegen 10 Uhr laut Polizeisprecher schon "proppenvoll". Doch selbst die Polizei hält sich mit Schätzungen der Teilnehmerzahl zurück. Später heißt es vom Veranstalter, 400.000 seien gekommen.

Auf zehn Großleinwänden können die Fans die Tour des schwarzen Mercedes-Busses auf dem Weg vom Flughafen Tegel in die Innenstadt verfolgen. Die Weltmeister sind mit ihrem Tross in einen offenen Truck umgestiegen und winken der Menge am Straßenrand zu. Es ist eine Triumph-Fahrt, wie sie die Hauptstadt seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Halb Berlin wird zur Fan-Meile.

Unzählige Smartphones recken sich den Spielern entgegen, Fotos werden geschossen. Von Bastian Schweinsteiger, dessen Gesicht immer noch von einem Zweikampf im Finale gezeichnet ist. Per Mertesacker, Julian Draxler, Benedikt Höwedes und André Schürrle prosten der Menge zu, Thomas Müller schwenkt eine Kopie des WM-Pokals. Bundestrainer Löw und die meisten Spieler verstecken ihre Müdigkeit hinter Sonnenbrillen, auch Toni Kroos, der in Kürze von Bayern München zu Real Madrid wechseln wird.

Empfang der Nationalmannschaft in Berlin. Foto: Kay Nietfeld/dpa
Heiser, aber laut: Weidenfeller, Mustafi, Schürrle, Klose, Götze, Kroos (von links)Bild: picture-alliance/dpa

Slapstick mit den Spielern

Am Mittag ist dann endlich das Brandenburger Tor erreicht. Und dann erleben die Fans ihre Idole so locker, wie die selten sein dürfen, zumindest in der Öffentlichkeit: mit Gesängen und Slapstick-Einlagen, manche schon etwas befeuert von der einen oder anderen Flasche Bier. In Gruppen zu sechs oder sieben Spielern, so wie sie in Wohngemeinschaften in Brasilien zusammenlebten, rennen sie auf die Bühne, lassen sie die Moderatoren mit ihren vorbereiteten Fragen eins ums andere Mal ins Leere laufen, machen ihre eigene Show. "Hallo Berlin – ich höre nichts", stachelt Innenverteidiger Jerome Boateng die Massen an, und dann: "Ich bin stolz, ein Berliner zu sein." Einigen Spott muss sich der Dortmunder Kevin Großkreutz gefallen lassen, der wenige Wochen vor der Weltmeisterschaft wegen eines angeblichen oder tatsächlichen Dönerwurfs gegen einen pöbelnden Jugendlichen Schlagzeilen machte. "Großkreutz, rück den Döner raus", singen die Spieler, angeführt vom Schalker Julian Draxler. Etwas Spott gibt es auch für Endspielgegner Argentinien. "So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so", singen einige Spieler und schleichen gebückt auf die Bühne, um sich anschließend in die Brust zu werfen: "So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so." Manchem DFB-Offiziellen dürfte da nicht ganz wohl gewesen sein.

"Diesmal waren wir dran"

Per Mertesacker findet eher nachdenkliche Worte, erinnert daran, dass die deutsche Nationalelf 2006 "nur" als WM-Dritter auf der Berliner Fanmeile stand. Torwart Manuel Neuer stimmt schließlich jene kurze Zeile an, die auch Zehntausende mitsingen können und wollen: "Die Nummer 1 der Welt sind wir." Eine Stunde dauert der Auftritt der WM-Helden am Brandenburger Tor.

Für die drei Berliner Kerstin, Torsten und Rainer ist es das zweite Fanfest auf der Meile am Brandenburger Tor. Normalerweise stehen die Drei am Wochenende in der Ostkurve des Berliner Olympiastadions, um der blau-weißen Hertha BSC zuzujubeln. Rainer, U-Bahn-Fahrer, hat die Schicht getauscht, um beim Empfang der Weltmeister dabei zu sein. In der Seniorenmannschaft eines kleinen Berliner Vereins kickt er selbst noch regelmäßig: "Fußball ist mein Leben", sagt er, "Fußball bringt die ganze Welt zusammen." Online-Händler Torsten hat sich das Gesicht flächendeckend in den Nationalfarben bemalt. "Hat eine halbe Stunde gedauert", berichtet er, "musste aber sein." Er war schon 2006 dabei, als die WM in Deutschland stattfand und die Deutschen Dritte wurden. "Diesmal waren wir dran", grinst er.