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Welches religiöse Erbe?

19. Juli 2009

Im gescheiterten EU-Verfassungsvertrag und auch im Lissabon-Vertrag ist jeweils in der Präambel davon die Rede, dass die europäische Union aus dem kulturellen und religiösen Erbe Europas schöpft. Was ist damit gemeint?

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Religiöse Symbole auf Kirchtürmen und Minaretten (Foto: AP)
Bild: AP

Die Europäische Union war eine Wirtschaftsgemeinschaft mit einem Binnenmarkt - am Anfang. Mittlerweile ist der auf 27 Staaten angewachsene Zusammenschluss auch eine politische Union. Doch was hält sie im Innersten zusammen? Was ist das Fundament dieses europäischen Hauses?

Vage Wertegemeinschaft

Symbolbild: mehrere Menschen vor überdimensioniertem Euro-Stück und Geldscheinen(Foto: picture alliance)
Geld als Lebenswert?Bild: picture-alliance / Helga Lade Fotoagentur GmbH

Oft werden - ein wenig vage - die gemeinsamen Werte genannt. So sieht es auch der Völkerrechtler Professor Bernhard Kempen von der Universität Köln. Zum einen gebe es eine staatlich institutionalisierte Seite der Europäischen Union. Sie stehe für die Garantie der Menschenwürde, das Bekenntnis zu den Menschenrechten und die Grundfreiheiten. Aber es gebe eben auch die Ebene der Religionsfreiheit und der kirchlichen Selbstbestimmung. Eine Gemeinschaft ohne Gott, so Professor Bernhard Kempen, sei für ihn so nicht vorstellbar. Die Europäische Union müsse selbstverständlich einen transzendenten Bezug in dieser Gemeinschaft pflegen, sonst breche die innerlich auseinander. Kempen ist Mitglied der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Angelegenheiten der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.

Europa ohne Gott

Papst Johannes Paul II. (Foto: AP)
Papst Johannes Paul II.Bild: AP

Der Gottesbegriff hat es bekanntlich nicht in die europäische Verfassung geschafft. Dafür einigte man sich auf die Erwähnung des religiösen Erbes Europas, aus dem die Staatenunion neben dem kulturellen und dem humanistischen Erbe schöpfen solle. Und so steht es jetzt in der Präambel des Unionsvertrages, auch Lissabon-Vertrag genannt. Ob die Formulierung mehr als Verfassungslyrik ist, wird sich zeigen.

Christentum als religiöses Erbe?

Die Bezeichnung religiöses Erbe ist so unkonkret, dass sie nichts ausschließt und alles einschließt: den römischen Katholizismus, die Kirchen der Reformation, jüdische Einflüsse und den Islam. Darüber sind viele Christen enttäuscht. Sie hatten sich außer dem Gottesbezug auch den Verweis auf die christlichen Grundlagen Europas gewünscht. Hatte doch der verstorbene Papst Johannes Paul II. einst vom Christentum als der Muttersprache Europas gesprochen.

Minarett und Kirchturm (Foto: picture alliance)
Islam und Christentum nebeneinanderBild: picture alliance / dpa

Der Kirchenrechtler Professor Stefan Muckel von der Kölner Universität räumt ein, dass die Präambel des neuen europäischen Vertrags nicht mehr ausdrücklich das enthält, was man sich aus christlicher Sicht erhofft habe. Andererseits müsse man auch erkennen, dass es vielfältige Bestimmungen im neuen Europarecht nach Lissabon gebe, die den Rechtsstatus von Kirchen und Religionsgemeinschaften sehr umfassend schützen. Das sei nach dem bisherigen Europarecht nicht der Fall gewesen.

Flexibler Wertekatalog

Kirchen und Religionsgemeinschaften werden als unverzichtbare Partner für die Union anerkannt, insbesondere wenn es um die europäische Integration geht. Der Vertrag von Lissabon setzt sogar fest, dass die Union mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog führt. Der ist allerdings nicht näher beschrieben.

Der katholische Theologe Christof Mandry von der Universität Erfurt vertritt die Ansicht, dass die Frage nach dem religiösen Erbe Europas nicht nur eine historische Frage sei. Es sei vor allem auch eine politische Frage, was zu Europa alles hinzugehören soll. Auf diese Weise könne man die Integration der hier lebenden Muslime verbessern.

Das religiöse Erbe, das die Präambel des Lissabon-Vertrages nennt, ist also offen für die weitere Entwicklung der Union. Das europäische Haus steht somit auf einem beweglichen Fundament.

Autorin: Petra Nicklis

Redaktion: Klaus Krämer