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Weißrussland fühlt sich von Polen hintergangen

Vivien Pieper5. September 2005

Zwischen Polen und Weißrussland herrscht Eiszeit: Weißrussland behauptet, die polnische Minderheit wolle eine Revolution anzetteln. Polen verkündet, seine Landsleute würden in Belarus unterdrückt.

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Polnische Minderheit: Heimliche Umstürzler oder Unterdrückte?Bild: AP

In Belarus leben rund 400.000 ethnische Polen, das sind etwa vier Prozent der Bevölkerung. Sie werden vertreten durch den "Bund der Polen in Belarus" (ZPB). Dessen Vorsitzender steht erst seit wenigen Tagen fest. Doch schon ist die Wahl des 68-jährigen Josef Lucsniks zur Staatsangelegenheit geworden.

Der Rentner gilt als politisch neutral. Seine regimekritische Vorgängerin Andzelika Borys war im März 2005 zur Vorsitzenden gewählt worden. Doch das weißrussische Justizministerium akzeptierte die Entscheidung nicht. Borys wurde aus dem ZPB ausgeschlossen und von den weißrussischen Behörden vernommen, da sie angeblich einen Staatsstreich im Auftrag Warschaus geplant habe. Es mussten Neuwahlen stattfinden.

Wahlbetrug oder heimliche Revolution

Demonstration in Minsk gegen Präsident Lukaschenko
'Nieder mit der Tyrannei': Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko stand schon 2004 in der KritikBild: AP

Borys' Nachfolger wird aber auch nicht anerkannt - allerdings von der polnischen Regierung. Er war der einzige Kandidat, während der Abstimmung mussten die Vertreter aller freien Medien den Raum verlassen, und Lucsnik versprach, keinen oppositionellen Druck auf die Regierung des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko auszuüben.

Die polnische Regierung wittert Wahlbetrug. Der polnische Vize-Außenminister Jan Truszczynski hat bereits angekündigt, dass die polnische Regierung die Kontakte zu Lucsnik abbrechen wolle. Außerdem sollen die Finanzhilfen von umgerechnet 500.000 Euro für den ZPB gestoppt werden.

Wahlsieg dank polnischer Minderheit?

Der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski
Polenes Präsident Aleksander Kwasniewski spricht nicht mehr mit seinem weißrussischen Kollegen Lukaschenko.Bild: AP

Dass der weißrussische Präsident Lukaschenko den Polen-Bund vor seinen Karren spannen wollte, um die Präsidentenwahl 2006 zu gewinnen, davon geht der Politikwissenschaftler Alexander Feduta aus Minsk aus. Die Unterstützung einer starken, im Westen anerkannten Organisation sei für Lukaschenko sehr hilfreich - einer Organisation also wie dem Polen-Bund.

Bei der Wahl des neuen Vorsitzenden im März 2005 verlor der Lukaschenko-treue Krutschkowski jedoch überraschend gegen Borys. In der Folge wurde die Zentrale des ZPB in Grodno von der Miliz besetzt. Im Juli wurden Vertreter des Polen-Bundes aus dem Land verwiesen, weil sie angeblich eine Revolution planten, verschiedene polnische Vertreter und Organisationen wurden der Spionage beschuldigt.

Als Reaktion zogen die Polen Diplomaten aus der weißrussischen Hauptstadt Minsk ab. Gespräche zwischen Lukaschenko und seinem polnischen Amtskollegen Aleksander Kwasniewski sind kaum noch möglich.

In kleinen Schritten zur Veränderung

Alexander Lukashenko
Alexander Lukaschenko, der Präsident Weißrusslands, soll versucht haben, die polnische Minderheit für sich einzuspannenBild: AP

Besonders die Nachbarstaaten wollen eine Verbesserung der politischen Lage in Belarus herbeiführen. Damit die Bürger auf politische Alternativen zur Staatsführung aufmerksam gemacht werden können, wollen sie unabhängige Informationsquellen schaffen - und nicht mehr auf die Regierungsebene setzen.

Der Experte des Warschauer Zentrums für Oststudien, Rafal Sadowski erklärt: "Ein konkretes Beispiel für ein solches Projekt ist die Idee, einen weißrussischsprachigen Radiosender zu gründen, der gemeinsam von vier Nachbarn von Belarus betrieben würde." Außerdem werde geprüft, ob die Europäische Union mehrere kleine Kooperations-Projekte von Nichtregierungsorganisationen fördern könne - auch trilaterale Projekte unter Beteiligung der Ukraine, von Polen und Belarus.

Man darf sich nicht einmischen

Rainer Lindner, Osteuropaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, betont hingegen: "Es steht dem Westen nicht zu, sich in die operative Entwicklung, in die Formung von Parteien, in die Aufstellung von Kandidaten oder andere innerstaatliche Entwicklungen direkt einzumischen." Man müsse Fragen stellen, Verständnis wecken, Weißrussland aber auch mit westlichen Standards und Werten konfrontieren, "die inzwischen auch in anderen Nachbarstaaten - im Baltikum, zum Teil in der Ukraine - inzwischen politische Kultur geworden sind."