Weiter Streit um ukrainische Wahlen
28. Dezember 2004Zwei Tage nach der wiederholten Präsidentenwahl hat die Wahlleitung in der Ukraine am Dienstag (28.12.2004) das vorläufige Endergebnis bekannt gegeben. Nach Auszählung aller Stimmzettel entfielen demnach 51,99 Prozent der Stimmen auf den Oppositionskandidaten Viktor Juschtschenko. Der Gegenkandidat Viktor Janukowitsch kam auf 44,19 Prozent der Stimmen.
"Neue Zeitrechnung"
Juschtschenko hatte schon in der Wahlnacht mit seinen Anhängern den Sieg gefeiert: Das ukrainische Volk, die ukrainische Nation habe gewonnen, sagte Juschtschenko. "14 Jahre waren wir ein abhängiges Land, jetzt sind wir frei. Heute beginnt eine neue politische Zeitrechnung in der Ukraine. Kutschma, Metwetschuk und Janukowitsch sind Vergangenheit."
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Streit um mobile Wahlurnen
Janukowitsch nannte die Ereignisse der vergangenen Wochen einen "orangenen Putsch". Er kündigte an, das Ergebnis anzufechten. "Ich werde die Niederlage niemals anerkennen, weil es in unserem Land zu Verletzungen der Verfassung und der Menschenrechte gekommen ist", sagte Janukowitsch. Die Anfechtung der Ergebnisse werde vorbereitet, fügte er hinzu. Drei Millionen Stimmen seien gefälscht worden, behauptet das Janukowitsch-Lager. So hätten 1,5 Millionen behinderte Menschen nicht zu Wahl gehen können, weil der Einsatz mobiler Wahlurnen nach dem neuen Wahlgesetz stark eingeschränkt worden war. Danach sollten nur noch Schwerstbehinderte zu Hause wählen dürfen.
Diese Regelung war am Samstag, einen Tag vor der Wahl, vom Verfassungsgericht aufgehoben worden, weil sie die Rechte der Bürger beschränke. Der Vorwurf des Regierungslagers: Die Wähler hätten nicht genügend Zeit gehabt, Anträge zu stellen, um zu Hause wählen zu können.
Zweierlei Maß
Außerdem warf Janukowitsch den USA eine systematische Einmischung in die Wahl vor. Die USA hätten gezielt Druck ausgeübt, um den Oppositionsführer Juschtschenko als neuen Präsidenten durchzusetzen.
Die massive Unterstützung Russlands für seinen eigenen Wahlkampf nannte Janukowitsch dagegen "spontan und unvorbereitet."
"Demokratische Standards"
Internationale Beobachter und das ukrainische Wählerkomitee haben keine systematischen Wahlfälschungen festgestellt. Der Sprecher des Wählerkomitees erklärte, Unregelmäßigkeiten bei der Wahl würden das Ergebnis bis zu maximal zwei Prozent beeinflussen. Ein Vertreter der Europäischen Kommission sagte, die Wahl sei nach demokratischen Standards verlaufen.
"Historischer Moment"
Unterdessen trafen aus dem Ausland Glückwünsche für Juschtschenko ein. Der Präsident der EU-Kommission, José Barroso, sagte, die Wahl bereite den Weg für eine verstärkte Kooperation. US-Außenminister Colin Powell sprach von einem "historischen Moment für die Demokratie". Der polnische Präsident Aleksander Kwasniewski gratulierte telefonische, Dänemark kündigte die Eröffnung einer Botschaft in Kiew an. Die russische Regierung hielt sich bisher mit Stellungnahmen zurück.
Machtfragen
Hinter den Kulissen beginnt nun die innenpolitische Auseinandersetzung um die Verteilung von Posten. Julia Timoschenko aus dem Juschtschenko-Block "Nascha Ukraina" stellte die vor zwei Wochen im Parlament verabschiedete Verfassungsreform in Frage. Danach soll die Macht des Präsidenten ab Mitte 2005 beschnitten werden und zu großen Teilen ans Parlament übergehen. Timoschenko sagte, das Volk habe aber eindeutig einen starken Präsidenten gewählt.
Vor Viktor Juschtschenko aber steht die Aufgabe, seine Versprechen - mehr Transparenz und weniger Korruption - zu erfüllen und sich nicht in Machtspielen zu verheddern. Denn die Ukrainer erwarten viel von ihm.
Minister erschossen aufgefunden
Zurzeit aber beschäftigt ein mysteriöser Todesfall die Menschen in der Ukraine: Der ukrainische Verkehrsminister Georgi Kirpa wurde erschossen in seinem Landhaus aufgefunden. Ob er Selbstmord beging oder erschossen wurde sei bisher unklar, hieß es aus Regierungskreisen. Der 58-jährige Kyrpa war ein enger Vertrauter des aus dem Amt scheidenden Präsidenten Leonid Kutschma. Außerdem war er in der Ukraine als Geschäftsmann bekannt.
Laut Opposition soll Kypra für den Transport von Bergleuten nach Kiew verantwortlich gewesen sein. Die Bergleute waren aus der Ost-Ukraine nach Kiew gekommen, um gegen Veranstaltungen der Opposition zu protestieren. Die Regierung hatte den Vorwurf bestritten.