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Glaube

Weichspüler Barmherzigkeit

12. August 2016

Was hat ein Weichspüler mit Barmherzigkeit zu tun? Für Pater Gerhard Eberts MSF von der katholischen Kirche hilft Barmherzigkeit unter anderem gegen die Trockenstarre der Seele oder gegen übermäßige Schaumschlägerei

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Frische WäscheBild: Pater Eberts

Im Supermarkt stand ich vor dem Regal mit Waschmitteln. Ich hatte den Auftrag, einen „Weichspüler“ mitzubringen. Weichspüler? Für was soll der gut sein? Im allwissenden Internet werde ich belehrt: Wer nicht nur Wäsche waschen will, sondern möchte, dass sie duftet und flauschig wird, muss den „Weichspüler“ der Wäsche im letzten Spülgang beigeben. Beim Einkauf entscheide ich mich für eine bestimmte Marke, eine freundliche Kundin hilft mir dabei und warnt mich zugleich, dass ein „Weichspüler“ auch Nachteile hat. Das überhöre ich und lese stattdessen den Aufkleber auf der Plastikflasche: „Diese Waschhilfe“, heißt es da, „hat vier positive Eigenschaften: sie verhindert Trockenstarre, elektrostatische Aufladung, schlechte Gerüche und übermäßige Schaumbildung“.

Als ich das lese, gehen meine Gedanken weg von der Waschhilfe zu dem Thema, das mich schon seit Monaten beschäftigt. Papst Franziskus hat seiner Kirche ein „Heiliges Jahr der Barmherzigkeit“ verordnet. Diese Einladung hat nicht nur unter Katholiken Interesse und Begeisterung ausgelöst. Aber was ist Barmherzigkeit? Der „Weichspüler“ in meiner Hand kann eine Metapher für die Antwort sein, wenn ich die Waschanleitung richtig lese.

Metaphern für das wirkliche Leben

Barmherzigkeit verhindert Trockenstarre. Trockenstarre tritt im seelischen Bereich auf als Schockstarre, Wutstarre, Gefühlstarre. Trockenstarre kann es in den Beziehungen geben, wenn an die Stelle von Zuneigung und Gesprächen Schweigen und Ablehnung treten. Trockenstarre gibt es auch im religiösen Leben, wenn die Freude und die Begeisterung für das Gebet und den Gottesdienst in eine Phase der Trockenheit münden. Da muss man durch! Da muss man barmherzig mit sich selber sein. Barmherzigkeit löst die Trockenstarre auf oder, um es mit Papst Franziskus zu sagen: „Barmherzigkeit verändert die Welt, macht sie weniger kühl und gerechter“.1

Barmherzigkeit verhindert elektrostatische Aufladung. Das kennen viele: der schöne neue Rock klebt lästig an den Beinen, beim Überziehen des Lieblingspullis stehen alle Haare zu Berge und die kuschelige Jacke knistert – statische Aufladung nennt man das. Das physikalische Phänomen ist allerdings nichts im Gegensatz zum psychologischen Phänomen: wenn Menschen ständig auf 120 sind, weil sie sich nicht beherrschen können, wenn Menschen nur mit Geschrei und Besserwisserei glauben, sich durchsetzen zu können, wenn Menschen resistent gegenüber Argumenten anderer sind und nur ihre eigene Meinung gelten lassen wollen. Ist Barmherzigkeit dafür ein Heilmittel? Ich denke schon! Barmherzigkeit ist ein Weichspüler, den man in diesem Fall vor allem für sich selbst anwenden sollte! Da heißt es, herunterzukommen vom Himmel der eigenen Unfehlbarkeit auf den Boden der eigenen Begrenztheit.

Barmherzigkeit verhindert schlechte Gerüche. Weichspüler nehmen schlechte Gerüche, verspricht die Werbung. Ich will aber nicht darüber sprechen, was alles zum Himmel stinkt, auch nicht, was jedem Einzelnen von uns stinkt. Es stinkt nicht nur der Misthaufen, der übrigens ein Recht darauf hat. Es stinkt auch auf manchen feinen Vorstandsetagen und Politikerrunden. Manches stinkt sogar in der Kirche. Ich möchte über den guten Duft reden. In vielen Kirchen und Religionen duftet es ja nicht nur nach Weihrauch. Es liegt auch der Duft der Heiligkeit in der Luft. Menschen haben Sehnsucht nach dem guten, beruhigenden Duft der Barmherzigkeit. Die Bibel vergleicht die kommende Welt nicht nur mit einem Festmahl aller Völker, sondern auch mit den Wohlgerüchen des Orients. Ja, wir wollen eine Kirche für die Armen, eine arme Kirche. Aber sie muss arm-selig riechen! Sie darf duften nach den Wohlgerüchen des Glaubens und der Liebe. Barmherzigkeit ist das Parfum der Ewigkeit

Barmherzigkeit verhindert übermäßige Schaumbildung. Da fallen mir Schaumschläger ein. Menschen, die nach dem Grundsatz „mehr Schein als Sein“ leben, die das Blaue vom Himmel versprechen. Es gibt sie konservativ wie progressiv. Es gibt sie im kirchlichen Dienst, in der Politik, in den Lehranstalten und Schulen. Die andere Spezies sind die Menschen, die dauernd „Schaum vorm Mund“ haben, also sich über alles aufregen, vieles aufbauschen und dabei andere niedermachen. Die Barmherzigkeit verhindert übermäßige Schaumbildung. Sie weiß um die Schwächen des anderen und auch um die eigenen Schwächen. Die Barmherzigkeit holt alle immer wieder auf den Boden zurück.

Barmherzigkeit – bloß eine Zugabe?

Zurück zum Weichspüler. In der Anleitung heißt es: „Er wird der Wäsche im letzten Spülgang beigeben.“ Ist die „Barmherzigkeit“ lediglich auch nur eine Zugabe, ohne die man unter Umständen auch auskommen kann? Dem widerspricht der große Theologe Thomas von Aquin. Er schreibt, die Barmherzigkeit sei die größte unter den Tugenden, weil sie sich über alle anderen ergießt und ihre Mängel aufhebt. Auf Latein: „quod defectus aliorum sublevet“2. Die Barmherzigkeit ist eine Schwester der Liebe, mit der die schmutzige Wäsche der Sünde gereinigt wird im Spülgang des Heiligen Geistes – ohne schädliche Nebenwirkungen. Bis zum 20. November diesen Jahres bleibt noch Zeit, sich daran zu beteiligen. Solange dauert das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“.

1Papst Franziskus bei seinem ersten Angelus-Gebet am 17. März 2013
2Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, Quaestio 30, Articulus 4

Bildunterzeile/Fotorechte:

Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Pater Gerhard Eberts MSF altes Format
Bild: Gerhard Eberts

Pater Gerhard Eberts ist Missionar von der Heiligen Familie (MSF). Nach seiner Priesterweihe und Journalistenausbildung übernahm er von 1968 bis 2011 die Chefredaktion der Ordenszeitschrift „Sendbote“. Daneben arbeitete er als Redakteur für die Monatszeitschrift Weltbild. Zwischen 1991 und 2000 war er Studienleiter und Dozent beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchs (ifp) in München. Heute engagiert sich Pater Eberts als Hochschulseelsorger in der Katholischen Hochschulgemeinde Augsburg (KHG) und gibt Exerzitien.

Kirchliche Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte und Alfred Herrmann