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Revolution auf dem Bau

Astrid Prange3. Februar 2013

Auf brasilianischen Baustellen vollzieht sich eine stille Revolution: Frauen erobern die letzte Männerbastion. Grund für den weiblichen Siegeszug zwischen Zement und Ziegelsteinen ist der Fachkräftemangel.

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Brasilianische Bauarbeiterinnen (Foto: Florian Kopp)
Foto: Florian KoppBild: Florian Kopp

"Viele Frauen stellen die Männer schlicht in den Schatten", meint Clarindo Soares, stellvertretender Bauleiter in der Kooperative "Esperança" in Rio de Janeiro. 70 Mitglieder verwirklichen dort ihren Traum von den eigenen vier Wänden und packen auf dem Bau mit an. Der 29-Jährige Bauleiter schätzt den femininen Umgang mit Spachtel und Mörtel. Frauen seien gründlicher und genauer, beobachtet er, "insbesondere beim Verputzen der Außenwände".

Noch ist die Präsenz von Frauen auf dem Bau in Brasilien gering. Doch in den vergangenen zehn Jahren ist ihr Anteil bei den Beschäftigten in der Branche auf rund acht Prozent gestiegen. Nach Angaben des brasilianischen Arbeitsministeriums stieg die Zahl von 83.000 im Jahr 2000 auf 138.000 Bauarbeiterinnen im Jahr 2008. Mittlerweile sind es über 200.000 Frauen, die Wände verputzen, Ziegelsteine schleppen und Zement anmischen.

Rau und romantisch

Dass es auf dem Bau nicht nur rau, sondern auch romantisch zugehen kann, bewies im vergangenen Jahr der brasilianische Branchenverband "Câmara Brasileira da Indústria de Construção" (CBIC). Er ließ am Internationalen Frauentag Rosen an die Bauarbeiterinnen verteilen und würdigte die weibliche Präsenz auf dem Bau.

Baustelle in Sao Paulo (Foto: dpa)
In Brasilien fehlt es an 5,5 Millionen WohneinheitenBild: picture-alliance/dpa

"Wer Frauen einstellt, hat nur Vorteile", schwärmt José Carlos Martins, stellvertretender Direktor des Branchenverbandes in der brasilianischen Tageszeitung "O Globo": "Das Arbeitsklima verbessert sich, die Baustellen sind ordentlicher, und bei den Detailarbeiten sind Frauen den Männern weit voraus."

Für viele Brasilianerinnen ist die Arbeit auf dem Bau ein Befreiungsschlag. Während sie sich in traditionell weiblichen Berufen wie Friseurin, Kindermädchen oder Kellnerin in der Regel mit einem Lohn zwischen 250 und 500 Euro begnügen müssen, verdienen sie als Maurerinnen, Schreinerinnen oder Klempnerinnen bis zu 1400 Euro im Monat. Wer zur Bauleiterin aufsteigt, bringt bis zu 2000 Euro mit nach Hause.

Doch es geht nicht nur um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Viele Brasilianerinnen wollen schlicht unabhängiger werden – von ihrem Ehemann, Ex-Mann oder von unzuverlässigen Handwerkern. Rosangela Martins ist eine von ihnen. Seit sieben Wochen verbringt die alleinerziehende Mutter jedes Wochenende auf der Baustelle der Kooperative "Esperança", gefördert unter anderem vom Hilfswerk "Misereor": "Arbeit auf dem Bau versklavt niemanden", stellt die Manikürte mit den langen lockigen Haaren klar. "Ich komme so lange, bis mein Haus fertig ist".

Wegbereiter für den weiblichen Sturm auf die Männerbastion war die Hilfsorganisation "Mao na massa" (Hand im Teig) aus Rio de Janeiro. Um Frauen neue berufliche Perspektiven zu eröffnen, begann die Hilfsorganisation 2007 damit, Ausbildungskurse für Frauen aus Armenvierteln anzubieten. Das Pionierprojekt hat die Branche verändert: Mittlerweile werden nicht nur von "Mao na Massa" Schulungen für künftige Bauarbeiterinnen angeboten, sondern auch von den Branchenverbänden selbst.

Fachkräfte sind rar

Nach der Ausbildung zur Schreinerin, Maurerin oder Klempnerin sind die Chancen auf dem Arbeitsmarkt gut. Denn angesichts der Großbaustellen für die Fußball-WM 2014 und die Olympiade 2016 steigt in Brasilien der Bedarf an qualifiziertem Personal. Nach Angaben des Branchenverbandes CBIC wuchs der Sektor im vergangenen Jahr um fünf Prozent, 30.000 Stellen sind unbesetzt.

Bauarbeiterin im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro. (Foto:Felipe Dana/AP/dapd)
Auf der berühmtesten Baustelle Brasiliens: Bauarbeiterin im Maracanã-Stadion in Rio de JaneiroBild: AP

Hinzu kommt der Boom im sozialen Wohnungsbau. Bis zum Jahr 2014 will die brasilianische Regierung über drei Millionen Unterkünfte für Geringverdiener errichten lassen. Das Defizit an billigem Wohnraum ist enorm: Rund 5,5 Millionen Wohneinheiten fehlen im ganzen Land. Neben den lukrativen Aufträgen für große Bauunternehmen wird deshalb der soziale Wohnungsbau auch von Kooperativen vorangetrieben.

Die stille Revolution auf dem Bau geht also weiter. Körperkraft ist allein ist kein Kriterium mehr. Stattdessen spiegelt sich zwischen unverputzten Wänden der lange Kampf aller brasilianischen Frauen für mehr Gleichberechtigung. "Der tägliche Hürdenlauf in der Macho-Branche kann überwunden werden", versprach der Vorsitzende der brasilianischen Baufirma "Cofix“ den Pionierinnen von "Mao na Massa". Denn Frauen, so Fernandes, unterschieden sich in drei Punkten von ihren männlichen Kollegen: "Organisation, Entschlossenheit und Hartnäckigkeit".