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Wei: "Wenn China langsamer wächst, ist es weltweit spürbar"

Gabriel Domínguez/gh23. Juli 2015

In der globalen Wirtschaft spielt Asien eine wichtige Rolle und trägt 60 Prozent des weltweiten Wachstums bei. Shang-Jin Wei, Chefökonom der Asian Development Bank, erklärt die anstehenden Herausforderungen.

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China Anleger Börse
Bild: picture-alliance/Photoshot

Herr Wei, die Asian Development Bank (ADB) hat die Wachstumsprognose für China, den Wachstumsmotor der Region, nach unten korrigiert. In diesem Jahr sollen es Ihren Berechnungen nach sieben Prozent und 2016 6,8 Prozent sein - 0,2 Prozentpunkte weniger als noch im März vorhergesagt. Warum?

Shang-Jin Wei: Schwache Nachfrage aus den Ländern mit höherem Einkommen, weniger Arbeitskräfte auf dem Markt und höhere Lohnkosten in China haben dazu geführt, dass sich das Wachstum verlangsamt hat - vor allem das Wachstum, das durch Investitionen generiert wird, wie auf dem Immobilienmarkt. Auch Industrieunternehmen stellen Neuinvestitionen zurück, weil die Verkaufszahlen zurückgehen und in einigen Branchen sowieso Überkapazität herrscht.

Nun sind Reformen notwendig. Die sollen die knappen Ressourcen effizienter verteilen und dem Privatsektor, insbesondere Unternehmen mit hoher Produktivität, den Zugang zu Kapital erleichtern.

Viele asiatische Länder werden durch Chinas Entwicklung in Mitleidenschaft gezogen…

Natürlich ist die Bekanntgabe der Wachstumsprognosen Chinas enorm wichtig für den Rest der Region, aufgrund der Größe der Volkswirtschaft, deren außenwirtschaftlicher Verbindungen zu den Nachbarnländern in der globalen Wertschöpfung und den Investitionsaktivitäten im Ausland. Einige Entwicklungsländer in Asien bekommen die Auswirkungen deutlicher zu spüren als andere. Ost- und Südostasien ist mit China wirtschaftlich sehr eng verflochten, während Südasien weniger abhängig ist. Deswegen sind auch die ost- und südostasiatischen Länder von der Verlangsamung härter getroffen.

Da aber der schwächere Zuwachs in China zum Teil auf die Erhöhung der Lohnkosten zurückgeht, können andere Niedriglohnländer wie Myanmar und Bangladesch die Position in der globalen Wirtschaft einnehmen, die China früher innehatte. Die Tatsache, dass sich China langsam von den arbeitsintensiven Branchen verabschiedet, bedeutet auch eine Chance für andere Länder. Diese müssen allerdings ihre Infrastruktur verbessern und investitionsfreundlicher werden für nationale und internationale Geldgeber.

Shang-Jin Wei, Chefökonom der Asian Development Bank Experte der Asian Development Bank. (Foto: ADB)
Shang-Jin Wei, Chefökonom der Asian Development Bank Experte der Asian Development BankBild: ADB

Napoleon hatte einst gesagt: "Wenn China erwacht, wird die Welt erzittern." Muss es heute eher heißen: "Wenn China langsamer wächst, wird die Welt auch erzittern"?

In den vergangenen Jahren hat Asien insgesamt immer fast 60 Prozent zum Weltwirtschaftswachstum beigetragen. China allein übernimmt schon 30 Prozent. Nur zum Vergleich: Die USA als die weltgrößte Volkswirtschaft tragen nur 10 Prozent bei. Kurzum: Wenn das Bruttoinlandsprodukt in China langsamer wächst, ist es auch in der ganzen Welt spürbar, ja.

Hinzu kommt, dass die Volkswirtschaften in Asien - wie China, Japan, Südkorea, Singapur, Malaysia und Thailand - über unterschiedliche Wertschöpfungsketten mit Europa und Nordamerika verbunden sind. Ein Beispiel: Eine ADB-Studie und andere Fachveröffentlichungen belegen, dass China der größte Automobilzulieferer für deutsche und amerikanische Autobauer ist. Die Globalisierung bedeutet, dass der wirtschaftliche Erfolg eines Landes auch zum Erfolg eines anderen führt.

Indien trotzt dem nachlassenden Trend. Die ADB sagt ein Wachstum in Höhe von 7,8 Prozent für 2015 voraus. Warum?

Indiens Wirtschaft ist im Gegensatz zu China nicht so sehr exportabhängig. Die schwache Konjunktur in den Industrienationen trifft Indien bei Weitem weniger als China. Und weil wenige Verbindungen nach China bestehen, ist Indien auch nicht so spürbar getroffen vom langsamen Wachstum dort.

Anfang Juli wurde aus Indien gemeldet, dass dieses Jahr eine größere Sommerernte erwartet wir - trotz der Monsunzeit. Die Zahl neuer Investitionsprojekte ist bereits das vierte Quartal in Folge gestiegen. Und das Eintreiben der Kommunalsteuern wird verbessert. Das produzierende Gewerbe hat sich erholt.

Bestimmte Risiken bestehen aber auch. Vor allem muss die Gesetzgebung für die angekündigte Landreform beschleunigt werden, um den Erwerb von Grundstücken durch Unternehmen zu erleichtern. Auch die Vereinheitlichung der Goods and Services Tax [ähnlich der deutschen Mehrwertsteuer, Anm. d. Red.] muss umgesetzt werden.

Indien ist hinter China das zweitgrößte Entwicklungsland Asiens. Das Bruttoinlandsprodukt von Indien - in US-Dollar umgerechnet - beträgt allerdings nur ein Drittel von dem Chinas. Wenn Indien noch schneller wächst, kann es für ganz Asien von Vorteil sein.

Shang-Jin Wei ist Chefökonom der Asian Development Bank. Er ist US-Amerikaner chinesischer Abstammung. Bevor der promovierte Wirtschaftswissenschaftler zur ADB wechselte, war er Direktor des Chazen Institute of International Business an der Columbia University.