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Wege aus der Sackgasse gesucht

Alexander Kudascheff26. März 2003

Auf dem traditionellen Frühjahrsgipfel der EU in Brüssel war die Stimmung schlecht, frostig, grimmig. Das hat DW-Korrespondent Alexander Kudascheff beobachtet. Keine gute Voraussetzung für die EU-Osterweiterung.

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Die Fronten, die politischen Differenzen führen zumindest außenpolitisch die EU in die Lähmung, manche meinen sogar in eine Art Schreckensstarre. Das persönliche Nichtverhältnis zwischen Blair und Chirac wurde auch nicht tiefgreifend besser als Chirac - stilvoll wie er sein kann - Blair zu den ersten Gefallenen des Irakkriegs kondolierte, und zwar noch auf dem Gipfel.

Neue Beitrittskandidaten für Washington

Nicht nur die EU ist übrigens zerstritten - zwischen den Briten, Portugiesen, Italiniern, Spaniern und Dänen auf der einen, und Franzosen, Deutschen, Belgiern und wohl auch Luxemburgern auf der anderen Seite. Draußen - noch vor der EU-Tür- stehen die zehn neuen Mitglieder, die Mitte April feierlich ihre Beitrittsurkunden unterzeichnen werden. Von diesen zehn Neuen sind wohl acht auf der Seite Washingtons, damit auf der Seite Londons - und teilen das europäische Lager noch mehr auf - in Bellizisten und Pazifisten. Denn im Europa der 25 haben weder Blair noch Chirac eine Mehrheit, noch nicht einmal eine moralische.

Und hinter dem Irakkrieg steht vor allem eine Frage: Wie entschieden ist Europa bereit, Macht, auch militärische Macht einzusetzen, um seine außenpolitischen Anstrengungen zu flankieren? Und da wird - mit einem Bild des amerikanischen Publizisten Kagan deutlich: Nicht alle Europäer leben auf der Venus, die Hälfte von ihnen leben - wie die Amerikaner - auf dem Mars.

"Alte Europäer" unter Beschuss

Die tiefe Zerstrittenheit, die zur Paralyse geführt hat, trifft vor allem das traditionelle Brüssel, die Hochburg der europäischen Optimisten oder der optimistischen Europäer. Denn beschädigt wurde die ja sinnvolle wie plausible Idee einer europäischen Außenpolitik, personifiziert durch den europäischen Chefdiplomaten Javier Solana. Er steht im politischen, im diplomatischen Abseits. Ohne Frage.

Wenn es ernst wird für Europa, so seine Erfahrung, kochen die europäischen Köche jeweils ihre eigenen Suppen - London wie Berlin, Rom wie Madrid und Paris. Und sie kümmern sich überhaupt nicht um eine gemeinsame Position, außer wenn sie dienlich ist, um die eigene durchzusetzen. Mit anderen Worten: Europa treibt Kabinettspolitik wie zu Metternichs Zeiten - und das betrifft die sonst durchaus proeuropäischen unilateralen Deutschen genauso wie die Inselbriten.

Wie kann europäische Politik Gewicht erlangen?

Immerhin: Der belgische Premier Verhofstadt hat erkannt, dass Europa, dass die europäische Union dringend aus ihrer außenpolitischen Sackgasse heraus finden muss. Deswegen hat er ein Dreier-Verteidigungsbündnis vorgeschlagen - als Kernstück einer europäischen Armee. Ein hochfliegender Gedanke, wahrscheinlich sogar eine Utopie, aber dieser Kern einer europäischen Armee soll allen offen stehen. Und Luxemburg zeigt sich bereits interessiert und wird an einem Minigipfel in Brüssel Ende April teilnehmen.

Eine europäische Armee wäre immerhin die Einsicht, dass jedes Land allein die gewaltigen Kosten für eine moderne, eine bewegliche, eine weltweit einsatzfähige und einsatzbereite Truppe nicht bezahlen kann. Zusammen aber kann man vielleicht eine Armee schaffen, die die europäische Außenpolitik militärisch eskortieren kann, wenn nötig. Das heißt aber: diese vier Länder, die allesamt gegen den Irakkrieg sind, müssen bereit sein, deutlich mehr für ihr Militär auszugeben als bisher. Ob das politisch durchsetzbar ist.

Eins aber ist den Europäern in diesen Tagen des Krieges im Irak deutlich geworden. Will man ein europäischen Gewicht auf dem diplomatischen Parkett schaffen, dann muss man schnell die Lehren aus den letzten Monaten ziehen. Und die heißt zuerst: nicht das nationale Interesse, nicht der nationale Egoismus zählt, sondern der europäische Gemeinschaftssinn. Und es gibt Zeichen, dass Europa dies begreift - aus Berlin wie aus London und auch aus Paris und Brüssel.