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Was will der Fidesz?

13. Mai 2002

- Der lange Abschied der Orbán-Regierung

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Budapest, 13.5.2002, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch

Eine Wahl in Anstand und Würde zu verlieren und die Macht entsprechend zu übergeben, gehört nicht zu den Stärken der Orbán-Regierung. Stattdessen erscheint sie als Großmeister im Schaffen vollendeter Tatsachen und im Ignorieren des Wählervotums.

Obwohl die scheidende Regierung in ihren offiziellen Erklärungen den Machtwechsel akzeptiert, spricht aus ihren Taten das genaue Gegenteil. Während Orbán erklärt, dass man die Fakten zur Kenntnis nehmen müsse, kommuniziert die politische Rechte auf allen Kanälen, dass mit dem Wahlergebnis etwas nicht stimmen würde und die Linke die Macht nur mit hinterlistigen Tricks an sich gerissen habe. Was seit der ersten Wahlrunde in Ungarn geschieht, geht schon langsam über den normalen Demokratierahmen hinaus und gehört inzwischen eher in die Kategorie der politischen Brandstifterei.

Schon seit einem Monat veranstalten Fidesz (Bund Junger Demokraten - MD)- und MIÉP (rechtextreme ungarische Gerechtigkeitspartei - MD)-Anhänger Hand in Hand und Schulter an Schulter in Budapest ihre Großkundgebungen. Es begann am 9. April in der Aula der Sportuni und fand seinen ersten großen Höhepunkt mit der Fidesz-Großkundgebung am 13. April vor dem Parlament. Am 5. Mai machte MIÉP-Führer István Csurka auf dem Heldenplatz unter seinen Anhängern gegen das Wahlergebnis Stimmung.

Der jüngste Aufmarsch dieser Art fand vergangenen Dienstag (7.5.) Abend auf der Budaer Burg statt. Als Premier Orbán seine Anhänger dabei auf die neue Lage hinwies, erscholl aus zehntausenden Kehlen "Betrug! Betrug!" Der redegewandte und schlagfertige Politiker nahm es wortlos und gelassen hin, dass sein offizielles Statement zum Wahlergebnis, kaum dass es ihm von den Lippen gekommen war, von seinen Anhängern bereits radikal in Frage gestellt wurde.

Der harte Kern der zwischen 50.000 und 350.000 Teilnehmer großen Kundgebungen besteht im wesentlichen immer wieder aus den gleichen Leuten, aus MIÉP-Anhängern und fanatisierten Jugendlichen. Die Stimmung der Versammlungen gleicht der in Fußballstadien. Nur dass die Fans nicht gekommen sind, um das Spiel zweier Mannschaften zu sehen, sondern den Worten eines Führers zu lauschen.

Orbán scheint sich immer mehr von dem in vier Jahren sorgfältig aufgebauten Image des Ministerpräsidenten zu verabschieden und in die ihm sichtlich angenehmere und besser passende Rolle eines Volkstribuns zu schlüpfen. Diesen spielt er nach kurzer Einarbeitung inzwischen so perfekt, dass sich der gealterte Csurka schon langsam Sorgen um seine politische Zukunft machen muss.

Die Verschärfung der Gangart vollzog sich in mehreren Stufen. Zunächst ging es Orbán nach der ersten Wahlrunde primär darum, eine sich abzeichnende katastrophale Niederlage bei der Stichwahl zu verhindern. Mit dieser Angst im Nacken setzte der Fidesz alles auf eine Karte und griff bedenkenlos nach allen sich bietenden Stricken. Er setzte den Nationalismus genauso leichtfertig für seine Ziele ein wie auch ganz plumpe Lügen. Als die Parteiobersten plötzlich merkten, dass sie mit diesen Mitteln durchaus erfolgreich sind, wurde ein doch wieder möglich erscheinender Wahlsieg zum vorrangigen Ziel.

Nachdem dieses bei der Stichwahl nur knapp verfehlt wurde, sind die Aktivitäten der Partei nun auf drei wesentliche Ziele ausgerichtet. Zum einen geht es der Fidesz-Spitze jetzt, wo es am Wahlergebnis nichts mehr zu rütteln gibt, darum, der kommenden Regierung eine möglichst schlechte Startposition zu übergeben. Je leerer ihre Kasse ist und um so mehr langfristige Verbindlichkeiten der kommenden Regierung aufgebürdet werden, um so günstiger stehen die Zeichen für einen erneuten Machtwechsel, diesmal zugunsten des Fidesz. Außerdem wird die Exekutive durch das derzeitige Feuerwerk an Versprechungen und Geldgeschenken in einen derartigen Nebel gehüllt, dass kaum noch Licht in ihr Inneres fällt, also darauf, was in den letzten Tagen der Fidesz-Regierung dort so alles passiert.

Ein weiteres Ziel der laufenden rechten Mobilmachung ist ein möglichst gutes Ergebnis bei den Kommunalwahlen im Oktober. Der Fidesz muss hier bestmöglichst abschneiden, damit er sich nach dem Verlust der Verfügungsgewalt über zentrale Gelder wenigstens auf kommunaler Ebene den Zugriff auf staatliche Mittel und Posten erhält. Eine langfristig gesicherte Finanzierung der Partei ist schon deshalb unverzichtbar, da die neue Regierung in einigen Wochen sicher alles daran setzen wird, veruntreute Staatsgelder zurückzuholen und Firmen mit Staatsanteil unter ihre eigene Kontrolle zu bringen.

Ein drittes Ziel ist die Absicht Orbáns, 2006 seine Rolle als Volksführer wieder gegen die eines Ministerpräsidenten einzutauschen. Dazu ist es notwendig, vier Jahre lang seine am 21. April zu einer beispiellosen Wahlleistung mobilisierten Anhänger bei Laune zu halten. Ihr Hass auf die "sozialliberalen Vaterlandsverräter" darf nicht nachlassen, wenn die neue Regierung erste Erfolge vorweisen kann oder der bestehende Verdacht einer illegalen persönlichen Bereicherung von Mitgliedern der Fidesz-Elite durch stichhaltige Beweise untermauert werden könnte. (fp)