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Was ist mit dem Rest der Welt?

Heinrich Bergstresser29. Dezember 2001

Für die USA und den Westen waren die Terroranschläge des 11. Septembers ein Schock. Doch der Kampf gegen den Terror überdeckt nur kurz grundlegende Probleme der Menschheit. Ein Kommentar von Heinrich Bergstresser.

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Zwar reihten sich die meisten Regierungen im Nahen Osten, in Asien, Afrika und Lateinamerika in die weltweite Anti-Terrorismus-Allianz mit ein. Darunter aber befanden sich auch zahlreiche Regierungen, die sich nur angesichts der realen Machtverhältnisse und aus reiner Opportunität dieser Allianz anschlossen. In Wirklichkeit machte sich in weiten Teilen der Welt klammheimliche Freude breit, dass es gelungen war, die USA ins Mark zu treffen. Denn es ist ja so einfach und bequem, mit dem Finger auf den Mächtigen zu zeigen, der unendlich reich zu sein scheint und zugleich für Armut, Elend und blutige Konflikte in der Welt verantwortlich gemacht werden kann.

Die USA mussten nach den bitteren Stunden des 11. September erkennen, dass auch eine Supermacht verwundbar ist und dass sich ihre Zauberlehrlinge aus den Koranschulen nun gegen sie selbst gerichtet hatten. Die USA mussten ferner einsehen, dass sie entgegen ihren politischen Wunschvorstellungen in schwierigen Situationen auf internationale Unterstützung angewiesen sind.

Es wird in der Nach-Afghanistan- und Nach-Osama-Bin-Laden-Ära außerdem deutlich, dass auch mächtige Demokratien nicht nach Gutdünken und nur aus eigenen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen auf Dauer ungestraft mit Despoten, Diktatoren und Fundamentalisten zusammenarbeiten können.

Und die Gutmenschen, die vorgeblich politisch Korrekten in unseren westlichen Demokratien? Sie predigen den Dialog als Allheilmittel und verwechseln dabei auf fatale und häufig naive Weise multi-kulturelles Verständnis mit kritischem Dialog, wobei sie nun erfahren müssen, dass Militärschläge gegen terroristische Organisationen durchaus gerechtfertigt sein können.

Die wirklich Leidtragenden sind die Menschen in den Armutsregionen in den Entwicklungsländern, die um ihr täglich Brot kämpfen müssen, die nichts vom World Trade Center, nichts von Al-Kaida und vom internationalen Terrorismus wissen. Sie erleben eine viel subtilere Form des Terrors.

Sie erleben die Schreckensherrschaft der neuen lokalen Warlords, die mit Handy, Kalaschnikow, Internet und der Unterstützung durch international agierende Geschäftsleute, Unternehmen, aber auch durch Regierungen, Menschen unterdrücken und Ressourcen ausbeuten und so für eine Vielzahl von Konfliktherden verantwortlich zeichnen. Diesen Strukturen muss sich die Weltgemeinschaft in erster Linie widmen, will sie eine totale Polarisierung verhindern, die nur mehr Leid, Elend und Konflikte nach sich zöge.

Al-Kaida ist zerschlagen und liefert zugleich den Beweis, dass internationale kriminelle und terroristische Netzwerke zerschlagen werden können, wenn der politische Wille vorhanden ist. Eine ungleich schwierigere Aufgabe bleibt es, regionale Konfliktherde zu befrieden und Aids, Armut und Unterentwicklung abzuschaffen oder zumindest spürbar einzudämmen.

Die Beispiele Indien-Pakistan, Argentinien, Kongo und die Wohlstandskonflikte à la USA-Mexiko geben uns einen Vorgeschmack dessen, was wirklich wichtig ist und uns in Zukunft erwartet. Daran ändert auch der 11. September nichts, der für die Einen traumatisch, für die Anderen schockierend, aber für die meisten Menschen in dieser Welt allenfalls eine Episode war.