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Was geschah in González Catán

Steffen Leidel7. Dezember 2003

Am Montag (8.12.2003) stellt DaimlerChrylsler einen Bericht über die Rolle der argentinischen Tochter von Mercedes-Benz während der Militärdiktatur vor. Noch vor der Veröffentlichung äußern Betroffene Kritik.

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Unter keinem guten Stern: DaimlerChrysler steht unter KritikBild: Ap

Mindestens 15 Betriebsräte des Mercedes-Benz Werks in González Catán am Rande von Buenos Aires wurden zwischen 1976 und 1977 von Militärs verschleppt und ermordet. Unternehmensmitarbeiter sollen dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Unter Verdacht steht unter anderem der damalige Produktionsleiter Juan Tasselkraut. Er soll Betriebsräte an die Militärs verraten haben. Die Vorwürfe basieren im Wesentlichen auf den mehrjährigen Recherchen der deutschen Journalistin Gaby Weber und auf Aussagen von Überlebenden der Entführungen und Familienangehörigen der Opfer.

Kritik an der Kommission

Auf Druck des "Dachverbandes der Kritischen Aktionäre" sowie auf Initiative des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von DaimlerChrysler, Erich Klemm, hatte der Konzern 2002 eine Kommission unter dem Berliner Völkerrechtler Christian Tomuschat beauftragt, die Rolle der argentinischen Konzern-Tochter während der Diktatur zu untersuchen. Der Bericht, dessen Inhalt bisher von DaimlerChrysler geheim gehalten wird, soll am Montag (8.12.2003) vorgestellt werden. Schon im Vorfeld haben Überlebende und ehemalige Arbeiter bei Mercedes-Benz Kritik an der Arbeit der Kommission geäußert.

"Wir haben Tomuschat angeboten, mit ihm in die Fabrik zu gehen und ihm zu zeigen, wo unsere Arbeitskollegen von Militärs verschleppt wurden", sagt Ramón Segovia von der Gruppe der "Ehemaligen Mercedes-Benz-Arbeiter für Erinnerung und Gerechtigkeit". "Das war für uns sehr wichtig, doch Tomuschat hat das rundweg abgelehnt." Auch der argentinische Anwalt Ricardo Monner Sans, der Angehörige der Opfer vertritt, spricht von einer "gewissen Oberflächlichkeit" der Untersuchungen. Er habe weniger als eine halbe Stunde mit Tomuschat gesprochen. Auch das Angebot, ihn mit den in der argentinischen Strafsache tätigen Staatsanwälten zusammenzubringen, habe er abgelehnt.

Versuch der Reinwaschung?

Der Hauptbelastungszeuge von Tasselkraut, Héctor Ratto, glaubt, dass DaimlerChrysler sich mit dem Bericht von den Anschuldigungen reinwaschen wolle. Ratto hat mehrfach ausgesagt, dass Tasselkraut in seinem Beisein am 12. August 1977 die Adresse des Arbeitervertreters Diego Núñez an Militärs weitergeben hat. In derselben Nacht wurde Núñez in seiner Wohnung verhaftet und in das Folterzentrum Campo de Mayo gebracht. Auch Ratto wurde verschleppt und 16 Monate festgehalten und gefoltert. Er überlebte nur durch eine Verkettung glücklicher Umstände. "Das Unternehmen will die Vorgänge von damals nicht aufklären. Denn wenn es das täte, müsste es sein Schuld eingestehen und das wird es nicht", sagt Ratto.

Auf der Grundlage der Recherchen der deutschen Journalistin Gaby Weber hatte die Nürnberger Staatsanwaltschaft 1999 ein Ermittlungsverfahren gegen Tasselkraut wegen Beihilfe zum Mord eröffnet. Fünf Tage vor der Vorstellung des Tomuschat-Berichts stellte sie das Verfahren aus Mangel an Beweisen ein. Gaby Weber ist darüber empört. "Ein entscheidender Zeuge wurde weder von der deutschen Staatsanwaltschaft noch von Tomuschat vernommen", sagt sie. Dabei geht es um Alfredo M., der bis 2001 als Meister bei Mercedes Benz beschäftigt war. M. selbst war am 14.12.1976 gefoltert worden. Als er am nächsten Tag ins Werk kam, war Tasselkraut bereits über seine Entführung informiert, obwohl niemand sonst etwas davon wusste. Tasselkraut hatte mehrfach bestritten, über die Entführungen Bescheid zu wissen.

"Kontraproduktive" Aussagen

Über den Vorfall schwieg M. bis April 2003. In einer E-Mail teilte er Gaby Weber mit, dass Tasselkraut über die Entführungen und Folterungen von Mitarbeitern informiert war. Zu dem Zeitpunkt war Tomuschat zu seinen Recherchen in Argentinien und M. wunderte sich, weshalb er nicht befragt wurde. "Als M. wissen wollte, warum er nicht mit Tomuschat sprechen solle, erhielt er von der argentinischen Werksleitung die Antwort, dass seine Aussage kontraproduktiv für die Arbeit von Tomuschat sei", sagt Weber. M. habe danach gegenüber der argentinischen Staatsanwaltschaft ausgesagt. "Ich schickte eine Kopie seiner Aussage zur Staatsanwaltschaft in Nürnberg, die verzichtete aber auf eine Vernehmung und stellte das Verfahren ein", klagt Weber.