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"Was feiern wir eigentlich?"

4. Januar 2011

Mit Militärparaden, hohen Gästen und Jubel-Reden haben 17 afrikanische Länder 2010 ihre Unabhängigkeit gefeiert. Allerdings ist der Geburtstag umstritten. Wir haben afrikanische Musiker gefragt, was es zu feiern gibt.

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Unabhängigkeitsparade (Bild: Panapress)
Parade zur Unabhängigkeit im SenegalBild: picture alliance/dpa

"Genau. Was feiern wir eigentlich?", fragt der burkinische Rapper Smockey und lacht ironisch. "Feiern wir die höchste Arbeitslosenquote auf dem ganzen Planeten? Feiern wir die letzten Plätze auf dem Index für Lebensqualität? Oder feiern wir, dass 80 Prozent der Menschen keinen Ort haben, um zum Klo zu gehen?" "Was feiern wir?" Genau diese Frage stellt Smockey auch in seinem Song "50 ans de dependance". Also "50 Jahre Abhängigkeit".

Und tatsächlich: Nach 50 Jahren Unabhängigkeit sieht die Bilanz für Burkina Faso miserabel aus. Einer der letzten Plätze auf dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen, fast drei Viertel Analphabeten und viel Armut. Mehr als die Hälfte der Burkinabès leben von weniger als einem Dollar am Tag.

Die Afrikanische Revolution

Tiken Jah Fakoly (Bild: AP)
Optimistisch: Tiken Jah FakolyBild: AP

Auch der ivorische Reggeamusiker Tiken Jah Fakoly hat pünktlich zum 50. Geburtstag seines Heimatlandes eine CD rausgebracht. Der Titel: African Revolution. Er sei ein optimistischer Afrikaner, sagt Tiken Jah Fakoly. Afrika sei der Kontinent der Zukunft. "Das ist ein Kontinent, der erst vor 50 Jahren die Freiheit bekommen hat. Wir sind in einem Prozess. Und langsam kommen wir an. Wir werden Fortschritte machen, aber wir müssen uns beeilen."

Ein Land, zwei Präsidenten

50 Jahre nach der Unabhängigkeit müssen sich die Afrikaner beeilen, damit sie ihre eigene Revolution schaffen. "Eine intelligente Revolution, eine Revolution der Jugend", singt Tiken Jah Fakoly in African Revolution: In seiner Heimat, der Elfenbeinküste, ist die erhoffte politische Revolution gerade gescheitert. Alt-Präsident Laurent Gbagbo weigert sich seit Ende November das Ergebnis der Präsidentschaftswahl anzuerkennen. Seitdem hat das Land zwei Präsidenten: Den selbsternannten - Laurent Gbagbo und den legitimen Wahlsieger - Alassane Ouattara. Immer wieder kommt es zu Gewalt zwischen Anhängern beider Lager. Die Internationale Gemeinschaft versucht, Druck auf Gbagbo auszuüben - bisher vergeblich. Wenn es nach Tiken Jah Fakoly geht, dann müssen die Afrikaner ihre Probleme ohnehin selbst lösen. Ohne Einmischung von außen. "Niemand wird kommen und Afrika für uns verändern", singt Tiken Jah Fakoly in "Il faut se lever". "Wir müssen aufstehen und all das ändern." Und wieder erinnert er an die Kolonialzeit: "Es war einmal ein Kontinent, der wurde gefangen genommen", heißt es in dem Song. Das ist jetzt 50 Jahre her. Gibt es für ihn etwas zu feiern? "Da gibt es nicht groß was zu feiern", sagt der ivorische Musiker. Die afrikanischen Länder könnten heute kaum behaupten, sie seienunabhängig. Viele Angelegenheiten der frankophonen Länder würden noch immer in Paris entschieden. Und die der anglophonen Länder in den USA oder in Großbritannien, sagt Fakoly. "Wir sind nicht frei! Es gibt weder eine politische noch eine wirtschaftliche Unabhängigkeit."

Afrika für Afrika!

Femi Kuti (Bild: dpa)
Singt für ein friedliches Afrika: Femi KutiBild: picture alliance/Jazz Archiv

Der Nigerianer Femi Kuti hat eine ähnliche Botschaft wie Tiken Jah Fakoly. Auch er hat pünktlich zur Unabhängigkeit eine neue CD rausgebracht, auch er wünscht sich eine afrikanische Revolution. "Africa for Africa" heißt der Titelsong der neuen CD. "Ich habe diesen Titel gewählt, weil ich will, dass Afrika auf der Weltagenda nach oben rückt", sagt Femi Kuti. Er wolle, dass "Afrika für Afrika" ein Slogan für die Afrikaner werde. "Unsere Rivalitäten und ethnischen Probleme sollen ein Ende finden. Wir müssen unsere kolonialen Strukturen hinter uns lassen. Wir müssen verstehen, dass Kriege uns noch mehr Probleme bringen."

Truck und Soldat in Jos (Bild: AP)
Unruhen in Jos, Nigeria (Januar 2010)Bild: AP

Femi Kuti spricht Rivailtäten und ethnische Probleme an – in seiner Heimat Nigeria sorgen diese Rivalitäten immer wieder für blutige Auseinandersetzungen. Allein im Jahr 2010 starben bei Zusammenstößen zwischen Christen und Muslimen hunderte Menschen. Femi Kuti hofft auf eine friedliche Zukunft für sein Land und für seinen Kontinent. Was es zu feiern gibt, wenn er auf die 50 Jahre seit der Unabhängigkeit seines Landes zurückblickt?

"Nichts. Absolut nichts. Wir haben in Nigeria keinen Strom. Das ist eins unserer größten Probleme." Und Millionen Menschen hätten keinen Zugang zu Bildung oder zur Gesundheitsversorgung, sagt der Musiker. Und: "Wir haben immer noch keine guten Straßen. Vielleicht baut die Regierung eine Straße, und dann glaubt sie, sie hätte was ganz Großartiges gemacht, und dann kommst Du nach Deutschland und siehst die ganzen Straßen – dann schämst Du Dich für die Straßen die sie gebaut haben. Bei uns sind die einfach korrupt; wie kann man da feiern?!"

Was sagen Awadi, Lokua Kanza und Salif Keita? Lesen Sie hier weiter!

Afrikas Präsidenten auf CD

Awadi (Bild: Presidentsdafrique)
Macht Musik mit den Präsidenten von Afrika: AwadiBild: Presidents d'Afrique

Der senegalesische Rapper Awadi hat 50 Jahre Unabhängigkeit 2010 zum Anlass genommen, gründlich zurückzublicken. Auch er hat eine CD aufgenommen: Die Stars auf der CD – die Präsidenten von Afrika. "Presidents d’Afrique." Awadi hat ein Experiement gewagt – er hat Tonbandaufnahmen mit Reden seiner afrikanischen Helden gemischt mit Rap und melodischem Gesang. Ein Mammuth-Projekt, für das er tausende Stunden im Studio verbracht hat. Ein Projekt, von dem er lange geträumt hat…"Warum?", fragt Awadi und lacht. "Weil wir unsere Geschichte nicht genug kennen. Die Kolonialherren haben häufig die großen Helden zerstört. Ihre Nachfolger haben versucht, alle Spuren auszuradieren. Deshalb kennen wir unsere großen Männer nicht gut genug. Sie haben versucht, alles von Lumumba auszuradieren. Erst jetzt kommt ein bisschen Licht in die ganze Geschichte", sagt Awadi. Ein bisschen Licht kommt jetzt in die Geschichte von Patrice Lumumba, weil seine Familie versucht, die Mörder des ersten kongolesischen Premierministers vor Gericht zu stellen. Die Mörder von Patrice Lumumba kamen aus Belgien, der Kolonialmacht des Kongo. Es waren Soldaten, Polizisten, Staatsangestellte, die den afrikanischen Politiker vor fast 50 Jahren umgebracht haben. Seinen Wunsch nach völliger Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Belgien musste Lumumba mit dem Leben bezahlen. Heute lässt Awadi den afrikanischen Vordenker in seiner Musik wieder lebendig werden.

Bildung für den Wandel

Auch der Musiker Lokua Kanza kommt aus dem Kongo, der einzigen belgischen Kolonie, die vor 50 Jahren unabhängig wurde. Als belgische Soldaten 1961 Patrice Lumumba töteten, war Lokua Kanza drei Jahre alt. Ein Jahr vor Lumumbas Tod war der Kongo unabhängig geworden. Ist Lokua Kanza stolz am 50. Geburtstag der Demokratischen Republik Kongo? "Ich weiß nicht, ob man von Stolz reden sollte. Ich denke es gibt eine Realität, die heißt: Afrika ist unabhängig", sagt der Sänger. "Es ist klar, dass es da gute Sachen gibt. Aber es gibt noch viel zu tun. Wir haben es in der Hand. Und heute ist die Zeit, etwas aufzbauen."

Und wenn Lokua Kanza davon redet, dass die Afrikaner etwas aufbauen müssen, dann denkt er dabei nicht in erster Linie an Gebäude und Straßen. Lokua Kanza setzt all seine Hoffnung in die Bildung der jungen Afrikaner und Afrikanerinnen. "Weil es nur über den Kopf weitergehen kann. Nicht über unsere Diamanten, das Gold. Ich bin überzeugt davon, dass Afrika nur mit Verstand der Bewegungslosigkeit entkommt."

Der Halb-Kongolese – Lokuas Mutter kommt aus Ruanda – bleibt in seinen Texten eher unpolitisch. Seine Themen: Die Liebe, die Familie und der Frieden. Und so klingt seine Musik manchmal melancholisch und manchmal aber auch richtig fröhlich – wie sein Song "On veut du soleil". Wir wollen Sonne in unseren Herzen, singt er, und viele Farben...

Der Unterschied

Salif Keita (Bild: dpa)
"Ich bin ein Schwarzer mit weißer Haut": Salif KeitaBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Positiv klingt auch Salif Keita auf seiner neuen CD "La Difference". La Difference – der Unterschied, das ist im Fall des malischen Welt-Musikstars seine Hautfarbe. Salif Keita ist Albino, seine Haut ist ständig verbrannt und entzündet von der malischen Sonne. Seine hellen Augen können kaum das Tageslicht ertragen.

"Ich bin ein Schwarzer, meine Haut ist weiß. Und ich liebe das", singt Salif Keita. "Ich bin ein Weißer, mein Blut ist Schwarz", heißt es weiter. Wenn Salif Keita über seinen Gendefekt singt, dann geht es ihm um viel mehr als um seine Geschichte. Auch in 2010 haben angebliche Wunderheiler wieder Jagd auf Albinos gemacht. Ein grausamer Irrglaube behauptet, dass Körperteile von Albinos zu Medizin verarbeitet, heilende Kräfte hätten. In Ländern wie Tanzania, Burundi und Uganda müssen Albinos noch immer um ihr Leben fürchten. Salif Keita setzt sich seit Jahren für andere Albinos ein. In Tansania sitzt mittlerweile ein Albino als Abgeordneter im Parlament. Salif Keita wertet das als großen Erfolg. So gar kein Erfolg sind für ihn dagegen die 50 Jahre Unabhängigkeit, die auch sein Heimatland Mali 2010 feiert: "Es gibt nichts zu feiern. Die Länder waren niemals unabhängig", sagt der Weltmusikstar. Die Länder seien immer noch versklavt und in der Dunkelheit geblieben. "Ich glaube, die an der Spitze der afrikanischen Länder sind Komplizen der Ausbeuter. Die waren nie unabhängig."

Unerwünschte Fragen

Denkmal in Dakar (Bild: AP)
Umstrittenes Denkmal: "African Renaissance" in DakarBild: AP

Und trotzdem: 17 afrikanische Länder haben 2010 ihre Unabhängigkeit gefeiert. Oft mit viel Glanz und vor allem für viel Geld. Wie zum Beispiel im Senegal, wo eine riesige neue Statue für viel Kritik gesorgt hat. Präsident Aboulaye Wade wollte sich wohl damit zum 50. Geburtstag seines Landes ein ewiges Denkmal setzen. Kritik war da unerwünscht. So war der wohl bekannteste Künstler des Senegal Youssou ‘N Dur auch nicht zur Feier eingeladen. Der hatte nämlich deutlich gesagt, was er von Wade hält. Sein Amtskollege Blaise Compaoré, der Präsident von Burkina Faso, sah das mit der Kritik übrigens ganz ähnlich. Rapper Smockey durfte sein Geburtstagslied nicht bei der großen Geburtstagsfeier seines Landes vorsingen. Und beim Staatssender ist der Song auch tabu. Zu viele Fragen passen eben schlecht zu großen Unabhängigkeitsfeiern.

Autorin: Christine Harjes
Redaktion: Dirk Bathe