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Warum der Westen in Syrien nicht interveniert

1. September 2011

Während die Rebellen in Libyen feiern, geht das Regime in Syrien weiter gegen Demonstranten vor. Die EU, die USA und sogar der Iran protestieren, doch militärisch eingreifen wollen sie nicht - aus gutem Grund.

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Oppositionelle protestieren in der syrischen Stadt Homs gegen Präsident Assad (Foto: ap)
"Wir brauchen internationalen Schutz" - syrische Demonstranten in Homs fordern HilfeBild: dapd

Die EU-Außenminister wollen ihre Sanktionen gegen Syrien verschärfen und beabsichtigen offenbar, Erdölimporte einzustellen. Damit soll Präsident Bashar al-Assad zur Mäßigung gezwungen werden. Und in der Tat: Ein Importstopp syrischen Rohöls durch die EU könnte Damaskus durchaus Schwierigkeiten bereiten, denn etwa 90 Prozent der syrischen Ölexporte gehen in die EU. Deutschland war bisher mit 32 Prozent größter Abnehmer. Die Ölexporte machen knapp 30 Prozent der syrischen Staatseinnahmen aus.

Allerdings macht man sich nichts vor: Wenn Europa ausfällt, könnte China einspringen, dessen Öldurst enorm ist. Und selbst wenn kein Ersatz gefunden wird: Libyen hat gerade sechs Monate lang praktisch nichts exportiert und die Ölexporte des Irak haben sich auch Jahre nach dem Sturz Saddams noch nicht normalisiert. Und in beiden Ländern hat der Ausfall der Ölexporte zu keinem politischen Wandel geführt.

Dilemma des Westens

Die Verschärfung der Gangart der EU gegenüber Syrien kommt nur Tage nach dem Sturz des libyschen Führers Muammar al-Gaddafi. Sie beleuchtet erneut das Dilemma, das Europa mit den Ländern des "Arabischen Frühlings" hat. Trotz des erfolgreichen Verlaufs des Luftwaffeneinsatzes in Libyen gilt es als sicher, dass weder EU noch NATO ein zweites Mal in dieser Weise eingreifen werden. Auch die USA nicht: Sie sind im Begriff, den Großteil ihrer Truppen aus dem Irak und Afghanistan abzuziehen und schon allein deswegen nicht an einem neuen militärischen Abenteuer interessiert.

Karte von Syrien (Karte: dw)
Interventionen der NATO sind in Syrien nicht geplant - zu groß ist die Gefahr, die ganze Region zu destabilisierenBild: DW

Zudem hat Syrien viermal mehr Einwohner als Libyen. Bei einem Umsturz oder auch nur bei einer Ausweitung der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Syrien drohen unabsehbare Auswirkungen auf die Nachbarländer und die gesamte Region. Nachdem Europa wie auch andere Staaten bisher nicht in der Lage waren, Konflikte in der Region zu befrieden oder zu lösen, hütet man sich nun, einen neuen Konfliktherd zum möglichen Flächenbrand auszuweiten.

Rückzugsort der Hamas

Syrien ist heute der letzte ernstzunehmende Israel-Gegner im Nahostkonflikt - trotz wiederholter Versuche, Friedensverhandlungen mit Israel zu führen. Damaskus ist Sitz der "Ablehnungsfront" der Palästinenser, vor allem der Hamas, deren Chef Khaled Mashal von Syrien aus operiert. In Israel verfolgt man die Entwicklungen in Syrien dennoch mit unguten Gefühlen: So wenig man auch von Bashar al-Assad hält – er gilt vielen doch als "kalkulierbare Größe".

Damaskus ist aus historischen und machtpolitischen Gründen unvermindert an den Entwicklungen im Libanon interessiert, wo es – gemeinsam mit dem Iran - die schiitische Hisbollah unterstützt. Und Syrien ist der einzige arabische Verbündete des Irans. Wenngleich selbst Teheran Damaskus jüngst ermahnte, es solle die Forderungen seiner Bürger Ernst nehmen.

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad und Syriens Staatschef Baschar al-Assad im Gespräch (Foto: ap)
Bis vor kurzem gute Freunde: Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad und Syriens Staatschef Baschar al-AssadBild: AP

Der jahrelange Zwist mit der damaligen Baath-Bruderpartei im Irak Saddam Husseins ist inzwischen zwar beigelegt, Syrien leidet aber weiterhin unter den Auswirkungen der Entwicklungen im Irak und unter der Anwesenheit vieler irakischer Flüchtlinge. Auch die Beziehungen zu Saudi-Arabien und anderen arabischen Golfstaaten sind schwer getrübt. Dabei hatten sie sich nach der Ermordung des damaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri, die zunächst Syrien angelastet wurde, wieder verbessert.

Alte Rechnungen zwischen Sunniten und Schiiten

Und schließlich droht ein Umsturz auch Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Schiiten und Sunniten in der Region zu haben: Der Assad-Clan gehört der schiitischen Minderheit der Alawiten an, die Mehrheit ist sunnitisch. 1982 ließ Assads Vater Hafez ein Blutbad unter Sunniten in Hama anrichten, bei dem bis zu 30.000 vermeintliche Muslimbrüder umgebracht wurden. Dies und frühere Auseinandersetzungen haben viele "alte Rechnungen" angesammelt – deren Begleichung zu weiterer Radikalisierung führen dürfte.

Aus all diesen Gründen ist es ungleich schwerer für Europa und die USA, etwas gegen das Blutvergießen in Syrien zu unternehmen. Wegen der möglichen Konsequenzen verbietet sich eine militärische Intervention, Sanktionen alleine – wie ein Stopp der Ölimporte aus Syrien – werden Damaskus aber kaum zur Umkehr bewegen.     

Autor: Peter Philipp
Redaktion: Friederike Schulz