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Warum der Cyber-Dialog doch nützlich war

Kay-Alexander Scholz27. Juni 2014

Edward Snowden spielte keine Rolle. Ein Abschlussdokument wird es nicht geben. Folgetreffen sind noch unklar. Und trotzdem bringt der zweitägige deutsch-amerikanische Cyber-Dialog erste Fortschritte.

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Cyber-Dialog in Berlin (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Endlich war es so weit: Im presseöffentlichen Teil des Cyber-Dialogs, an dem rund 100 Experten aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft teilnahmen, hielt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier eine Grundsatzrede über das Internet. Big-Data sei der Machtfaktor im 21. Jahrhundert, sagte Steinmeier nun. "Daten sind Macht, und Macht muss Regeln unterworfen sein, die auf gemeinsamen Werten gründen." Und er fügte hinzu: "auf beiden Seiten des Atlantiks".

Dieser Einordnung folgte ein Satz, mit dem Steinmeier die nationale Debatte ordnen könnte. Das Internet sei "of the people, by the people and for the people". Er beließ das Zitat im Englischen, weil er sich an Abraham Lincolns berühmte Gettysburg-Rede anlehnte ("Government is of, by and for the people"). Zudem schmeichelte das den Gästen aus den USA, unter ihnen John Podesta, Internet-Berater von Barack Obama. Das Internet, so Steinmeier, gehöre niemandem, es sei ein globales Gut, Grenzen überschreitend und deshalb auch ein Feld der Außenpolitik. Außerdem sei es ein Multistakeholder-Ort. Also ein Ort, an dem verschiedene Interessengruppen aufeinander treffen, was trotz des immensen Wachstums auch so bleiben müsse. Und "Industrie 4.0" sei ein Beispiel, wie das Internet das Leben grundlegend verändere. Die Deutschen müssten allerdings noch lernen, die gelben Helme der Ingenieure noch mehr mit den Hipsterbrillen, also der kreativen Startup-Szene, zusammenzubringen.

"Wir müssen uns neu verorten und das fällt uns schwer", fasste Steinmeier zusammen. Dabei müsse die Kernfrage, das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit, neu definiert werden. Mehr Sicherheit, weniger Freiheit - hier sei eine ehrliche Kosten-Nutzen-Rechnung nötig.

Bundesaußenminister Steinmeier beim Cyber-Dialog in Berlin (Foto: dpa)
Bundesaußenminister Steinmeier: "Internet als globales Gut"Bild: picture-alliance/dpa

"Ehrlichere Debatte"

"Wir brauchen eine ehrlichere Debatte über die transatlantische Partnerschaft." Dieser Appell von James A. Lewis vom Center for Strategic and International Studies (CSIS), einem einflussreichen außenpolitischen Think Tank in Washington, könnte die deutsche Debatte über die Folgen des NSA-Skandals korrigieren. Weg vom wochenlangen Streit um eine Zeugenvernehmung Edward Snowdens, hin zur Frage, wie eigentlich Geheimdienste - also auch der deutsche - international zusammenarbeiten. Ein Forum dafür ist mit dem NSA-Untersuchungsausschuss vorhanden.

Die NSA habe ihre massenhafte Überwachung seit 2002 in Kooperation mit europäischen Geheimdiensten organisiert, betonte Lewis. Es werde in den USA als irritierend wahrgenommen, dass die Bürger in Europa das nicht wissen. Man habe es den Deutschen nur nicht gesagt, weil sie sich sonst aufgeregt hätten, vermutete Lewis. Die Debatte müsse nun aber transparenter geführt werden.

Gründlicher Ansatz

So sehr der Tenor auch lautete, dass das gemeinsame Wertefundament der Europäer und Amerikaner stark sei, sprach Wolfgang Ischinger, Diplomat und Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, trotzdem einen zentralen Unterschied an: Im europäischen Denken solle der Staat dabei helfen, die Menschenwürde zu schützen. Im Angelsächsischen dagegen bedeute "Schutz" das Bewahren von Freiheit gegenüber dem Staat. Das sei ein Unterschied - so groß wie zwischen den Planeten Mars und Venus. In den USA habe der Patriot-Act nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 das Verhältnis zum Staat vorübergehend anders definiert. Aber das werde, so Ischinger, auch durch den Druck großer Internetkonzerne derzeit korrigiert. Im US-Kongress werde im Übrigen mehr über Sicherheit im Internetzeitalter debattiert als im Bundestag.

Auch Podesta hatte in seiner Rede ausführlich die laufende Reform der US-Geheimdienste thematisiert. Er stellte in Aussicht, dass beim Datenschutz EU-Bürger ähnlich wie US-Bürger behandelt werden könnten.

Obama-Vertreter für Internetfragen John Podesta (Foto: dpa)
Obama-Vertreter John Podesta kam, um Besserung in Aussicht zu stellenBild: picture-alliance/dpa

Ischinger schlug vor, den Cyberdialog, über dessen mögliche Fortsetzung noch nichts bekannt ist, zwischen den beiden Parlamenten fortzusetzen. Und den Deutschen sollte seiner Meinung nach gesagt werden, dass die NSA nicht der einzige Geheimdienst auf der Welt ist, der im Internet spioniert.

Partner in der Globalisierung

Beiden Seiten scheint bewusst zu sein, dass sie einander brauchen im Wettstreit der Globalisierung. Europa und die USA stünden für Werte, die nicht überall auf der Welt geteilt würden, so Steinmeier. Es sei wichtig, dem Internet eine "gemeinsame transatlantische Interpretation" zu geben. John Podesta sprach von einem "Stresstest" und warb um verlorengegangenes Vertrauen. Die USA wollten nun wieder zeigen, "dass das Ausspionieren normaler Bürger nicht unser Geschäft ist". Dafür würden die US-Geheimdienste reformiert. 2012 hatte das Weiße Haus eine entsprechende Arbeitsgruppe unter seiner Leitung eingerichtet.

Es gebe die gemeinsame Chance, so Lewis vom CSIS, einer schädlichen Zersplitterung des Internets durch viele nationale Regelungen entgegenzuwirken. Außerdem müsse es auch darum gehen, geistiges Eigentum im Internet zu schützen - in anderen Weltregionen keine Selbstverständlichkeit. Die Deutschen sollten, so Lewis weiter, analog zu ihrem neuen ökonomischen Status überlegen, welche Verantwortung sie international im Internet, der wichtigsten Infrastruktur der Welt, übernehmen wollten.

Nachhilfe vom "Big Brother"

Der Cyber-Dialog hat die deutsche Debatte bereichert, weil eindrücklich auf das Thema Big-Data und sein immenses ökonomisches Potenzial hingewiesen wurde, bei dem die deutsche Politik etwas hinterherhinkt. Vor allem in den Bereichen Medizin, Verkehr und Bildung werde in den USA diskutiert, wie Daten gesammelt und dann ausgewertet werden, sagte Podesta. Scoring sei auch ein Bürgerrechtsthema. Wie im US-Film "Minority Report" gebe es inzwischen auf Big-Data basierende Vorhersagen, wann es wo zu einem Verbrechen kommen könnte, so Viktor Mayer-Schönberger vom Oxford Internet Institute. Eine "vorhersehbare Zukunft" aber berge die Gefahr einer Überwachungsgesellschaft. Deshalb sei der verantwortungsvolle Umgang mit Daten essenziell.

Julie Brill von der Federal Trade Commission brachte ein weiteres Beispiel an: In den USA gebe es eine Firma, die ihr Geld mit Schwangerschaftsvorhersagen verdiene. Wie können diese hochsensiblen Daten geschützt werden? Die Konsumenten allein könnten ihre privaten Rechte nicht regeln. Aber die Unternehmen würden inzwischen proaktiven Schutz als Wettbewerbsvorteil sehen.

Jenseits des Atlantiks würden Internetthemen primär pragmatisch diskutiert, so Brill. In Europa aber seien die Diskussionen eher philosophisch. Hier sei es sicherlich hilfreich, voneinander zu lernen.