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Warum Chinesen das Bundesjugendorchester lieben

Adelheid Feilcke27. Juli 2015

Jung, deutsch, Spitzenklasse: Wenn die 100 Nachwuchsmusiker aus Deutschland auf China-Tournee gehen, dann wird es eng im Saal. Musik aus Deutschland gilt im Reich der Mitte als Prestigefaktor.

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Probe des Bundesjugendorchesters in China, Foto: DW
Bild: DW/A. Feilcke

Junge Frauen in Sommerkleidern, Studenten im T-Shirt, Eltern mit ihrem Kind strömen in den Konzertsaal, als sich die Einlasstüren zum großen Konzertsaal von Jinan öffnen. Ein bunt gemischtes Publikum. Unter den Konzertgästen ist auch Li Zhang. Die Zwölfjährige ist mit ihrer Mutter gekommen, um heute ein besonderes Gastspiel mitzuerleben: Das Bundesjugendorchester macht auf seiner Tournee Station in Jinan. Ganz besonders freut sich Li Zhang auf das 3. Klavierkonzert von Beethoven, denn sie spielt selbst Klavier, seit sie vier ist.

Li Zhang und ihre Mutter zählen zu den zahlreichen Enthusiasten, die die westliche klassische Musik in den letzten Jahrzehnten in China gefunden hat. Obwohl die Ausbildung und Musikpflege lange auf die großen Kulturzentren wie Peking und Shanghai konzentriert war, hat sich die Liebe zur klassischen Musik landesweit ausgebreitet. In vielen Provinzhauptstädten und den wachsenden urbanen Zentren sind in den letzten Jahren hervorragende Konzertsäle entstanden, in denen Musiker aus aller Welt auftreten.

Die Städte wetteifern geradezu darum, wer das beste und größte Konzerthaus und damit die besten Vorraussetzungen hat, ein kulturelles und musikalisches Zentrum zu werden. So auch in Jinan: Nach dem Vorbild des spektakulären Opern- und Konzerthaus-Komplexes NCPA, das der französische Stararchitekt Paul Andreu im Herzen Pekings gebaut hat, hat auch die Hauptstadt der Provinz Shangdou seit eineinhalb Jahren ein Ensemble, das in der Ausstattung und Akustik kaum Wünsche offen lässt: ein Opernhaus, ein Theater und einen hellgetäfelten atriumförmigem Konzertsaal mit mächtiger Orgel und Platz für 1500 Gäste.

Herbert Schuch am Piano, Foto: DW
Herbert Schuch am PianoBild: DW/A. Feilcke

China lockt mit Superlativen

Da kommen Ensembles wie das Bundesjugendorchester gern vorbei: in einen großartigen Saal, der gefüllt ist mit einem begeisterungsfähigen Publikum. Sönke Lentz, Orchesterdirektor des BJO, schwärmt von dem "fantastischen" Konzerthaus. "Da wird viel Geld investiert und natürlich ist es besonders für die Ausländer toll, solche Konzertsäle zu haben." Auf der anderen Seite sei es auch beängstigend, weil diese Konzerthäuser nicht im europäischen Sinne bespielt werden. Es gehe nicht um Konzepte, sondern um wirtschaftliche Aspekte. Wer am meisten zahlt, der darf spielen, sagt er. Jinans Kulturbetrieb jedenfalls ist kommerziell ausgerichtet und auf Gastspiele angewiesen. Es gibt kein eigenes Profiorchester und keine Musikhochschule in der Hauptstadt der knapp 100 Millionen Einwohner umfassenden Provinz.

Fast zwei Wochen reist das BJO im Sommer 2015 durch China. Neben den großen "Musts" wie Peking und Shanghai ist Jinan ein Zwischenstop auf der Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen den Megacities. Im Gepäck hat das jüngste deutsche Spitzenorchester, wie es auch in China werbewirksam beworben wird, ein anspruchsvolles, aber zugleich geschmeidiges Programm, das vom 3. Klavierkonzert Beethovens Klavierkonzert über Mendelssohn- und Prokofiev-Sinfonien bis zum Appalachian Spring des Amerikaners Aaron Copland reicht, einer frühmodernen facettenreichen Klangmalerei amerikanischer Landschaftsbilder. Unter dem Dirigenten Patrick Lange und dem Pianisten Herbert Schuch verbinden sich bei den BJO-Konzerten hochkarätiges Niveau mit sympathischer Ausstrahlung auf das Beste, was das Publikum mit Begeisterung belohnt. Der Vizedirektor des Konzerthauses, He Ying, freut sich über den blendenden Verkauf. Mit einer Auslastung von über 85 Prozent hat das BJO alle bisherigen Konzerte in dieser Saison getoppt.

Xin Yu von der Agentur Wu, Foto: DW
Xin Yu ist zufrieden über das große Interesse am BundesjugendorchesterBild: DW/A. Feilcke

Vorbild Deutschland

Auch Xin Yu ist sehr zufrieden mit dem Konzert und dem gesamten bisherigen Verlauf der BJO-Tournee. Sie ist die Vertreterin der Agentur Wu, die die Konzerte organisiert und an die Konzerthäuser im Lande verkauft. Ein volles Haus und ein begeistertes Publikum - ihr Kalkül ist aufgegangen. Sie weiß, dass das musikalische Niveau stimmt und das jugendliche Alter der Musiker die Chinesen fasziniert. Nachdem die 25-Jährige kürzlich ihre Masterarbeit in München über das Konzept Bundesjugendorchester abgeschlossen hat, will sie nun etwas Ähnliches in China aufbauen. Das passt gut zu einem zweiten Erfolgsmodell des Deutschen Musikrates, dem Wettbewerb "Jugend musiziert", der in China ab 2016 übernommen werden soll.

Opernhaus von Jinan
Architektonischer Hingucker: Opernhaus von Jinan (vorne im Bild)Bild: DW/A. Feilcke

Der Klassikmarkt ist eine Zukunfts- und Wachstumsbranche, und die Nachwuchsförderung ist eine Investition in die Zukunft. Xin Yu rechnet vor: Allein 50 Millionen Menschen wie Li Zhang lernen in China Klavier. Diese und viele andere wollen Konzerte besuchen - da braucht man entsprechende Programme. Ein Zehn-Jahres-Vertrag mit den Wiener Philharmonikern ist einer von vielen Superlativen der Agentur. Und Hunderte von hervorragenden Konzerthäusern entstehen landesweit.

Tafel mit WLAN-Informationen
Kein Konzertbesuch ohne WLANBild: DW/A. Feilcke

Erziehung mit dem Laser

Trotzdem gibt es in der europäisch-chinesischen Musikbegegnung durchaus noch viel Befremdliches. Ständig und überall sind die Konzertbesucher auch online unterwegs. WiFi gibt es gleich frei zugänglich für alle im Konzertsaal. Dass diese Netze höchst restriktiv nur chinafreundliche Inhalte durchlassen, bleibt vielen hier wohl verborgen. Doch während des Konzerts sollen die Handys ausgeschaltet bleiben. Immer wieder mahnt eine Lautsprecherdurchsage zu Konzertbeginn und in den Pausen, dass der Handy-Gebrauch, das Fotografieren und Filmen verboten sei. Die Saalhelfer stellen die Handy-Nutzer bloß, indem sie einen Laser-Pointer auf das Display richten. Doch das schreckt nur kurz ab - bald blinkt und klickt es wieder in allen Reihen. In einer Leuchtschrift über der Bühne werden nicht nur die Titel der Stücke angekündigt, sondern auch darauf hingewiesen, dass zwischen den einzelnen Sätzen einer Sinfonien nicht geklatscht werden solle. Wen kümmerts? Das Publikum ist begeistert, aber es ist sehr viel lockerer. Man geht durchaus zwischendurch mal auf die Toilette.

Sönke Lentz hat beobachtet, dass Kulturmetropolen wie Peking solche Maßnahmen nicht mehr brauchen. Der Begeisterung im Publikum tut das allerdings keinen Abbruch: Auch Li Zhang ist vollauf begeistert. Glücklich ersteht sie eine CD vom Künstler und lässt sich gleich von ihrer Mutter mit ihm auf dem Smartphone ablichten. Und schon postet sie das Bild an ihre Freundinnen.

Am 25. September 2015 wird das Bundesjugendorchester im Rahmen des Beethovenfests gemeinsam mit dem Ensemble Mongolism ein neues Werk der chinesischen Komponistin Zulan aufführen.