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Rettet Berlins Spätis!

Stuart Braun/ct22. Juli 2015

Sonntag und kein Bier im Haus? Schnell um die Ecke zum Späti. So war das bisher in Berlin. Bald ist damit Schluss. Die Kioske der Hauptstadt müssen wie jeder Laden Sonntag zu bleiben. DW-Autor Stuart Braun ist empört.

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Ein "Späti" in Berlin-Neukölln
Bild: DW/S. Braun

"Ich kann nicht in einem Büro arbeiten, ich muss frei sein", sagt Nafiz. Soul Musik klingt aus seinem Spätkauf nach draußen, auf die Straßen von Berlins Multikulti-Bezirk Neukölln. Vor 50 Jahren ist er aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Nafiz kennt viele Leute hier im Kiez: Zum Beispiel den italienischen Musiker, der gerade Zigaretten gekauft hat oder den Australier, der direkt gegenüber wohnt und morgens hier immer seinen Kaffee trinkt.

Auf Türkisch hält er gerade ein Pläuschchen mit ein paar älteren Damen, die auf dem Weg zur Bäckerei sind. Es ist ein sonniger Vormittag. Die Bierbank, an der ich meinen Espresso trinke, wird mehr und mehr von jungen Leuten in Beschlag genommen. Sie gesellen sich dazu, trinken ein Bier, andere machen nur kurz Halt und kaufen sich bei Nafiz ihr "Weg-Bier" für den Park.

In seinem Späti verkauft Nafiz vor allem Biere aus Bayern, aber auch Whiskey, italienisches Olivenöl, Wein und Lottoscheine. Damit er mit den Supermärkten konkurrieren kann, hat er lange geöffnet. Deshalb heißen Läden wie seine auch Spätkauf, liebevoll Spätis genannt - wie der Name sagt, kann hier bis spät in die Nacht eingekauft werden. Spätis haben immer auf. Sonntags macht Nafiz sein bestes Geschäft, eben genau dann wenn die Supermärkte geschlossen haben – Bier und Tabak verkaufen sich wohl am Besten.

Spätis sollen sonntags schließen

Nach einer Entscheidung des Berliner Oberverwaltungsgerichts im Jahr 2012 müssen jedoch Geschäfte, die nicht in erster Linie Blumen, Zeitungen, Brot und Milchprodukte verkaufen, am Sonntag schließen. Viele Spätis - darunter auch Nafizs Laden – haben sich diese Gesetzesvorlage zu eigen gemacht und verkaufen auch Zeitungen und Milchprodukte. Doch die Behörden haben das schnell durchschaut. Bei Kontrollen durch das Ordnungsamt drohen den Späti-Betreibern Strafen. Auch Nafiz hat im vergangenen Monat eine solche Strafe zahlen müssen und er fürchtet, dass noch weitere folgen. Späti-Besitzer verdienen nach Abzug von Steuern rund 1000 Euro pro Monat und die Margen sind gering. Ohne ihre Sonntagsverkäufe könnten sie gar nicht überleben.

Naviz Illmaz Besitzer eines Spätkaufs in Berlin-Neukölln
Naviz Illmaz Besitzer eines Spätkaufs in Berlin-NeuköllnBild: DW/S. Braun

Das "Bier zu jeder Zeit" ist bedroht

Nafiz Spätkauf ist einer von rund 1000, die in Berlin zur Kiez-Kultur gehören und an jeder zweiten Ecke zu finden sind. Sie sind in der Hauptstadt zu einer Institution geworden und nicht mehr wegzudenken. Die Spätis sind anders, oft improvisiert, manchmal ein wenig angestaubt, andere wiederum schick und ihr Besitzer einfach einzigartig, so wie Nafiz. Wenn man so will, stehen die Spätis im Widerspruch zu den kommerziellen Supermärkten. Und das wichtigste: Sie haben immer auf.

In Neukölln, dem Bezirk mit dem wohl meisten Spätis in Berlin, greifen die Behörden in letzter Zeit hart durch. Einige konservative CDU-Politiker fordern, dass die Spätis zwischen 22 Uhr abends und 5 Uhr morgens keinen Alkohol mehr verkaufen dürfen. Die Berliner haben nun entschieden, das Problem mit den Spätis selbst in die Hand zu nehmen. Neuköllnerin Christina Jurgeit hat im Juni 2015 eine Online-Petition gestartet, die sich für die "Rettung der Spätis und Berlins einmalige Kiez-Kultur" einsetzt. 300.000 Menschen leben in Neukölln. 30.000 haben bisher ihren Namen auf die Liste gesetzt. Auch ich habe in der vergangenen Woche unterschrieben. Aus guten Gründen.

Ein Leben ohne Späti ist möglich, aber sinnlos

Es stimmt, Berlin ist die Hauptstadt eines christlich geprägten Landes. Der Sonntag ist heilig: Man geht in die Kirche und trifft sich mit der Familie zum Essen. Die Geschäfte sind geschlossen. Dieses Argument wird in Deutschland immer angeführt, wenn es um die Ladenöffnungszeiten geht. Nicht nur potenzielle Späti-Kunden sollten sonntags entspannen, auch deren Besitzer selbst.

Doch die Späti-Besitzer, die in ihren Läden große Plakate mit der Aufschrift "Rettet die Spätis" haben, fragen, warum dürfen Tankstellen oder Restaurants an einem Sonntag öffnen und Alkohol oder Tabak in einem christlichen Land verkaufen? Es ist doch auch normal, dass Ärzte, Krankenschwestern oder Lokführer an einem Sonntag arbeiten. Es sind vor allem die Berliner, die sich gegen das Gesetz auflehnen. Denn hier sind deutschlandweit die meisten Spätis. Nirgendswo gibt es eine solche Tradition wie in der Hauptstadt.

Vorwurf der Diskriminierung

Die Späti-Besitzer fühlen sich diskriminiert. Kein Wunder: in einer Stadt, in der 70 Prozent der Spätis in türkischer Hand sind, trifft das Gesetz vor allem sie. Das Sonntags-Verkaufs-Verbot nehmen vielen von ihnen als Fremdenfeindlichkeit wahr. Am 10. Juli trafen sich Polizei und Späti-Besitzer im Neuköllner Rathaus. Ein Händler erzählte dort, wie ein Polizist seiner Frau vorwarf, sie sei keine richtige Christin, wenn sie den Laden sonntags öffne. Ein Polizeisprecher wiederholte daraufhin: Gesetz sei eben Gesetz.

"Spätis werden nicht mutwillig verfolgt" sagt die neue Neuköllner Bezirksbürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD). In der Bezirksverordnetenversammlung ist viel über das Verkaufsverbot diskutiert worden. Die Grünen verlangen inzwischen eine Aufweichung des Verbots.

Rettet die Spätis, rettet Berliner Freiheit

Ich kenne auch eine Späti-Betreiberin deutscher Abstammung, die mit einer saftigen Strafe belegt wurde. Sie hielt ihren lebhaften Späti zu Ostern offen – wenn sich Hunderte durstig auf den Straßen tummeln. Sie zahlte ein Bußgeld von 500 Euro. Diesen Sommer musste sie zum ersten Mal Sonntags schließen, ihre Mitarbeiter können kaum noch von dem Gehalt leben.

Auch ein indischstämmiger Späti-Besitzer im Wedding hat es nicht leicht. Er arbeite den ganzen Tag, habe immer ein offenes Ohr für seine Kunden und noch nie Urlaub genommen – so stand es in einem Artikel der Berliner Zeitung. Die Zeitung warb auch für die "Rettet die Spätis" Kampagne. Man hat den Eindruck, fast die ganze Stadt steht hinter den Händlern.

Auf der Weserstraße in Neukölln betreiben Firat und seine Familie schon seit acht Jahren einen Späti. Auch er meint, die Zeiten seien besser gewesen, als noch Sonntags verkauft werden konnte. In einem Atemzug beginnt er auch von den steigenden Mietpreisen zu erzählen und, dass er jetzt in den billigeren Stadtteil Britz umziehen muss. Dabei gefällt ihm sein bunter Stadtteil. Ihm gefällt, dass Menschen aus aller Welt nach Berlin gekommen sind und neue Farbe, Leben und natürlich auch Geschäftsideen mitgebracht haben.

Die meisten sind einmal nach Berlin gekommen, weil die Stadt sich offen zeigte, oft auch ein wenig unkontrolliert. Der Sonntags-Späti ist vielleicht ein kleines Symbol dieser Stadt, wie man sie liebt.