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Warten auf den Sieger: Turner Prize 2015

Jochen Kürten6. Dezember 2015

Wer erhält in diesem Jahr den wichtigsten britischen Kunst-Preis? Vier Nominierte dürfen sich Hoffnungen machen: drei Frauen und ein Kollektiv aus Designern und Architekten. Nominiert ist auch eine Deutsche.

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Turner Prize exhibition 2015 Nicole Wermers
Das Werk "Infrastruktur" von Nicole WermersBild: picture alliance/empics/A. Milligan

"Hurra! Endlich mal was Anderes", zeigte sich die britische Zeitung "The Guardian" sehr angetan, als im Mai die vier Nominierungen für den diesjährigen Turner-Preis bekannt gegeben wurden. "Die Nominierten überbieten sich in diesem Jahr mit blutleeren, langweiligen und humorlosen Arbeiten", textete dagegen das renommierte deutsche Fachmagazin "ART". Wer liegt nun richtig?

Eine objektive Antwort wird niemand geben können. Es fällt schon schwer genug, Musik oder Literatur, Filme oder Theaterinszenierungen zu beschreiben, zu bewerten und der interessierten Öffentlichkeit ein halbwegs objektives Bild mit auf den Weg zu geben. Bei moderner Kunst ist das schier unmöglich. Und so sind Reaktionen zwischen "Hurra!" und "blutleer" durchaus typisch für die Beurteilung von zeitgenössischer Kunst. Das haben in den letzten Jahren auch die Reaktionen auf den "Turner Prize" gezeigt.

Turner Prize exhibition 2015
Ein Werk von Janice Kerbel auf der Turner Prize Ausstellung 2015 in GlasgowBild: picture alliance/empics/A. Milligan

Der wurde im Jahre 1984 erstmals vergeben. Ein paar Künstler, mal drei, mal sechs, stehen jeweils auf der Nominierungsliste, einer oder eine wird dann ausgezeichnet. Der Sieger darf sich über 25.000 Pfund freuen, die Nominierten bekommen immerhin noch jeweils 5000 Pfund. Der Preis gilt als wichtigste Auszeichnung der britischen Gegenwartskunst. Für das Zeitgemäße der Kunst steht auch ein weiteres Kriterium: Mitmachen dürfen nur Künstlerinnen und Künstler, die noch nicht 50 Jahre alt sind. Auch Ausländer werden nominiert und ausgezeichnet, sie müssen lediglich schon einmal auf der Insel ausgestellt haben. Organisiert wird die Preisvergabe von der "Tate Gallery" in der britischen Hauptstadt, in London findet die feierliche Zeremonie normalerweise auch statt. In diesem Jahr ist man allerdings ins schottische Glasgow ausgewichen. Die Werke der vier Nominierten sind dort seit Oktober zu sehen - in einem ehemaligen Straßenbahndepot, das in eine Kunst-Ausstellungshalle umfunktioniert wurde.

Das größte Kompliment muss man den Organisatoren des Preises für die beeindruckende Presse- und Öffentlichkeitsarbeit machen. Ähnlich wie beim Oscar hat sich die Bedeutung der Auszeichnung längst von der tatsächlichen Relevanz der Nominierten und Ausgezeichneten abgelöst. Der Oscar ist zu 95 Prozent ein englischsprachiger Filmpreis - in der Öffentlichkeit wird er aber als der wichtigste Filmpreis der Welt wahrgenommen. Unter Missachtung der Tatsache, dass das europäische, asiatische oder lateinamerikanische Kino beim Oscar kaum vorkommt.

Turner Prize exhibition 2015
Die Nominierten (vorne, v.l.n.r.) Bonnie Camplin, Janice Kerbel und Nicole Wermers sowie (hinten, v.l.n.r.) Lewis Jones, Amica Dall und Fran Edgerley, Mitglieder des Assembly collective.Bild: picture alliance/empics/A. Milligan

Der "Turner Prize" hat es in den letzten Jahren ebenfalls geschafft, als ungemein bedeutender europäischer Kunstpreis wahrgenommen zu werden - obwohl es sich bei den Nominierten jeweils nur um ein halbes Dutzend in Großbritannien tätiger Gegenwartskünstler handelt. Natürlich sind unter den Ausgezeichneten große oder zumindest inzwischen bekannte Namen wie Tony Cragg, Richard Long, Anish Kapoor, Steve McQueen oder Damien Hirst.

Was gilt denn nun als Kunst?

Doch zeigen die zum Teil harschen Urteile über die 2015 Nominierten auch, dass der Kunstmarkt inzwischen so unübersichtlich ist, dass Kriterien, wie über Kunst geurteilt wird, inzwischen kaum noch existieren. Hinzu kommt, dass der Begriff, was denn nun als Kunst gelten kann, in den letzten Jahren so weit ausgedehnt wurde, dass letztendlich alles als Kunst wahrgenommen wird. "Anything goes", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" über die vier Bewerber 2015: Die Frage stelle sich, ob das herkömmliche Verständnis von bildender Kunst überhaupt noch Gültigkeit besitzt. "Drei der vier Bewerber - ein Designkollektiv und drei Künstlerinnen - produzieren Werke, die sich treffender anderen Kategorien wie Musik, Psychologie oder eben Design zuordnen ließen."

Turner Prize exhibition 2015 Janice Kerbel
Eine Performance im Rahmen der Arbeit "DOUG" von Janice KerbelBild: picture alliance/empics/A. Milligan

Und das sind die Nominierten in diesem Jahr - zu sehen derzeit im ehemaligen Straßenbahndepot "Tramway" in Glasgow (1.10.2015 – 17.1. 2016):

Die in London lebende und arbeitende Deutsche Nicole Wermers und ihre Rauminstallation "Infrastruktur". Wermers hat in einem weißen Raum ein paar der berühmten klassischen Marcel-Breuer-Stühle versammelt und diese mit Fellen und Pelzen dekoriert. An den Wänden des Ausstellungsraums befinden sich weiße Keramik-Platten, die wie übergroße Notizzettel aussehen. Die Installation soll zum Nachdenken anregen über öffentlichen und privaten Raum, das Leben des modernen Menschen in Gebäuden aller Art und über das Konsumverhalten im 21. Jahrhundert.

Die ebenfalls in London tätige Kanadierin Janice Kerbel bietet sechs SängerInnen bzw. SprecherInnen auf, die singen, reden, Töne von sich geben. Ein Dirigent hat die Spielleitung und versucht offenbar, Ordnung in das Ganze zu bringen. Den Sprechgesang, der sich aus alt- und neumodischen Elementen zusammensetzt, nennt Janice Kerbel "DOUG". Für die Künstlerin ein Experiment in Sachen Sprach- und Musikentwicklung - ein multimediales Opernwerk, bestehend aus neun Gesängen.

Als dritte Nominierte ist die Britin Bonnie Camplins vertreten, die in Glasgow ein breites Lektüreangebot und ein paar Bildschirme aufgebaut hat. Auf den Bildschirmen sind Menschen zu sehen, die von ihrer Begegnung mit Außerirdischen und anderen esoterischen Ereignissen berichten. Camplins nennt ihre Installation "Patterns". In den ausgelegten Büchern und Heften kann man blättern und das Gelesene mit dem Gesehenen vergleichen.

Turner Prize exhibition 2015
Installation des Assemble collectiveBild: picture alliance/empics/A. Milligan

Schließlich bewirbt sich die Gruppe "Assemble" um den Turner-Prize. Die 14 jungen Leute haben sich mit ihrer Arbeit noch mehr von gängigen Vorstellungen entfernt, was Kunst denn ist oder sein könnte. "Assemble" ist ein Kollektiv aus Architekten und Designern, das sich Gedanken gemacht hat, wie Plätze und Häuser in der britischen Stadt Liverpool verändert werden könnten. Eine Art visionäre Stadtplanung menschlicher Art im Kleinformat.

In der Jury sitzen Museumsdirektorinnen und -direktoren sowie Kritiker und Kuratoren. Sie müssen nun entscheiden, wer den "Turner Prize" 2015 bekommt. Wenn Nicole Wermers den begehrten Preis am Montagabend in den Händen halten würde, wäre sie nach Wolfgang Tillmans (2000) und Tomma Abts (2006) die dritte Preisträgerin aus Deutschland.