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Warten auf das Signal zum Beitritt: Die NATO und Südost-Europa

27. April 2006

Die Aufnahme neuer Mitglieder ist für die NATO nichts Ungewöhnliches. Seit ihrer Gründung im Jahr 1949 wurden immerhin 14 neue Staaten aufgenommen. Die Gründe für die Erweiterung haben sich aber radikal geändert.

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Zeremonie zur NATO-Erweiterung im März 2004Bild: AP

Ging es bis in die Achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts darum, durch mehr Mitglieder den Schutz vor dem kommunistischen Block zu verstärken, so geht es jetzt darum, fast 17 Jahre nach dem Mauerfall, die ehemals kommunistischen Staaten in die westliche Allianz einzugliedern. 2004 wurden in einer großen Runde gleich sieben ehemalige Ostblockstaaten bzw. Sowjetrepubliken aufgenommen. Der damalige NATO-Botschafter Bulgariens, Emil Dimitrov Valev, sagt, durch diesen Schritt fühle sich sein Land enorm aufgewertet. Die teilweise schmerzlichen Reformen in Staat, Gesellschaft und Militär seien belohnt worden. Und auch die NATO hat von der Erweiterung bislang profitiert, so Botschafter Valev: „Wir sind überzeugt, dass die letzte Runde der NATO-Erweiterung nach Süden die ganze Region Südosteuropa stabilisiert hat und sicherer gemacht hat. Südosteuropa wird die erste Verteidigungslinie Europas gegen neue Bedrohungen. Terrorismus bekämpfen heißt nicht nur die Terroristen zu fangen, sondern auch Menschenhandel, Drogen- und Waffenschmuggel einzudämmen."

Warten auf Signal zum Beitritt

Kroatien, Mazedonien und Albanien sind die nächsten Staaten auf dem Balkan, die voraussichtlich erst beim übernächsten NATO-Gipfel im Jahr 2008 eingeladen werden, dem Bündnis beizutreten. Noch hält sich die NATO mit konkreten Zusagen bedeckt, da die Fortschritte in Albanien in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit noch nicht als hinreichend angesehen werden. Kroatien wäre schon heute beitrittsreif. Die USA als führendes NATO-Land möchten aber alle drei Staaten en bloc aufnehmen. Auf dem nächsten NATO-Gipfel in Riga im Herbst dieses Jahres will die NATO zumindest ihren politischen Willen bekräftigen, die Balkanstaaten aufzunehmen, so NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer: „Ich weiß, dass die Staaten, die sich in unterschiedlichen Phasen bemühen, NATO-Mitglieder zu werden, ein Signal von der Allianz in Riga erwarten. Die NATO diskutiert, ob es ein solches Signal geben und wie es aussehen soll. Ich glaube die Antwort wird ein "Ja" sein."

Auch die verbleibenden weißen Flecken auf der NATO-Landkarte sollen auf dem Balkan irgendwann verschwinden. Bosnien-Herzegowina und Serbien-Montenegro sollen Mitglied werden können, sobald die ethnischen Konflikte innerhalb der Staaten gelöst sind und NATO- bzw. EU-Truppen aus Bosnien und dem Kosovo abgezogen werden können. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg, so NATO-Diplomaten in Sofia.

Export von Stabilität und Sicherheit

Für den Balkan hat die NATO ein besonders Partnerschaftsprogramm entworfen, um die Staaten an die Allianz heranzuführen. Stabilität- und Sicherheit sollen in die Region sozusagen exportiert werden. Viele Staaten der Region verstehen die Mitgliedschaft in der NATO auch als eine Art Vorstufe zur wirtschaftlich attraktiven Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Der ehemalige bulgarische NATO-Botschafter Emil Dimitrov Valev bestätigt, dass schon die NATO-Aufnahme für sein Land positive Folgen hatte: „Ähnlich den Erfahrungen in der tschechischen Republik, in Ungarn und Polen bedeutet die NATO-Mitgliedschaft für Bulgarien eine Verbesserung des Investitionsklimas. Die Kreditwürdigkeit nimmt zu und damit auch ausländische Investitionen."

Gegensätzliche Meinungen zu Erweiterung

Vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika drängen darauf, möglichst viele Staaten möglichst schnell in die Allianz aufzunehmen, um möglichst viele Ressourcen im Kampf gegen den globalen Terrorismus zu sammeln. Die USA möchten bereits in diesem Jahr die Ukraine in das "Heranführungsprogramm zur Mitgliedschaft" (membership action plan) aufnehmen, was soviel bedeutet wie eine Zusage für die Mitgliedschaft, ohne ein konkretes Datum zu nennen. Frankreich und einige andere NATO-Staaten zögern und sehen zu große Belastungen auf die Allianz zukommen. Russland hat bereits, wie bei allen Erweiterungsrunden um ehemalige Satelliten der Sowjetunion, starke Bedenken angemeldet. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer geht aber davon aus, dass man sich mit Moskau wird verständigen können: „Das bedeutet aber nicht, dass eine Art Handel geben könnte. Niemand anderes als die 26 NATO-Mitglieder wird die Entscheidung über eine Erweiterung treffen. Natürlich wissen wir, dass unsere russischen Freunde an diesem Thema ein Interesse haben. Deshalb brauchen wir eine enge Partnerschaft mit Russland."

Auch Georgien bemüht sich, um die Mitgliedschaft in der NATO. Allerdings, so NATO-Diplomaten, sei der Weg Georgiens trotz Reformanstrengungen zu einer NATO-tauglichen Demokratie noch weit. Der Aufnahme stehen ethnische Konflikte im Land, aber auch starke Einwände aus Russland im Wege. Es scheint so gut wie sicher, dass Georgien bis 2008 höchstens einen verstärkten Dialog angeboten bekommt, was in der Diplomatensprache soviel heißt wie "Warteschlange".

Bernd Riegert, zurzeit Sofia

DW-RADIO, 27.4.2006, Fokus Ost-Südost