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Wird Griechenland unregierbar?

Jannis Papadimitriou6. Mai 2012

Im hochverschuldeten Griechenland müssen die großen Volksparteien bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag mit schlechten Ergebnissen rechnen. Profitieren könnten Protestparteien, die gegen den Sparkurs sind.

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Parthenon-Tempel in Athen (Foto: dapd)
Bild: dapd

Manolis Mavrommatis ist ein Bilderbuchkandidat: Schon in den 1980er Jahren war der studierte Soziologe landesweit bekannt als mehrsprachiger Sportreporter. Sein rasantes Sprechtempo bei Live-Übertragungen, das stark an südamerikanische Stadionsprecher erinnert, hat ihm bei den Fußballfans viele Sympathien und den Spitznamen "Manólo" eingebracht. Politische Erfahrung sammelte der Publikumsliebling unter anderem als Europaabgeordneter.

Nun kandidiert Mavrommatis bei der Parlamentswahl an diesem Sonntag (06.05.2012) für die konservative "Nea Dimokratia" im Wahlkreis Athen-Stadt, die eigentlich als Hochburg der Mitte-Rechts-Partei gilt. Bei der letzten Wahl 2009 war sein Einzug ins Parlament eine Selbstverständlichkeit, doch diesmal verharren die Konservativen des Ex-Außenministers Antonis Samaras laut Umfragen auf historischen Tiefständen. Ähnliche Sorgen hat auch Sozialisten-Chef Evangelos Venizelos. Die beiden dürften froh sein, wenn sie zusammen noch 40 Prozent der Wähler für sich gewinnen. Mavrommatis übt sich trotzdem in Optimismus:

"Nur 40 Prozent für beide Volksparteien - das glaube ich auf gar keinen Fall. Es wäre doch eine Katastrophe; dann würde Griechenland völlig unregierbar und das ausgerechnet in einem der schwierigsten Momente seiner Geschichte", mahnt der konservative Politiker. Umfragen seien nur eine Momentaufnahme, man würde die Parteibasis schon rechtzeitig zusammenschweißen. Er könne sich gut vorstellen, dass die Konservativen, trotz aller düsteren Vorhersagen, auf über 30 Prozent kommen, sagt Mavrommatis.

Dilemma der Volksparteien

Unmöglich wäre das nicht. Demoskopen weisen darauf hin, dass Prognosen ohnehin besonders schwierig seien, da sich über 30 Prozent der Befragten weigern zu sagen, wen sie wählen möchten. Für die beiden Volksparteien ist das Wahldilemma jedenfalls eindeutig: Entweder die Griechen entscheiden sich für die pro-europäischen Kräfte und führen den eingeschlagenen Sparkurs fort oder sie setzen die Zukunft des Landes aufs Spiel, indem sie Protestparteien ihre Stimme schenken.

"Was die Protestpolitiker im Schilde führen, ist nicht seriös", empört sich Mavrommatis. Der eine wolle die Rückzahlung sämtlicher Kredite verweigern, ein anderer würde lieber gleich aus der EU austreten, andere wiederum seien zwar für den Euro, aber gegen die Sparmaßnahmen. So komme man doch nicht weiter in Europa. "Man kann nicht 130 Milliarden geliehen bekommen, ohne dass es dafür eine Gegenleistung gibt", erklärt der konservative Politiker.

Immerhin elf Parteien machen sich berechtigte Hoffnungen auf einen Einzug ins Parlament. Kommentatoren warnen deshalb vor "Weimarer Verhältnissen" in Athen, da vor allem die links- und rechtsextremen Parteien von der weitverbreiteten Wut über Sparpolitik und Rekordarbeitslosigkeit profitieren wollen.

Außerdem wurde die Frage nach der Verantwortung für die Wirtschaftsmisere des Landes bisher hartnäckig verdrängt, meint der Marktforscher und Politikexperte Jannis Anastassakos. Deswegen biete die Wahl eine Gelegenheit, mit der Politik der etablierten Parteien abzurechnen, die Griechenland in den vergangenen vierzig Jahren heruntergewirtschaftet haben. Doch auch der Wähler sei daran nicht ganz unschuldig gewesen, gibt der Experte zu bedenken.

Rechtsradikale könnten ins Parlament einziehen

"Seit vierzig Jahren verkommt das Land zu einer Parteiendemokratie, in der alle Institutionen und Kontrollinstanzen von den Parteien vereinnahmt werden", klagt Anastassakos. Auf dieser Grundlage sei eine ausufernde Klientelwirtschaft entstanden, die seit dem Euro-Beitritt durch Billigkredite auch noch gefördert wurde. Das würde sich jetzt rächen: Parteipolitiker müssen den Zorn und die Verzweiflung der eigenen Klientel fürchten, weil das System krisenbedingt nicht mehr funktioniere.

Anastassakos hat in den achtziger Jahren in Frankreich studiert und sich dort in der sozialistischen Partei engagiert. Dass ausgerechnet die rechtsextreme Schlägertruppe Chryssi Avgi ("Goldene Morgendämmerung") in Griechenland viel Zuspruch erhält, stimmt ihn besonders traurig. Laut Umfragen können die Rechtsradikalen bis zu sechs Prozent der Stimmen bekommen und erstmals ins Parlament einziehen. "Sie sind gekommen, um zu bleiben", befürchtet der Athener Politik-Experte.

Volksparteien kämpfen um ihre Wähler

"Ich schäme mich beinahe, es auszusprechen: Gerade bei den Wählern unter 25 Jahren haben die radikale Linke und die rechtsextreme Chryssi Avgi Hochkonjunktur. Es sieht so aus, als würden die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts bei den griechischen Jungwählern eine Renaissance erleben", beklagt Anastassakos. Ein wichtiger Grund für den Aufstieg der Rechten sei auch die Unfähigkeit der Volksparteien, das Problem der illegalen Einwanderung in den Griff zu bekommen.

Kurz vor dem Wahltag streuten die beiden Volksparteien besonders offensiv haushaltspolitische Versprechen unter das Volk, um die Wähler nach bewährtem Muster doch noch für sich zu gewinnen. Der konservative Parteiführer Antonis Samaras stellte Steuersenkungen und eine Neuverhandlung laufender Kreditverträge in Aussicht, während Sozialistenchef Evangelos Venizelos versprach, ab Juni werde es keine neuen Steuern mehr geben. Nur Übergangspremier Lukas Papademos machte den beiden Schönrednern einen Strich durch die Rechnung: In einem Schreiben an die Parteien erinnerte der ehemalige EZB-Vize an die Sparmaßnahmen, die unmittelbar nach der Wahl umgesetzt werden müssen: inklusive Lohnkürzungen, Steuererhöhungen und Entlassungen im öffentlichen Dienst.

Jannis Anastassakos (Foto: DW)
Experte Jannis Anastassakos macht sich Sorgen um das WahlergebnisBild: DW
Giorgos Karadzaferis (Foto: DW)
Der Rechtspopulist Giorgos KaradzaferisBild: DW
Manolis Mavrommatis (Foto: DW)
Er schwört auf Samaras: Manolis MavrommatisBild: DW