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Wankel-Motor

Alexander Kudascheff3. Dezember 2002

Lange genug hat er gestottert. Lange genug ist er nicht rund gelaufen - der deutsch-französische Europa-Motor. Aber jetzt geht wohl alles wieder glatt, schreibt Alexander Kudascheff.

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Lange haben alle geklagt, dass der deutsch-französische Mototor in Europa bestenfalls auf drei Zylinder laufe und nicht mehr im Takt. Doch im tristen November hat sich das geändert. Plötzlich harmonieren Paris und Berlin. Plötzlich haben - wenige Wochen vor dem 40. Jahrestag des Elyssévertrags - Chirac und Schröder zu einander gefunden, sogar wie es aussieht: menschlich und persönlich, denn da hat es doch merklich gehapert. Und die beiden Außenminister, de Villepin und Fischer, sitzen nicht nur bei den Räten einträchtig nebeneinander, sondern inzwischen auch im großen Reformkonvent, der nächstes Jahr seine Arbeit abschließen wird.


Deutschland und Frankreich haben im letzten Monat den Weg freigemacht - für die Erweiterung. Sie haben sich auf einen Kompromiss in der europäischen Agrarpolitkk geeinigt, womit niemand gerechnet hatte. Sie haben das ebenso schnell wie unspektakulär geschafft - und damit dem Kopenhagener Gipfel eine Zereißprobe erspart. Und sie haben beide signalisiert, dass ihnen die Erweiterung am Herzen liegt. Wichtiger aber noch: Fischer und Villepin treiben die EU voran, beim Reformkonvent.

Sie wollen eine eigene europäische Verteidigungspolitik - nicht unbedingt im Gegensatz zur NATO, aber doch konturiert, selbständig, unverwechselbar. Sie wollen eine eigene europäische Außenpolitik, die sich nicht mehr zerreibt zwischen dem Chefdiplomaten Solana, dem Kommissar für Außenbeziehungen, Patten, und dem jeweiligen Ratspräsidenten, der auch agieren und reden will. Sie wollen beide das europäische Parlament stärken, damit die Legitimation der europäischen Institutionen erhöhen. Und sie wollen die europäische Innen -und Justizpolitik vergemeinschaften. Manche sprechen sogar davon, sie wollten so etwas wie eine europäische Steuerharmonisierung erreichen - zumindest in Teilbereichen.

Selbst wenn sich das alles nicht erreichen lässt, selbst wenn das alles nicht in die europäische Verfassung geschrieben wird, Paris und Berlin ziehen an einem politischen Strang. Das stärkt den Reformkonvent, das erhöht seine Chancen, ein vernünftiges Schlusspapier vorzulegen. Die europäische Union hat - wenige Tage vor dem historischen Gipfel in Kopenhagen - ihre Schlagzahl deutlich erhöht. Der europäische Dampfer nimmt Fahrt auf - angetrieben von der deutsch-französischen Turbine.


Das alles hat seinen Grund. In beiden Ländern ist nach den Wahlen erst einmal Ruhe. In Frankreich allerdings deutlich mehr als in Deutschland. Denn: die Zeit der cohabitation ist vorbei. Deswegen beherrscht Chirac die französische und die europäische Innenpolitik souverän und unangefochten. Er bietet sogar dem amerikanischen Präsidenten in der Irakfrage gelassen, diplomatisch raffiniert, taktisch klug Paroli. Er ist der Herr im französischen Haus.

Da sieht es für Schröder schlechter aus. Er wird von der eigenen Ideenlosigkeit getrieben, von Haushaltslöchern und schlechten Nachrichten - und noch schlechteren Umfragewerten. Und außenpolitisch steckt die rot-grüne Koaltion Amerika gegenüber in der Sackgasse. Berlin ist isoliert. Und sucht deswegen den Schulterschluss mit dem französischen Nachbarn und Freund. Das hilft in den einsamen Stunden und es hilft Europa. Ganz en passant. Immerhin.