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"Pfadfinder unserer Republik"

Christoph Strack 7. September 2016

Deutschland verabschiedet den verstorbenen Alt-Bundespräsidenten Walter Scheel. Ernster und aktueller als viele Nachrufe in den Medien würdigen Bundespräsident und Außenminister die Verdienste des Liberalen.

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Berlin Staatsakt Walter Scheel Barbara Scheel Gauck (Bild: Reuters/ M. Schreiber)
Bild: Reuters/M. Schreiber

Es ist ein Innehalten im politischen Berlin. Der Bundestag unterbricht seine Haushaltsdebatte. Busse bringen viele Abgeordnete, Limousinen mit Polizeibegleitung chauffieren Minister, die Kanzlerin, weitere hohe Gäste. Die Fahnen auf dem Reichstag und andernorts wehen auf halbmast. Die kürzeste Definition von Religion, heißt es, sei "Unterbrechung". Am Mittwochmittag hält das politische Berlin inne, um zivilreligiös einen seiner früheren Bundespräsidenten zu verabschieden.

Walter Scheel, sagt Bundespräsident Joachim Gauck später in seiner Würdigung, sei "ein Pfadfinder unserer Republik" gewesen. Das Bild sagt viel über den Menschen Scheel, aber auch über die politisch spannenden, mitunter schwierigen Jahre der Republik, in denen der am 24. August verstorbene Liberale Politik mitgestaltete. Außenminister in Jahren eines politischen Aufbruchs, Bundespräsident in Zeiten des Terrors.

"Langsam erstarrende Bundesrepublik"

Gauck sagt, Scheel habe in den 1960er Jahren früh verstanden, "dass eine nach den Aufbaujahren langsam erstarrende Bundesrepublik frische Impulse" gebraucht habe. Es ist eine staatstragende, aber sehr nahe Rede. "Er appelliert an die Bürger, den eigenen Kräften zu vertrauen und ihre Potenziale auszuleben. Er macht ihnen Mut", erinnert Gauck. Und fügt, abweichend vom Manuskript, hinzu, "wie aktuell, meine Damen und Herren". Walter Scheel sei ein "Präsident der demokratischen Selbstvergewisserung, gerade in schwierigen Zeiten".

Das Solinger Arbeiter-Kind Scheel wurde in der Hitler-Zeit erwachsen und zog zwei Tage nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in den Kriegsdienst. Mit diesem biographischen Gepäck im Rucksack machte Scheel Politik als Liberaler im Stadtrat von Solingen, als Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen, und dann im Bundestag in Bonn.

Deutschland ehemaliger Bundespräsident Walter Scheel, FDP (Foto: Imago/teutopress)
So bleibt er in Erinnerung: Walter Scheel 1988 während eines FDP-ParteitagesBild: Imago/teutopress

Von 1961 bis 1966 ist er der erste deutsche Entwicklungsminister überhaupt. 1968 wird er FDP-Bundesvorsitzender und baut in diesem Amt 1969 die erste sozialliberale Bundesregierung. Seinen fünf Jahren als Außenminister folgen fünf Jahre als Bundespräsident.

"Die Frage von Krieg und Frieden"

Außenminister Frank-Walter Steinmeier nennt, als zweiter Redner, seinen Amtsvorgänger "einen großen Liberalen, deutschen Patrioten und überzeugten Europäer". Und wie schon bei Gauck prägt der Ernst dieser konfliktreichen und krisenhaften europäischen Monate die Rede des SPD-Politikers.

Vieles von Scheel habe heute einen mahnenden Klang, "wo die Frage von Krieg und Frieden erneut auf dem Kontinent" zurückgekehrt sei. Er habe "unser Land von der Adoleszenz in die Volljährigkeit begleitet", sagt Steinmeier, und ergänzt: "Und zur Volljährigkeit das Lied eines Postkutschers gesungen".

Da ist er, der Bezug auf das Volkslied "Hoch auf dem gelben Wagen", das Scheel 1973 schmetterte, um Spenden für die "Aktion Sorgenkind" zu sammeln. Und das er nie mehr los wurde.

Deutschland Walter Scheel Bergwerksbesuch (Bild: picture-alliance/R. Scheidemann)
Ein Arbeiterkind - 1975 fuhr Scheel als Bundespräsident unter TageBild: picture-alliance/R. Scheidemann

Der Kammermusiksaal der Philharmonie bietet einen würdigen Rahmen. Da sitzen viele Wegbegleiter und führende Politiker nicht nur der Bonner, sondern auch der Berliner Republik. Die Alt-Bundespräsidenten Horst Köhler und Christian Wulff mit ihren Ehefrauen, auch Christina Rau, die Witwe von Johannes Rau. Kanzlerin Angela Merkel und Alt-Kanzler Schröder, eine Reihe von aktiven oder ehemaligen Bundesministern (einer der noch aktiven, Wolfgang Schäuble, nahm bereits als Abgeordneter an der Wahl Scheels zum Staatsoberhaupt teil), viele Liberale.

"Neugierig, engagiert, herzlich"

Einer dieser Alt-Liberalen, einer der früheren FDP-Bundesvorsitzenden, Wolfgang Gerhardt hält die persönlichste Rede. Mit fast gebrochener Stimme nennt er Scheel schlicht "einen bemerkenswerten Menschen, neugierig, engagiert, herzlich, mit Zuversicht und Mut".

Gerhardt erinnert schmerzlich daran, dass seine Partei nach Guido Westerwelle und Hans-Dietrich Genscher in diesem Jahr bereits den dritten früheren Vorsitzenden verliere. Und er zieht die Linie von Scheels Engagement für eine neue Außenpolitik Ende der 1960er Jahre bis hin zu Genschers Rolle bei den 2+4-Verhandlungen nach dem Fall der Mauer.

Musik, Johann Sebastian Bach. Dann geleitet Gauck die Witwe Barbara Scheel hinter dem Sarg hinaus ins gleißende Licht des Spätsommertages. Das militärische Abschiedzeremoniell am Rande des Tiergartens. Den Choral "Jesus, meine Zuversicht" spielt das Heeresmusikkorps, dann die Nationalhymne. Als Soldaten den Sarg im transparenten Wagen abgelegt haben, erklingt "Ich hatte einen Kameraden".

Berlin Staatsakt Walter Scheel Barbara Scheel Gauck (Foto: Reuters/M. Schreiber)
Bundespräsident Joachim Gauck und die Witwe Barbara ScheelBild: Reuters/M. Schreiber

Und als der schwarze Fahrzeug davonrollt, folgt musikalisch, auf Wunsch der Witwe, Scheels Lied "Hoch auf dem gelben Wagen". Der letzte Weg führt den Wagen zum Waldfriedhof Zehlendorf im Berliner Westen. Es ist ein "Prominentenfriedhof". Auch Willy Brandt, unter dem Scheel Außenminister wurde, hat hier seine letzte Ruhe gefunden. Es passt.